13.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 66 / Tagesordnungspunkt 3

Lars CastellucciSPD - Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es steht nicht uns zu, zu bewerten, ob diese Debatte hier heute eine gute Debatte ist. Das sollen die Menschen entscheiden, die ihr folgen. Aber für mich als Abgeordneten ist es doch neu und beispielgebend, dass wir uns Zeit nehmen und dass wir über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg eine Orientierungsphase ermöglichen. Ich frage mich, ob wir so etwas nicht häufiger ermöglichen könnten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will sagen, was ich teile: Ich teile die Meinung, dass wir den Bereich der palliativen Versorgung massiv ausbauen müssen. Ich teile die Meinung, dass wir das Gleiche mit der Hospizarbeit tun müssen, damit diese auch auf dem flachen Land erreichbar wird. Wir müssen dann nicht nur spezialisierte Dienste finanzieren, sondern auch Ärztinnen und Ärzte, die dort tagtäglich ihren Dienst tun.

Wir brauchen – das ist ein Thema, das mir besonders wichtig ist und das ich in dieser Debatte stärken möchte – eigentlich flächendeckend Patientenverfügungen oder Vorsorgevollmachten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich glaube, mit diesem Instrument lösen wir die größten Konflikte, denen die Menschen in diesen Fragen immer begegnen müssen. Wir wissen, dass das rückläufig ist. Deswegen müssen wir hier überlegen, wie wir das stärken können.

Wir müssen auch die ärztlichen Freiräume sichern, und wir müssen in die Aus- und Weiterbildung in diesem Bereich investieren. Auch für mich steht fest: Ich will kein Geschäft mit dem Tod, ich will nicht, dass ausgerechnet wird, ob der „Oma ihr Häuschen“ schon draufgeht oder ob man die Sache nicht beschleunigen kann. Das ist nicht die Gesellschaft, an deren Aufbau wir mitwirken wollen. Ich kann mir auch keine Abrechnungsziffer für Sterbedienstleistungen vorstellen.

Mit all dem, was ich gesagt habe, glaube ich, dass niemand in Deutschland einen Qualtod sterben muss, den hier einige angesprochen haben, wenn wir diesen Ausbau wirklich schaffen.

Lassen Sie mich zwei Punkte ansprechen, die mir in der Debatte ein Stück weit fehlen und die ich ergänzen möchte. Der eine Punkt ist: Ich bin für den Ausbau professioneller Dienste, aber ich spüre gleichzeitig eine Sehnsucht der Menschen nach Zuwendung, einer Zuwendung, die eben nicht professionell ist, nicht Dienstleistung ist, nicht Service ist, nicht unter Zeitdruck steht, nicht bürokratisch ist und bei der der oder die Pflegende nicht gleich wieder weg ist. Es geht einfach um Menschen, die da sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen müssen wir die Debatte ein Stück weiter führen. Wir müssen schauen, wo der Raum und die Zeit sind, die wir den Menschen wieder neu schenken müssen, eine Zeit, die doch von Verdichtung und Beschleunigung geprägt ist, damit sie dieses Füreinander-Dasein in ihrem Alltag leben können.

Die Umfragen sind für mich ein Schrei gegen die Einsamkeit. Deswegen müssen wir hier aktiv werden, eben nicht nur professionell. Wir müssen die Gesellschaft ein Stück weit befreien, zu sich selbst.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Selbstbestimmung: Liebe Kolleginnen und Kollegen, übertreiben wir es nicht mit diesem Wort von der Selbstbestimmung! Wir alle sind hier für Selbstbestimmung, aber wir alle kommen völlig abhängig auf diese Erde, und wir sind auf andere angewiesen. Dann werden wir erwachsen und stärker, und dann sind wir auch selbstbestimmter. Aber wir sind genauso weiter auf andere angewiesen. So ist der Mensch.

Deswegen schmerzt mich dieser Satz so, dass man einem anderen nicht zur Last fallen möchte. Das ist unmenschlich. Der Mensch fällt immer auch anderen zur Last. Das gehört zu unserem Schicksal. Einer trage des anderen Last, das ist die Botschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

So wie wir als Kinder unseren Eltern natürlich Freude bereitet haben, aber ihnen auch zur Last gefallen sind, so dürfen – das will ich allen Eltern in Deutschland zurufen – auch die Eltern ihren Kindern zur Last fallen. Das ist das Land, das wir brauchen. Wo es keine Kinder gibt oder sie weit weg sind oder wenn man sich mit den Kindern nicht ausreichend versteht, dann, ja, sind spätestens die professionelle Hilfe und Zuwendung nötig, die ausbauen zu wollen wir uns hier in die Hand versprechen.

Meine Damen und Herren, niemand soll in Schmerzen sterben, und niemand soll allein sterben. Das sind für mich die Hauptaufgaben, vor denen wir stehen: Niemand soll in Schmerzen sterben, und niemand soll allein sterben. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, allen zu danken. Ich denke dabei auch an die vielen, die in den Hospizen freiwillig oder als Hauptamtliche arbeiten, an die Ärztinnen und Ärzte, an das Pflegepersonal. Sie alle setzen sich dafür schon heute nach Kräften und unter Bedingungen, die immer zu verbessern sind, ein. Ihnen allen ein herzliches Danke von dieser Stelle von diesem Hause aus.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Vielen Dank, Lars Castellucci. – Nächste Rednerin: Corinna Rüffer.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4104943
Wahlperiode 18
Sitzung 66
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung
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