13.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 66 / Tagesordnungspunkt 3

Hubert HüppeCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Menschlichkeit in unserer Gesellschaft erweist sich daran, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht. Wenn wir heute über assistierte Selbsttötung debattieren, dann ist für mich der Kernpunkt die Frage: Was wird passieren, wenn erst einmal akzeptiert wäre, dass ich mithilfe eines Arztes oder einer Organisation aus dem Leben scheiden kann und dass das meine selbstbestimmte Entscheidung ist? Der Umkehrschluss ist: Dann trage ich selbst die Verantwortung dafür, wenn ich weiterleben will, und damit nicht nur die Ressourcen der Allgemeinheit in Anspruch nehme, sondern auch meine Angehörigen.

Ich habe in den letzten Wochen verdächtig viele Talkshows gesehen, in denen Sterbehelfer auftraten – oder vorgestern beispielsweise eine Frau, die ihre Mutter in die Schweiz fuhr, wo sie sich töten ließ – und bei denen ich das Gefühl hatte, dass das Ziel der Darstellung war, zu zeigen: Das sind die wirklich Mutigen. Das sind die, die die richtigen Entscheidungen treffen. – Mir fehlen in diesen Talkshows Leute wie der Kollege Müntefering, die nicht sagen: „Wir gehen diesen Weg“, sondern die sagen: Ich bin bis zuletzt dabei – auch wenn das hart ist –,ich halte die Hand, und ich genieße die Solidarität meiner Verwandten, meiner Angehörigen und meiner Freunde.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Es geht nicht nur darum, dass ein Erwartungsdruck ausgeübt wird, sondern auch darum, dass es schon gefährlich wäre, wenn er mit Blick auf die Solidarität der Gesellschaft als solcher empfunden würde und wenn nicht mehr das Schicksal, sondern der Patient selbst für sein Weiterleben verantwortlich wäre. Was mir an dieser Diskussion Sorge bereitet, ist, dass es nicht nur um Intendanten und Playboy-Legenden geht, sondern dass wie in Belgien und Holland irgendwann auch über die Frage diskutiert wird: Was ist eigentlich mit Menschen, die behindert zur Welt kommen, die schon am Anfang nicht bis 100 zählen können und es am Ende ihres Lebens auch nicht können, die inkontinent sind, die ihren Stuhl nicht halten können? Das können manche Menschen mit Behinderung von Geburt an nicht. Sie werden es nie können. Natürlich wird dieser Dammbruch nicht von heute auf morgen kommen. Aber das Beispiel anderer Länder hat gezeigt, dass es immer größere Löcher gibt, wenn dieser Damm erst einmal gebrochen ist.

Frau Künast hat gesagt: Es gibt da keine Zahlen. – Meine Damen und Herren, ich habe hier die Priorisierungsliste aus Oregon.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutschland! Ich rede von Deutschland!)

– Ich erwähne Oregon, weil Herr Lauterbach das heute Morgen im Fernsehen als Beispiel gebracht hat. – Dort steht, was die, die auf die staatliche Gesundheitshilfe angewiesen sind, noch an Leistungen bekommen. Es steht ausdrücklich darin, dass die Leistungen unter dem Gesichtspunkt der Effizienz ausgewählt worden sind. Eines wird immer bezahlt: die assistierte Selbsttötung. Während andere Therapien ausgeschlossen oder rationiert werden,

(Christine Lambrecht [SPD]: Bei uns doch nicht!)

wird die assistierte Selbsttötung durch den Arzt garantiert. Davor habe ich Angst. Wenn es so ist, wie die offiziellen Zahlen aus Oregon sagen – ich will sie noch einmal nennen; man muss einfach einmal sehen, welche Entwicklungen es geben könnte –, dass inzwischen über die Hälfte, nämlich 53,2 Prozent, derjenigen, die in Oregon den assistierten Suizid in Anspruch nehmen, Menschen sind, die nur noch diese medizinische Mindestversorgung beanspruchen können, dann zeigt das, dass es die armen Menschen und es, wie gesagt, nicht diese bekannten Persönlichkeiten trifft, denen die Solidarität der Gesellschaft entzogen wird, dass es also zumindest die alten, vereinsamten Menschen sind. Übrigens sind es zu einem großen Teil die Frauen, die einsam sind, die schlecht versichert sind, bei denen keiner mehr da ist, der ihnen Mut zuspricht.

Ich glaube – wir sprechen ja sehr viel über Inklusion; ich persönlich ja insbesondere –, dass es bei solchen Menschen auch um Inklusion, um Teilhabe geht, dass auch diese Menschen ein Recht auf Teilhabe haben.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Ich halte es für äußerst gefährlich, wenn wir den Arzt zum Sterbehelfer machen, der seinen Patienten bei ihrer Selbsttötung hilft. Das wird den kranken, behinderten und sterbenden Menschen die Solidarität entziehen, und das möchte ich nicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort erhält nun der Kollege Matthias Birkwald.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4104583
Wahlperiode 18
Sitzung 66
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung
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