Thomas RachelCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren derzeit sehr intensiv über Begriffe wie Sterbehilfe, Selbsttötung oder Beihilfe zum Suizid. Darin offenbart sich eine schwierige Engführung der Herausforderung, vor der wir ethisch und politisch stehen; denn Aufgabe des Gesetzgebers kann es doch nur sein, die bestmögliche Hilfe beim Sterben, aber nicht die Hilfe zum Sterben zu organisieren und zu gewährleisten.
Im Zentrum unserer Bemühungen steht der schwerstleidende Mensch selbst. Aber der schwerstleidende Mensch will in aller Regel überhaupt nicht selbst seinem Leben ein Ende setzen, sondern möchte sein Leiden vermindern und seine letzte Lebensstrecke in einer erträglichen Art und Weise erleben. Deshalb sollte sich unser ganzes Bemühen auch genau auf dieses Ziel konzentrieren: Leiden und Schmerzen nach Menschenmöglichkeit zu mindern, persönliche Fürsorge und Betreuung zu leisten und die beste palliativmedizinische und hospizliche Versorgung für alle in unserem Lande sicherzustellen.
Jede Ethik, jedes Nachdenken darüber, was der Mensch tun oder lassen soll, spiegelt immer auch ein Stück weit das zugrunde liegende Menschenbild wider. Wie wir miteinander und mit uns selbst umgehen, hat seinen Grund und Ausgangspunkt zuallererst in der Art, wie wir uns und die anderen Menschen sehen bzw. sehen wollen.
Entsprechend dem christlichen Menschenbild, dem wir uns als CDU/CSU besonders verpflichtet fühlen, steht der leidende Mensch in besonderer Weise im Mittelpunkt. Dabei gehören Selbstbestimmung und Solidarität, Freiheit und Verantwortung, Selbst- und Nächstenliebe untrennbar zusammen. Selbstsorge und Fürsorge für andere sind untrennbar miteinander verbunden, weil der Mensch aus christlicher Sicht ein Beziehungswesen ist. Wir sind auf Beziehungen mit anderen Menschen – und ich ergänze: auch mit Gott – angewiesen. Der Kranke, Leidende und Sterbende steht nicht singulär mit seinem Schicksal allein, sondern darf auf die Unterstützung der Gemeinschaft bauen. Das ist letztlich eine Grundhaltung, die auch für andere Religionen prägend sein kann und prägend ist. Und gerade diese notwendige – im Sinne von „die Not wirklich wendende“ – Unterstützung dürfen wir dem betroffenen Menschen nicht versagen.
In der evangelischen Ethik unterscheiden wir zwischen der individualethischen und der sozialethischen Perspektive. In Grenzerfahrungen des menschlichen Lebens, in Situationen schwersten Leidens wissen wir um die ganz tiefen Gewissenskonflikte, die die Betroffenen und ihre nächsten Angehörigen ereilen. Wir kennen solche Grenzfälle, in denen – auch wenn man dies selbst nicht bejahen kann – Beihilfe zum Suizid geleistet und persönlich verantwortet wird.
Evangelische Ethik weiß, dass zu einem ethischen Handeln auch die Übernahme von Schuld gehört. Eine organisierte Form der Beihilfe zum Suizid muss aber unter sozialethischen Gesichtspunkten betrachtet werden, weil sie sich auf die gesamte Gesellschaft auswirkt. Was allenfalls als Ausnahme aufgrund einer persönlich verantworteten Entscheidung infrage kommen kann, darf nun nicht rechtlich geregelte Normalität werden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Der Vorschlag für solche Grenzfälle, die Möglichkeit des ärztlich assistierten Suizids rechtlich genauer zu regeln, birgt mindestens zwei Gefahren. Erstens würden wir die Beihilfe zum Suizid, wenn auch nur in Ausnahmefällen, zur ärztlichen Aufgabe machen. Damit würde das Berufsbild des Arztes, der doch dem Leben verpflichtet ist, verändert, ich würde sagen: beschädigt. Es bedarf keiner weiteren Verrechtlichung des Arzt-Patienten-Verhältnisses. Zweitens könnte sich die Einstellung in unserer Gesellschaft zum Suizid sowie zur Beihilfe zum Suizid verändern. Dieser würde vermutlich nicht mehr als tragischer Einzelfall, sondern als „normale“ Möglichkeit empfunden.
Machen wir uns doch nichts vor: Suizid, in welcher Form auch immer, hinterlässt Spuren bei den Hinterbliebenen und in der gesamten Gesellschaft. Ein Gesetz kann der Ausnahmesituation des persönlichen und individuellen Sterbens nicht gerecht werden. Eigentlich ist der Gedanke sogar vermessen. Deshalb erscheint der Ruf nach gesetzlicher Regelung der Beihilfe zur Selbsttötung genauso irreführend. Aus der tragischen Not individueller Ausweglosigkeit kann keine gesetzgeberische Tugend, quasi ein einklagbarer Normalfall werden.
Ich sage deshalb abschließend: Was wir brauchen, ist ein Verbot der gewerblichen und organisierten Form der Sterbehilfe; denn hier wird Hilfe versagt, wo doch Hilfe notwendig wäre. Mit Blick auf die Beihilfe zum Suizid benötigen wir keine Maßnahme des Gesetzgebers. Stattdessen brauchen wir einen flächendeckenden und konsequenten Ausbau von Hospizen sowie beste ambulante und stationäre palliativmedizinische Versorgung. Jetzt geht es um die Verantwortung für das Leben und nicht für den schnellen Weg aus dem Leben.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank, Thomas Rachel. – Nächste Rednerin ist Pia Zimmermann.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4104720 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 66 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung |