Kerstin GrieseSPD - Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen und auch – denn dieses Thema geht uns alle an – liebe Bürgerinnen und Bürger! Wir reden über etwas sehr Grundsätzliches: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? In einer Gesellschaft, in der man in Würde leben und in Würde sterben kann. Ich wünsche mir, dass wir eine solidarische Gesellschaft sind, eine sorgende Gesellschaft, die sich um Menschen kümmert und sie nicht allein lässt, die die Ängste von Menschen aufgreift, die oft einsam und alt sind und die Angst haben – das hören Sie immer wieder, wenn Sie in Pflegeheime gehen –, jemandem zur Last zu fallen. Dem müssen wir etwas entgegensetzen. Dem müssen wir eine Kultur des Lebens, eine helfende Gesellschaft, eine sorgende Gesellschaft entgegensetzen, die Menschen in schwerer Krankheit hilft und ihre Schmerzen lindert.
Die Antwort der Gesellschaft darf meines Erachtens nicht der Todestrank auf dem Nachttisch für den Suizid sein. Die Antwort sollten auch nicht organisierte Vereine sein, die Sterbehilfe als ihr Geschäft anbieten. Die Antwort darf auch nicht sein, dass wir quasi einen Anspruch auf assistierten Suizid gesetzlich verankern, der als Regelleistung der Krankenkassen abrufbar ist. Das wird dem Einzelfall nicht gerecht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der LINKEN)
Wir müssen stattdessen alles tun, damit Menschen im Leben gestärkt, im Leben und im Tod begleitet und bestmöglich palliativ behandelt werden. Und wir müssen mehr tun, um Suizidprävention – gerade bei jungen Menschen – zu verstärken. Da tun wir noch viel zu wenig. „ Lebenshilfe statt Sterbehilfe“ hat das der an ALS erkrankte Tagesspiegel-Journalist Benedict Mülder diese Woche genannt. In seinem Beitrag, der mich sehr berührt hat, schreibt er: „Autonomie ist nur in Gemeinschaft denkbar.“ Das ist ein wichtiger Satz; denn auch der erkrankte Mensch braucht ein Umfeld aus Familie, Freunden, Pflegenden und Ärzten. Wir sollten alles dafür tun, damit sie mit ihm gemeinsam Entscheidungen treffen können. Selbstbestimmung geschieht immer in Gemeinschaft.
Gleichzeitig – das ist mir genauso wichtig – wollen Eva Högl und ich in dem Positionspapier, das wir Ihnen vorgelegt haben, alle jetzt bestehenden Freiräume ärztlichen Handelns am Ende des Lebens erhalten, sowohl die indirekte Sterbehilfe, die passive Sterbehilfe, den Behandlungsabbruch, die Behandlungsunterlassung – wir hören immer wieder, dass Ärzte eher zu viel behandeln am Lebensende – und auch die palliative Sedierung, die in Kauf nimmt, dass der Tod früher eintreten kann, wenn schmerzlindernde Medikamente in hoher Dosis gegeben werden.
Wir schlagen Ihnen deshalb einen Weg der Mitte vor. Wir wollen kein Verbot der ärztlichen Maßnahmen, die heute möglich sind. Wir wollen, dass Beihilfe zum Suizid und auch der Suizid straffrei bleiben. Aber wir sagen ein klares Nein zu Vereinen und Einzelpersonen, die organisiert und als Geschäft Sterbehilfe betreiben. Das halten wir für ethisch nicht verantwortbar.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Wir haben lange überlegt, wie man diese Vereine verbieten kann, und sind nach Prüfung darauf gekommen, dass das nur über das Strafrecht möglich ist. Aber im Mittelpunkt der Debatte, die wir heute im Bundestag beginnen und die wir auch noch eine Weile führen werden, muss zuallererst stehen, dass wir Menschen über die heutige Rechtslage, über Patientenverfügungen, über Möglichkeiten der Palliativmedizin aufklären. Ich bin froh, dass die Debatte schon erste Ergebnisse gezeigt hat und jetzt vonseiten der Gesundheitspolitiker ein Papier zum Ausbau von Hospizen und der Palliativmedizin vorliegt. Das ist dringend nötig.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht ja darum, dass wir alle möglichst selbstbestimmt und schmerzfrei leben und sterben wollen. Ich möchte dazu den bisherigen EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider zitieren, der in dieser Woche gesagt hat:
Dieser Satz ist wichtig, denn diese Debatte muss in dem großen Zusammenhang der Achtung vor dem Leben geführt werden, und uns ist wichtig zu betonen, dass auch das leidende, das schwerkranke, das behinderte Leben ein würdiges Leben ist und geachtet wird.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Uns bewegt zu Recht die Rolle der Ärztinnen und Ärzte; dazu ist hier auch schon viel ausgeführt worden. Ich habe in Gesprächen sehr viele verantwortungsbewusste Medizinerinnen und Mediziner erlebt, die mit dem Freiraum umgehen können. Trotzdem sagen wir: Das muss im ärztlichen Standesrecht geklärt werden. Wir plädieren für eine Regelung, die besagt, dass Ärzte keine Sterbehilfe leisten sollen, weil selbstverständlich der Grundsatz bestehen bleibt, dass sie das nicht tun sollen, aber Einzelfälle individuell zu bewerten sind.
In dieser Woche hat die Deutsche PalliativStiftung deutlich gemacht, dass sie die Rechtslage, so wie sie ist, für gut halten, dass keine Unsicherheit besteht, wenn Ärztinnen und Ärzte ihren Freiraum nutzen. Ich will ausdrücklich betonen: In Deutschland ist noch nie ein Arzt wegen Beihilfe zum Suizid belangt worden, noch nie! Das ist nicht strafbar.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Bei uns ist eindeutig aktive Sterbehilfe und Tötung auf Verlangen verboten. Wir halten diese Abgrenzung auch für genau richtig.
Die schwierigen ethischen Fragen am Ende des Lebens können meines Erachtens nicht dadurch gelöst werden, dass man in einem Gesetz sieben Bedingungen festschreibt, wann Sterbehilfe geleistet wird. Wir werden Ärztinnen und Ärzte auch dazu nicht verpflichten können; denn es bleibt für sie eine Gewissensentscheidung. Wir müssen sie stattdessen besser ausbilden. Ethische Fragen, Palliativmedizin und Hospizarbeit müssen in der medizinischen und pflegerischen Ausbildung einen viel größeren Raum einnehmen.
Hier wird mit teilweise wirklich furchtbaren Krankheitsbildern – diese Menschen haben mein volles Mitgefühl – der Eindruck hervorgerufen, als müsste man in Deutschland elendiglich sterben und niemand würde einem helfen. Das ist falsch; das macht Angst. Einen solchen Eindruck zu erzeugen, ist unverantwortlich. Deshalb ist Aufklärung darüber, was möglich ist, so wichtig.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ziel unserer Debatte sollte sein, dass niemand mehr sagt: Ich will in die Schweiz, hier hilft mir keiner. – Ziel sollte sein, dass niemand mehr sagt: Ich habe Angst, jemandem zur Last zu fallen, und deshalb bringe ich mich lieber selber um. – Unser Ziel sollte sein, dass alle Menschen die bestmögliche palliative Versorgung bekommen, dass Hospize ausgebaut und finanziert werden, dass allen Menschen, die ihn brauchen, früh genug ein Hospizplatz angeboten werden kann, dass man sich dort liebevoll und intensiv um jeden Einzelnen kümmern kann. Dann sind wir eine sorgende Gesellschaft, die das Leben achtet und die weiß, dass der Tod zum Leben dazugehört.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Vielen Dank, Kerstin Griese. – Einen schönen guten Morgen von meiner Seite. – Nächste Rednerin: Lisa Paus.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4104642 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 66 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung |