13.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 66 / Tagesordnungspunkt 3

Rudolf HenkeCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Fechner hat von der Frage gesprochen, ob man nicht doch diese Vereine verbieten sollte. Es hat ja zumindest – zuletzt 2012 – von dem prominentesten dieser Vereine, „Sterbehilfe Deutschland“, von Roger Kusch geleitet, eine Übersicht über das gegeben, was dort vollzogen worden ist. Von diesem Verein wird berichtet, dass 26 Personen im Jahr 2011 Sterbehilfe, Suizidassistenz in Anspruch genommen haben. Sechs dieser Suizidenten waren körperlich gesund, nur sechs weitere Personen litten überhaupt an einer tödlichen Krankheit. Bei neun ist der Suizid ohne jede Diskussion über Alternativen vollzogen worden. Das geht aus den Dokumentationen des Vereins selbst hervor. Solchen Geschäften, ob sie kommerziell betrieben werden oder im Gewand eines Vereins, der Mitgliedsbeiträge nimmt, solchen Usancen müssen wir, glaube ich, ein Ende bereiten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)

Ich komme zu dem Thema Wertungswiderspruch. In dem Positionspapier von Peter Hintze, Carola Reimann, Karl Lauterbach, Burkhard Lischka und anderen wird gesagt, es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn Patienten einerseits das Recht haben, dass ihre medizinische Behandlung auch gegen ärztlichen Rat auf Wunsch jederzeit abgebrochen werden kann, ihnen andererseits aber eine ärztliche Hilfe bei der selbstvollzogenen Lebensbeendigung vorenthalten wird. Wenn das ein Wertungswiderspruch ist, warum ist das dann nur ein Wertungswiderspruch in Situationen unerträglichen Leids, in Situationen, in denen Palliativversorgung nicht mehr möglich ist, in Situationen, in denen das Leiden so extrem ist, dass man – so hat es Herr Lischka eben ausgedrückt – von einem „Verrecken“ spricht? Wenn es in bestimmten Situationen möglich ist, die Behandlung abzubrechen, und es ein Wertungswiderspruch dazu ist, wenn man dann keine selbst vollzogene Lebensbeendigung mithilfe anderer als Anspruch durchsetzen kann, dann muss das eigentlich – gedanklich – immer gelten.

Im Übrigen ist meine Sorge, dass wir dann, wenn wir das realisieren, in der Tat mit einer gänzlich anderen Erwartung der Menschen konfrontiert sein werden, als sich mit dem Ausdruck der Suizidassistenz verbindet. Denn in Wirklichkeit wollen die Menschen doch nicht, dass der Arzt ihnen einen Becher mit Pentobarbital hinstellt, dann das Zimmer verlässt und sich nicht weiter um sie kümmert,

(Michael Brand [CDU/CSU]: Tja, aber wer soll es machen?)

sondern sie wollen doch, dass der Arzt da bleibt. Sie wollen auch, dass der Arzt sie dabei begleitet, dass er, wenn der Suizid nicht gelingt, irgendwie interveniert, dass er, wenn sie sich übergeben, irgendwie interveniert, dass er auch dann, wenn sie sich quälen, während sie sterben, interveniert. Was sie eigentlich wollen, ist eine komplette Präsenz und auch Herrschaft des Arztes über diesen Prozess. Deswegen sage ich: Die Abgrenzung zur Tötung auf Verlangen ist sehr, sehr unscharf, und diese Grenze wird mit der Zeit notwendigerweise verschwimmen.

Ich glaube, dass wir vor ein paar Missverständnissen stehen, die ausgeräumt werden müssen: Es ist oft die Rede davon gewesen, die Ärzte seien von einem Approbationsentzug bedroht. Ja, mit Sicherheit nicht durch die Ärztekammern.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Keine Ärztekammer in Deutschland kann die Approbation entziehen, sondern das ist eine Entscheidung, die von der dafür eingerichteten staatlichen Instanz – das sind in der ganz überwiegenden Zahl der Bundesländer die Bezirksregierungen – getroffen wird. Ich finde es auch sehr missverständlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn immer so getan wird, als sei einzig die Durchsetzung der Suizidabsicht ein Sterben in Würde. Was ist es denn, das nicht zu tun? Ist das kein Sterben in Würde?

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Das eine ist selbstbestimmt. Ist das andere nicht selbstbestimmt?

Es ist der Satz gesagt worden, die moderne Medizin würde dazu beitragen, dass es chronische Krankheiten, Siechtum, chronische Leiden und sichere Unheilbarkeitsprognosen gibt. Nein, das bringen unsere Bedingtheit als sterbliche Menschen und ein auch mit eigenem Leiden konfrontiertes Leben mit sich. Wir sollten uns davor hüten, den einen Helfern Hilfe zu attestieren und den anderen nicht.

Ich habe eine letzte Bitte. Wenn ich einmal sterbe, bin ich nicht bange vor Schmerzen; ich glaube, die Medizin konnte da noch nie besser helfen als heute. Ich bin aber bange davor, dass ich dann vielleicht alleine bin, dass mich keiner berührt, dass ich meine letzten Dinge nicht regeln kann und dass ich vielleicht nur wenige Chancen habe, nach dem Sinn zu fragen, ihn zu erfahren, ihn mit anderen zu besprechen. Deswegen: Palliativhilfe und das, was wir uns da jetzt vornehmen, sind viel, viel mehr als die Linderung körperlichen Leids. Es geht um die Überwindung des sozialen Todes eines Todkranken vor dem körperlichen Tod. Lassen Sie uns daran arbeiten!

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Vielen Dank, Rudolf Henke. – Nächster Redner: Patrick Schnieder.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4104865
Wahlperiode 18
Sitzung 66
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung
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