13.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 66 / Tagesordnungspunkt 3

Katrin Göring-EckardtDIE GRÜNEN - Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden und debattieren heute hier quasi in einer Doppelrolle, nämlich als Gesetzgeber und über uns selbst. Jedes Leben führt unweigerlich zum Tod; nicht nur über schwere Krankheiten. Warum wird eigentlich ausgerechnet dann so viel über Selbstbestimmung gesprochen, wenn es um den Tod geht? „ Mein Ende gehört mir“, für wen spricht man dann und für wie viele? Zwei Dinge sind mir in dieser Debatte wichtig:

Erstens. Es diskutieren vorzugsweise gebildete, selbstbewusste, sehr reflektierte Menschen, die ihr Leben im Griff haben oder zumindest meinen, sie hätten es, Menschen, die ihre gesundheitlichen und finanziellen Risiken kennen, die die Gesetzeslage, die Rechtslage und das Standesrecht der Ärzte kennen, für die es ein Zeichen von Stärke ist, selbst bestimmen zu können. Stark und eigenverantwortlich sind aber auch die anderen, die in jeder Phase des Lebens – nichts anderes ist das Sterben; es ist auch eine Phase des Lebens – bei sich bleiben, Menschen, die zeigen, was Leben wert ist, auch wenn es beschädigt ist, wenn es unselbstständig ist und wenn es schwer wird, wenn es ertragen werden muss, Menschen, die Krankheit nicht empörend finden und Tod auch nicht als Schöpfungs- oder Schönheitsfehler ansehen, die ein Zeichen setzen gegen ein überhöhtes Bild des strahlenden, selbstoptimierten, funktionstüchtigen Menschen bis zum Ende, meine Damen und Herren.

Umgekehrt sorge ich mich um diejenigen, die meinen, nicht nur ihr Leben, sondern auch ihren Tod in den Griff bekommen zu müssen. Ich sorge mich um eine Welt, in der die Alten im Vorwege sagen – viele haben diesen Satz hier heute schon gebraucht –: Ich will ja nicht zur Last fallen; ich will doch nicht stören im Ablauf, im Getriebe, im Funktionieren. – Ich sorge mich um Menschen, deren scheinbarer Mut zur Selbstbestimmung im Kern nur die Angst vor Einsamkeit beim Sterben ist. „ Mut zum Leben – mitten im Sterben“, das ist unsere Herausforderung, aber nicht „Hilfe zum Sterben“.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)

Heute wird gern von einer Erbengeneration gesprochen; das ist richtig. Daneben wächst aber auch eine Generation Elternunterhalt heran. Man kann auch Schulden erben, sogar schon vor dem Tod. Kinder werden nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch für die Kosten von Pflege und Palliativmedizin herangezogen, wenn das Vermögen der Eltern aufgebraucht ist. Das verschärft die Gegensätze zwischen denjenigen, die ärztliche Betreuung in Anspruch nehmen, und denen, die ihren Kindern auch auf diese Weise nicht zur Last fallen wollen. Ich finde, auch diese Gesetzeslage bedarf eines Überdenkens, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zweitens. Wir müssen uns klarmachen, dass wir in einer demografisch drastisch veränderten Welt und in einer sich weiter verändernden Gesellschaft leben. Auf diese schöne alte Welt sind wir nicht vorbereitet. Die Debatte der Sterbehilfe scheint mir auch ein Spiegelbild der Angst unserer Gesellschaft vor dem Altern zu sein. Ist es nicht eigentlich zynisch, dass wir, wenn wir über Überalterung reden, als Erstes an den Seniorensuizid denken? Bevor wir also ehrlich und ernsthaft über das Sterben in Würde und unsere Position dazu reden, über Anträge entscheiden, müssen wir – das haben hier viele gesagt –, über Palliativversorgung und Hospize reden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)

Es gibt in Deutschland über 10 000 Suizide, und bei über 90 Prozent davon liegt eine psychische Erkrankung vor. Es ist nur in ganz seltenen Fällen so, dass sich Menschen aufgrund von schwerer Erkrankung umbringen. Die meisten dieser Menschen haben psychische Erkrankungen. In Deutschland wartet man bei Depressionen übrigens – gesetzlich versichert – ein halbes Jahr auf einen Therapieplatz. Heute fehlen vor allem Fachärzte für Psychiatrie, es fehlen Plätze in häuslicher Pflege, es fehlen qualitativ gute Plätze in der Heimunterbringung und auch in Wohngemeinschaften, und es fehlt trotz der Verbesserungen genügend Hilfe für Demente und ihre Angehörigen.

Zuletzt: Ja, auch ich habe Menschen, ganz enge Freunde, Verwandte, sterben sehen. Ich war noch keine 18, da sollte ich entscheiden, ob die Geräte abgeschaltet werden sollen – die Geräte abschalten, also das Leben abschalten. Natürlich war ich völlig unvorbereitet auf diese Situation. Letztlich ist es wahrscheinlich jeder und jede, egal wie alt er oder sie ist. Ich habe aber auch am Sterbebett gestanden und miterlebt, wie Sterben begleitet werden kann mit Schmerzlinderung, mit Nähe, mit dem Wissen der Profis, dass es kein Schema gibt, dass man nicht automatisch weiß, was dann gut für denjenigen oder diejenige ist. Von daher weiß ich auch, dass es Situationen gibt, in denen die Schmerzlinderung eben nicht mehr ausreicht. Ich glaube nicht, dass man im Vorhinein weiß, was man ertragen kann. Es gibt auch Situationen, wo Ärztinnen oder Ärzte und Sterbende spüren, dass es nicht mehr weitergeht und dass die Kraft nicht reicht. Wann dieser Moment gekommen ist, werden wir nicht allgemeinverbindlich und mit letzter Rechtssicherheit regeln können. Vor allem sollten wir uns davor bewahren, Sterbebegleitung zur Sterbehilfe werden zu lassen, organisieren zu lassen, zur Dienstleistung werden zu lassen und damit Menschen unter Druck zu setzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten des ganzen Hauses)

Hubert Hüppe hat nun das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4104582
Wahlperiode 18
Sitzung 66
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung
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