Karl LauterbachSPD - Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich auf die Unterschiede zu sprechen komme, will ich zunächst betonen, was uns alle eint, und das ist die Überzeugung, dass wir mehr für eine bessere Palliativmedizin in Deutschland tun müssen. Herr Gröhe und Kollegen aus der Großen Koalition haben ein breit aufgestelltes Konzept erarbeitet, das sicher an der einen oder anderen Stelle noch geändert wird. Aber uns alle eint der Versuch, die Palliativmedizin in Deutschland zu verbessern.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Was uns auch alle eint – und ein anderer Eindruck darf nicht entstehen –, ist, dass wir uns alle für das Leben einsetzen. Die Frage ist nur: Wie schaffen wir das? Das hat mit der Palliativmedizin allerdings nur indirekt zu tun. Es gibt Menschen, die auch im Lichte aller Angebote der Palliativmedizin ihr eigenes Leben und den bevorstehenden Tod nicht als würdevoll empfinden; sie selbst empfinden es so, das ist ihre eigene Einschätzung, und niemandem von außen steht es zu, darüber zu urteilen. Diese kleine Gruppe von Menschen ist auf unsere Hilfe angewiesen. Die Frage ist: Was können wir anbieten? Ich glaube, dass wir diesen Menschen nicht die Tür verschließen dürfen.
Es ist wichtig, dass wir überlegen, ob wir die derzeitigen Regelungen so lassen können, wie sie jetzt sind. Ich glaube, dass das nicht geht; denn das einzige Angebot – das Zurückgreifen auf Sterbehilfeorganisationen, ich drücke es einmal so aus: Seriensterbehelfer –, das die betroffenen Menschen oft haben, ist keine gute Lösung. Die Mitarbeiter der entsprechenden Organisationen kennen die Betroffenen oft überhaupt nicht, sie kennen die Krankheiten nicht. Sie reisen an und helfen in einer Situation, in der der Tod oft noch vermeidbar wäre, beispielsweise wenn es sich um Depressive oder psychisch Kranke handelt. Das ist der Grund, weshalb ich dem Vorschlag von Renate Künast, dass wir es so lassen, wie es ist, nicht zustimmen kann; denn es funktioniert nicht. Selbst Sterbehelfer sagen, dass 50 Prozent der Menschen, denen sie – in Anführungsstrichen – „geholfen“ haben, an psychischen Erkrankungen gelitten haben.
(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Viele dieser betroffenen Menschen waren wahrscheinlich depressiv und hätten von Ärzten gerettet werden können. Von daher können wir es nicht so lassen, wie es ist, sondern wir müssen die Tätigkeit der Sterbehilfeorganisationen, insbesondere die organisierte Sterbehilfe und auch die Sterbehilfe durch Seriensterbehelfer, unterbinden. Das ist eine wichtige Initiative, die uns hier eint.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir müssen aber auch bedenken: Was bleibt übrig? Welche Gefahren gehen wir damit ein? Wenn wir das so machen, gehen wir natürlich die Gefahr ein, dass diejenigen, die ihren Tod vor Augen haben und die im Prinzip nur noch Kontakt zu ihren Ärzten haben, ohne jede Hilfe dastehen. Todkranke, die den eigenen Tod so nicht erleben wollen, können nicht einfach Heimat und Familie verlassen, um in die Schweiz zu reisen und dort Hilfe zu suchen. Viele dieser Menschen haben keine Angehörigen.
Die Frage ist: Darf der Arzt helfen? Ich kenne keinen einzigen Vorschlag, der es dem Arzt verbieten würde. Allen Anträgen ist gemein, dass wir die Hilfe des Arztes in Einzelfällen erlauben wollen. Aber unser Antrag ist der einzige, der das sicherstellt. Alle anderen Anträge lösen nicht das Problem, dass die Beihilfe zum Suizid in zehn Ärztekammern derzeit unter Androhung des Verlustes der Approbation schlicht nicht erlaubt ist. Ich kann nicht sagen: „Ich wünsche mir, dass es anders ist“, wenn ich aber nichts dagegen tue, dass es im Moment so ist. Von daher ist aus unserer Sicht notwendigerweise festzuhalten: Wenn wir die organisierte Sterbehilfe wirklich verbieten wollen – was ich für richtig halte, weil es eben nicht gut läuft –, dann müssen wir Rechtssicherheit für Ärzte schaffen. Diese Rechtssicherheit schulden wir der kleinen Gruppe von Patienten, die sonst ohne jede Alternative wäre.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Man könnte natürlich auch die Position vertreten, dass die Ärzte das selbst regeln können. Es gibt aber zwei Gründe, die dagegen sprechen: Zum einen sieht es im Moment nicht danach aus – wichtige Ärztefunktionäre tragen vor, dass sie das schlicht nicht wollen –, und zum anderen ist das aus meiner Sicht nichts, was die Ärzteschaft entscheiden sollte, weil es sich um eine grundsätzliche Werteentscheidung für unsere Gesellschaft handelt. Das muss der Deutsche Bundestag entscheiden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Hier ist der Punkt erreicht, wo, wie Wittgenstein sagen würde, sich der Spaten zurückbiegt. Wenn wir die Sterbehilfeorganisationen verbieten, müssen wir ein Angebot schaffen. Dabei handelt es sich nicht um eine Kassenleistung. Es geht nicht um eine Gebührenordnungsziffer. Der Leistungskatalog der Krankenkassen soll nicht erweitert werden. Es handelt sich vielmehr um eine humanitäre Einzelaufgabe, um eine Gewissensentscheidung eines jeden einzelnen Arztes, der Rechtssicherheit braucht, wenn er sich zu diesem tragischen Schritt entscheidet. Der Arzt braucht, nachdem er alles unternommen hat, den Patienten umzustimmen, diese Rechtssicherheit, um in einer Situation helfen zu können, in der der Patient sonst niemanden hat.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
Die Kollegin Elisabeth Scharfenberg erhält nun das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4104480 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 66 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung |