Norbert Lammert - Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu einem würdevollen Leben gehört auch ein Sterben in Würde. Es gibt ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Somit gehört zu einem selbstbestimmten Leben auch ein selbstbestimmtes Sterben.
In unserem Antrag richten wir uns an Menschen, die an einer organischen, irreversiblen, zum Tode führenden Erkrankung leiden, bei denen die Palliativmedizin an ihre Grenzen stößt, die Schmerz und Qual und damit verbundene Not nicht mehr aushalten. Von unserem Regelungsansatz nicht erfasst sind Menschen, die an einer psychischen Erkrankung leiden, die minderjährig oder nicht einwilligungsfähig sind. Wir richten uns auch ausdrücklich nicht an Menschen, die aus anderen Gründen des Lebens müde oder überdrüssig sind.
Was für einen Menschen am Ende seines Lebens noch zu ertragen ist, was er als Qual und Schmerz empfindet, ist absolut individuell. Nicht jeder kann gleich viel tragen. Patienten, die die letzte Strecke ihres Lebens als nicht mehr erträglich empfinden, geht es neben den Schmerzen um den Verlust ihrer Autonomie, um den Verlust der Kontrolle über ihren Körper, um den Verlust der Kommunikationsfähigkeit und den Verlust ihrer Würde.
Unser Antrag öffnet einen Ausgang bzw. möchte – das haben manche Vorrednerinnen und Vorredner schon gesagt –, dass die Regelungen, die in einigen Landesärztekammern, zum Beispiel in der bayerischen, sehr wohl möglich sind, allen Ärzten im gesamten Bundesgebiet offenstehen. Wir meinen, dass im Angesicht von sicher zum Tode führenden Erkrankungen das Arzt-Patienten-Verhältnis besonders geschützt werden sollte. Dorthin gehört die Entscheidung, in Würdigung der Lebens- und Leidensumstände des Patienten dem behandelnden Arzt zu vertrauen und ihm zu ermöglichen, den Patienten straffrei auf einem selbst gewählten und selbst vollzogenen letzten Schritt zu begleiten, ohne das Strafrecht fürchten zu müssen.
Dank der modernen Medizin und dank der Palliativmedizin können Menschen heute viel besser, viel länger und mit weniger Schmerzen am Ende ihres Lebens begleitet werden. Das ist ein Segen. Die Menschen, die sich hingebungsvoll jenen Patienten widmen, sind ebenfalls ein Segen. Die palliativmedizinischen Angebote müssen ausgeweitet werden. Ich bin Hermann Gröhe ausdrücklich dankbar, dass er nun die Initiative ergreift.
Die Grenzen der Leidminderung, der Schmerztherapie sowie der Sterbehilfe und -begleitung als ärztliche Aufgaben sind aber nicht schematisch, sondern fließen ineinander über. Was möchte ein Patient? Er möchte Heilung. Er möchte Leidminderung. Er möchte, dass seine Beschwerden vermindert werden. Er möchte natürlich verhindern, dass er vorzeitig stirbt. Dem sollen Ärzte entsprechen. Wo aber nun die moderne Medizin als Schattenseite ihrer segensreichen Fähigkeiten Siechtum, chronisches Leiden und eine zuverlässige Unheilbarkeitsprognose hervorbringt, sollten Ärzte in der Mitverantwortung bleiben dürfen, soweit es sich mit ihrem persönlichen Gewissen vereinbaren lässt; darum geht es. Ich appelliere, die Gewissensfreiheit zu respektieren und nicht durch rechtliche oder religiöse Dogmen zu beschränken.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Es wird argumentiert, dass der Suizidwunsch mancher Patienten Ausdruck von falsch verstandener Entscheidungsfreiheit sei oder gar eine mangelnde Achtung vor dem Geschenk, das uns Gott mit auf den Weg gegeben hat. Wer so argumentiert, verkennt die existenzielle Not, in der solche Entschlüsse gefasst werden. Für mich jedenfalls wäre es ein Verstoß gegen das Gebot von Nächstenliebe und Menschenwürde, wenn aus dem Schutz des Lebens ein Zwang zum Leiden würde.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir wollen Ärzten für die Fälle, in denen die Palliativversorgung für die Patienten keine Alternative mehr ist, eine mitfühlende Hilfestellung bei der selbst vollzogenen Lebensbeendigung ermöglichen. Die Ärzte bitten uns, ein Zeichen gegen ihre Kriminalisierung zu setzen, wenn es sich um ein einzelfallbezogenes, gemäß dem Patientenwillen ethisch verantwortliches ärztliches Tun oder Unterlassen handelt. Hier setzt unser Antrag an.
Ich bin zudem überzeugt: Wenn sich Patient und Arzt auf diesen geschützten Freiraum verlassen können, würde dies den Bedarf an organisierter Laiensuizidhilfe oder gar an gewinnorientierten Sterbehilfeorganisationen, die ich strikt ablehne, absehbar überflüssig machen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Die Würde eines Sterbenden zu respektieren, heißt im Übrigen gerade nicht, den Wert eines Menschenlebens von außen zu beurteilen. Ich meine, was zählt, ist das Urteil des Patienten über sein eigenes Dasein.
(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns den Ärzten und den Patienten vertrauen und eine zivilrechtliche Regelung finden, die der Selbstbestimmung von Patienten Raum lässt und ihnen und ihren behandelnden Ärzten Sicherheit gibt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Das Wort erhält nun der Kollege Harald Weinberg.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4104554 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 66 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung |