Thomas OppermannSPD - Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kommt nicht oft vor, dass wir eine schwierige Diskussion in diesem Haus mit so viel Fingerspitzengefühl und Respekt führen wie heute. Aber das ist auch angemessen. Denn die Frage, wie Menschen ihr eigenes Leben bewerten, wie sie sich den Tod vorstellen, wie sie sterben wollen, wie viel Leid, Schmerz oder Ohnmacht sie glauben am Ende ihres Lebens aushalten zu können, das sind höchstpersönliche Angelegenheiten, die zum absolut geschützten Kernbereich der Menschenwürde gehören. Deshalb steht es nach meinem Verständnis von Freiheit in einem liberalen Rechtsstaat und einer pluralistischen Gesellschaft dem Gesetzgeber nicht zu, Menschen in solch existenziellen Fragen Vorschriften zu machen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nicht wenige haben Angst, dass ihnen aus religiösen, ideologischen oder rechtlichen Gründen vorgeschrieben wird, wie sie zu sterben haben. Manche suchen Unterstützung bei Organisationen, die ihnen helfen, mit einem Suizid rechtzeitig aus dem Leben zu scheiden. Mir bereitet es großes Unbehagen, wenn sich Menschen in die Hände von Sterbehilfevereinen begeben. Ich empfinde das als trostlos und deprimierend. Denn der Wunsch nach Sterbehilfe ist in Wirklichkeit ganz oft ein Hilferuf.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Von den 10 000 Menschen, die sich jährlich in Deutschland das Leben nehmen, sind über 4 000 älter als 65 Jahre. Viele von ihnen leiden unter akuten Depressionen, die mit professioneller Hilfe von Ärzten und Therapeuten gut behandelbar wären. Ich möchte nicht, dass Menschen darauf angewiesen sind, Sterbehelfer aufzusuchen, die ihnen eine schnelle Lösung versprechen, um am Ende ihre Dienste mit Erfolg anbieten zu können.
(Beifall der Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD] und Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Für mich gehört die Sterbebegleitung nicht in die Hände solcher Vereine, sondern in die Sphäre des Vertrauens des schwerstkranken Patienten zu seinen nahen Angehörigen, Freunden, Seelsorgern und vor allen Dingen den behandelnden Ärzten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt also gute Gründe für ein Verbot der organisierten Sterbehilfe.
Aber, meine Damen und Herren, damit allein ist den Menschen noch nicht geholfen. Menschen in einer solchen Situation brauchen Verständnis, liebevolle Zuwendung, Hilfe und vor allem das Gefühl, in einer ausweglos erscheinenden Lage nicht alleingelassen zu werden. Deshalb, finde ich, sollten wir eine endgültige Entscheidung über die Regeln der Sterbebegleitung erst dann treffen, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind:
Die erste Voraussetzung: Die Palliativmedizin muss in Deutschland umfassend ausgebaut und gefördert werden.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Ich gehörte vor 14 Jahren zu den Mitinitiatoren einer der ersten Professuren für Palliativmedizin an der Universität Göttingen. Wir haben dann auch eine Palliativstiftung gegründet, um gesellschaftliche Unterstützung und Ressourcen zu organisieren. Es gab einen ungeheuren Zuspruch für diese Stiftung, auch für das Hospiz in der Stadt. Ich sage Ihnen: Die Kraft, die hinter diesem bürgerlichen Engagement steckt, ist die Wertschätzung des Lebens, die ganz viele Menschen umtreibt. Das ist eine positive Kraft.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Die Palliativmedizin ist eine ganz junge Wissenschaft, aber sie ist außerordentlich erfolgreich. Sie ermöglicht es, Menschen beim Sterben eine gewisse Lebensqualität zu erhalten, sodass die Hoffnung am Ende des Lebens nicht ganz schwindet. Palliativmedizin kann vielen Menschen dabei helfen, wie es Peter Hintze formuliert hat, den verbleibenden Lebensrest nicht mit Angst, sondern als einen Gewinn zu betrachten. Deshalb, meine Damen und Herren, muss es jetzt darum gehen, die hochwertige Palliativmedizin, die es an einigen Orten in Deutschland gibt, allen Menschen in diesem Lande zugänglich zu machen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Die zweite Voraussetzung: Wir sollten die Ärztinnen und Ärzte bitten, die Entscheidung des Deutschen Ärztetages aus dem Jahre 2011 zu überdenken.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Ich finde es nicht haltbar, dass einzelne Landesärztekammern in Deutschland ihren Mitgliedern im klaren Gegensatz zum Strafrecht die Hilfe zum Suizid ohne Ausnahme verbieten. Ich habe durchaus Verständnis für den Wunsch nach Rechtssicherheit. Natürlich muss die Hilfe zum Leben Aufgabe der Ärzte bleiben. Niemand will, dass Ärzte eigenmächtig entscheiden. Aber natürlich muss ein Arzt den freiverantwortlich gebildeten Willen eines Patienten respektieren und ihm im Interesse des Patienten auch helfen dürfen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Ich finde, ein Arzt, der in einer extremen Ausnahmesituation eine Gewissensentscheidung trifft und sich dazu entschließt, einem schwerstkranken Patienten – natürlich im Rahmen dessen, was das Strafrecht zulässt – Beistand zu leisten, darf nicht von einer Ärztekammer belangt werden können, meine Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In dieser zentralen ethischen Frage muss es eine einheitliche Rechtslage in ganz Deutschland geben. Ich habe allerdings Zweifel, ob es richtig ist, den ärztlich assistierten Suizid jetzt auch explizit rechtlich auszugestalten. Laufen wir dann nicht Gefahr, den ärztlich assistierten Suizid zu institutionalisieren? Wird hier nicht der Anschein einer vermeintlich einfachen Alternative aufgezeigt, die den Druck auf die Betroffenen, dem Leiden freiwillig ein Ende zu machen, am Ende erhöht?
(Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU])
Herr Kollege.
Es ist richtig, dass wir uns jetzt die Zeit nehmen, über diese Fragen ein Jahr lang sorgfältig zu diskutieren, bevor wir entscheiden. Aber diese Debatte ist auch für sich wertvoll; denn sie hilft ganz vielen Menschen, ein so schwieriges Thema wie Suizid jetzt offener anzusprechen, sich an ihre Angehörigen zu wenden, auch an die behandelnden Ärzte. Das hilft den Menschen. Deshalb freue ich mich sehr über diese Debatte.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Franz Josef Jung ist der nächste Redner.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4104507 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 66 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung |