13.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 66 / Tagesordnungspunkt 3

Peter TauberCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Philosoph Ludwig Wittgenstein hat gesagt: Die Beschäftigung mit dem Tod ist eine gigantische Quelle für sprudelnde Lust am Leben. – Doch wenn das Leiden unerträglich, die Depression so stark und die Angst so groß wird, wo ist dann diese Lust am Leben? Wie viel Leben braucht es, und wie wenig Leben reicht aus, dass wir es wollen, daran festhalten und es wertschätzen? Wer mag das definieren?

Fakt ist: Viele Menschen in unserem Land haben Angst davor, beim Sterben zu leiden und alleine zu sein. Genau mit dieser Frage müssen wir uns intensiv beschäftigen. Das ist unsere Aufgabe. Es reicht deswegen nicht, teilweise auch mit Hinweis auf die deutsche Geschichte, die gewerbsmäßige und die organisierte Sterbehilfe unter Strafe zu stellen.

Wir müssen den Menschen sagen, dass wir alles dafür Notwendige tun, um die Hospizbewegung zu unterstützen. An dieser Stelle muss man allen, die sich dort engagieren, auch den Kirchen, ein großes Dankeschön sagen. Wir müssen alles dafür tun, um palliativmedizinische Angebote gerade auch im ländlichen Raum auszubauen. Darauf haben die Menschen einen Anspruch.

Trotzdem bleibt es dabei: Ich habe ein Problem damit, mir vorzustellen, dass aktive Sterbehilfe ein Bestandteil des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenkassen ist. Wir müssen am Ende mehr tun, als Leistungen bereitzustellen und abstrakt darüber zu reden. Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen: Was macht unsere Gesellschaft – gerade auch dann, wenn es auf das Ende des Lebens zugeht – menschlich und lebenswert?

Wie viele andere in der Debatte treibt auch mich ein Satz um, den Eltern, vielleicht manchmal ohne nachzudenken, zu ihren Kindern sagen: Ich will dir später nicht zur Last fallen. – Was ist das für ein Satz? Dort, wo Pflege in der Familie erfolgt, oft unter großen Anstrengungen und Entbehrungen, sind es meist Kinder, die ihre Eltern pflegen – bis zum letzten Tag.

Wenn man bedenkt, dass beim Sterben niemand allein ist, sondern immer jemand zurückbleibt, dann relativiert das, finde ich, den Satz „Mein Tod gehört mir“.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn wir sind soziale Wesen. Wer stirbt, lässt jemanden zurück.

Ich finde auch, dass Artikel 1 Grundgesetz uns verbietet, den Wert eines Lebens zu bemessen. Wenn das gilt, dann muss dieser Satz nicht nur im privaten Umfeld – ich glaube, dass viele Kinder ihren Eltern widersprechen, wenn sie diesen Satz sagen – infrage gestellt werden, sondern dann müssen wir allgemein widersprechen, wenn Menschen in unserer Gesellschaft das Gefühl haben, dass sie anderen zur Last fallen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Deswegen glaube ich, wir müssen mehr tun. Ich glaube, niemand muss sich wegen einer Depression umbringen oder daran sterben. Aber die Wahrheit ist: Wir haben natürlich Nachholbedarf im Bereich der palliativmedizinischen Versorgung und im Bereich der Hospizversorgung.

Mich treibt noch etwas anderes um – das merken wir immer wieder, auch in der heutigen Debatte –: Wir erwecken den Eindruck, als ob wir das Sterben gesetzlich regeln könnten. Wenn wir ehrlich sind, dann merken wir auch bei anderen Gesetzgebungsvorhaben, über die wir hier diskutieren und beschließen, dass es uns selten gelingt, eine Regelung zu treffen, die wirklich allen gerecht wird und alle umfasst. Und genau bei diesem Thema glauben wir, dass wir das können? Da bin ich persönlich skeptisch.

Die heutige Debatte ist trotzdem ein Gewinn, ein Gewinn für uns alle und wahrscheinlich auch für viele Menschen, die sich intensiv mit dem Tod eines Angehörigen oder vielleicht sogar mit dem eigenen Sterben befassen. Das, was Ärzte hier oft leisten, und zwar nicht als Dienstleistung im Gesundheitswesen, sondern gegenüber einem Menschen, der ihnen als Patient oft lange anvertraut ist, wird, glaube ich, allerhöchstens standesrechtlich neu zu regeln oder klarer zu fassen sein, aber nicht durch den Gesetzgeber im Deutschen Bundestag. Wenn das so ist, dann ist ein wichtiger Beitrag, den wir leisten können, dass wir über Tod und Sterben sprechen; denn je mehr wir darüber sprechen, desto mehr verliert der Tod seinen Schrecken. Je mehr der Tod seinen Schrecken verliert, desto weniger werden Menschen in der Selbsttötung einen Ausweg sehen.

Ich glaube fest daran, dass wir unser Leben im Bewusstsein des eigenen Todes besser bewältigen können. Wie heißt es im 90. Psalm so treffend:

Das wünsche ich uns allen in dieser schwierigen Debatte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Dr. Peter Tauber. – Nächster Redner ist Thomas Lutze.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4104927
Wahlperiode 18
Sitzung 66
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung
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