Valerie WilmsDIE GRÜNEN - Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Jeder Mensch kommt auf die Welt und verlässt diese auch wieder. So ist der Lauf der Dinge. In einem langen Prozess der Schaffung einer modernen, aufgeklärten und demokratischen Gesellschaft haben wir es geschafft, den Menschen verbindliche Rechte mitzugeben. Es ist uns sogar gelungen, nach vielen Gräueln durch Kriege, die Menschenrechte weltumspannend in der Charta der Vereinten Nationen zu fixieren. Dafür sind wir heute dankbar.
In Deutschland wurde die Todesstrafe erst vor drei Generationen abgeschafft. Die Gesellschaft war bis zu dieser Zeit Richter über Leben und Tod. Das entspricht nicht dem Verständnis von Menschenrechten, das wir heute in einer aufgeklärten, modernen Gesellschaft haben. Darum bin ich froh, in Deutschland zu leben, wo die Menschenrechte Verfassungsrang haben. Allein ein Blick in den Artikel 1 unseres Grundgesetzes zeigt uns, welche Aufgabe wir als Abgeordnete unseres gesamten Volkes haben, also als Delegierte auf Zeit:Wir müssen die Würde der Menschen hier im Land und ihre Menschenrechte schützen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Zur Menschenwürde gehört auch, sich bei klarem Verstand für einen frei verantwortlichen Suizid zu entscheiden. Bettina Schöne-Seifert zeigt in ihrem sehr nachdenklichen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vor wenigen Tagen deutlich, dass es dabei nicht um Suizidabsichten im Affekt oder unter Drogen geht. Frei verantwortliche Selbsttötung ist in Deutschland zulässig. Das ist unbestritten, seit nunmehr 250 Jahren.
Derzeit lassen wir diese Menschen aber mit ihrem Wunsch allein. Sie erhalten keine ärztliche Hilfe. Sterbehilfe ist hier nach dem Trauma der menschenverachtenden Naziherrschaft ein Tabuthema. Wenn ich jedoch dieses Thema anspreche, dann schallt mir in breiter Front der Wunsch entgegen, bei Bedarf selbst aus dem Leben scheiden zu können, und das in Würde. Ich habe den Eindruck, viele Menschen wünschen sich hier endlich eine Lösung von der Politik; sie wünschen sich, wenn nötig, ärztliche Hilfestellung bei der Erfüllung des Wunsches, selbst aus dem Leben zu scheiden.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Dürfen wir das den Menschen in unserem Land länger vorenthalten? Das ist nach meiner Auffassung die zentrale Frage, über die wir im Rahmen der Debatte zur Sterbehilfe entscheiden müssen. Oder wollen wir den Kopf weiter in den Sand stecken? Dann sind diese Menschen in unserem Land bei der Erfüllung ihres Sterbewunsches weiterhin darauf angewiesen, eine brutale Form der Lebensbeendigung zu wählen. Es gibt viele brutale Methoden, das Leben zu beenden, und häufig werden dabei auch nicht betroffene Menschen traumatisiert oder verletzt; ich denke da zum Beispiel an ICE-Lokführer.
(Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Werte Kolleginnen und Kollegen, solch würdelose Methoden dürfen wir den Menschen hier im Lande nicht mehr länger zumuten.
(Michael Brand [CDU/CSU]: Wer will das?)
Wie kann eine Lösung aussehen, die ein würdevolles selbstbestimmtes Sterben ermöglicht, ohne dass dabei andere Menschen gefährdet werden? Sie liegt sicherlich nicht darin, weiterhin aktive Sterbehilfe zu verbieten, nicht darin, zu versuchen, die schon vorhandenen Sterbehilfevereine zu verbieten, auch nicht darin, Ärzten mit dem Standesrecht zu drohen, oder darin, Palliativmedizin als Ersatz anzubieten.
Gerade die Palliativmedizin wird oft vordergründig als Lösung angeboten, um ein „schmerzloses Sterben in Würde“ zu ermöglichen. Aber reicht ein mögliches Sterben in Schlafnarkose wirklich aus, um die Selbstbestimmung der Menschen beim Sterben zu gewährleisten? Dazu sage ich eindeutig Nein. Denn diejenigen, die ein selbstbestimmtes Sterben erbitten, erleben den mit der Palliativmedizin verbundenen Autonomieverlust als entscheidende Einschränkung ihrer Handlungsmöglichkeiten. Wir nehmen ihnen am Ende die Kontrolle über den eigenen Körper und die Kommunikation mit anderen Menschen. Mit dem Ausweg Palliativmedizin wird ihnen eine Unmündigkeit ihres eigenen Handelns aufgezwungen, nach der Devise: Schmerzfreiheit ja, aber durchhalten müssen sie schon bis zum natürlichen Ende. – Nirgendwo in unseren Gesetzen steht geschrieben, dass wir ein naturgewolltes Ende unseres Lebens zwingend abwarten müssen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, werfen wir einen Blick auf den Fall Udo Reiter, ein aktuelles Beispiel aus der Gesellschaft. Der ehemalige Intendant des MDR hat sich dazu entschieden, in freier, eigener Verantwortung aus dem Leben zu scheiden. Dazu musste er sich eine Waffe besorgen. Muss das heute wirklich noch sein?
(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Dr. Eva Högl [SPD]: Das wollen wir auch nicht!)
Werfen wir einen Blick über die Landesgrenzen, nach Holland oder Belgien. Dort gibt es nicht nur eine akzeptierte und transparente Praxis der Sterbehilfe; sogar die aktive Sterbehilfe ist erlaubt. So ist für Betroffene wirklich Selbstbestimmung möglich, auch bei der Beendigung ihres Lebens, ohne die Gefährdung anderer. Von einem Anstieg der Suizidzahlen ist dort nichts zu erkennen, auch wenn das fälschlicherweise immer wieder behauptet wird.
Lassen Sie mich hier zu meinen Schlussfolgerungen kommen. Wir sollten hier in diesem Parlament nicht nach Verboten suchen, sondern eine Lösung finden, mit der jeder frei verantwortbare Wunsch nach Suizid akzeptiert wird. Die dafür nötige auch ärztliche Hilfe müssen wir ermöglichen. Sie darf weder unter Strafe gestellt werden noch einer standesrechtlichen Sanktion unterstehen. Nur so schaffen wir den von vielen Menschen hier im Land gewünschten Sterbehilfeliberalismus.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr. Kristina Schröder, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute viel über Menschenwürde gesprochen, und wir sind uns alle einig: Dem menschlichen Leben kommt in jedem Stadium und in jeder Situation die unveräußerliche Menschenwürde zu. Niemand kann und darf von außen sagen, dass menschliches Leid, so unerträglich es ist, mit der menschlichen Würde nicht vereinbar sei, zumal es doch immer wieder erstaunlich und für uns Gesunde auch hoffnungsstiftend ist, zu sehen, wie sehr schwerstkranke Menschen, die aus unserer Sicht physisch und psychisch Schreckliches erdulden müssen, ihr Leben als lebenswert und jeden Tag als sinnstiftend und beglückend empfinden.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört nicht auch zur Menschenwürde, dass der Mensch selbst das Gefühl hat, über sie zu verfügen? Wenn alle palliativmedizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind und ein sterbender Mensch sein eigenes Leid und das, was es mit ihm anrichtet, selbst nicht mehr als seiner Menschenwürde gemäß empfindet – was ist dann? Natürlich ändert dieses subjektive Empfinden nichts an seiner objektiven Menschenwürde; das ist glasklar. Aber haben wir in einer solchen Situation wirklich das Recht, zu sagen: „Das musst du jetzt ertragen“? Ich glaube, dass es in diesen wenigen Fällen, um die es uns hier geht, ein Gebot der Nächstenliebe und auch ein Gebot der Menschenwürde ist, diesen Menschen zu ermöglichen, so zu sterben, wie sie es ihrer eigenen Menschenwürde gemäß empfinden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Viele Redner – auch in der heutigen Debatte – haben trotz unterschiedlicher Positionen anerkannt, dass es diese menschlichen Grenzsituationen gibt. Viele sagen dann jedoch: Aber das sollten wir nicht explizit gesetzlich regeln. Einen ärztlich assistierten Suizid in so einer Situation müssen die Mediziner selbst verantworten. – Ich finde diese Haltung, ehrlich gesagt, ein wenig feige. Wenn wir heute als Gesetzgeber sagen: Ja, es gibt diese menschlichen Grenzsituationen – selten zum Glück, aber es gibt Situationen, in denen die Palliativmedizin versagt, in denen der ärztlich assistierte Suizid eine menschliche Antwort sein kann –, dann, finde ich, müssen wir als Gesetzgeber auch den Mut haben, dies in Gesetzesform zu bringen. Denn sonst waschen wir zwar unsere Hände in Unschuld, überlassen es aber dem Patienten, dem sterbenskranken Patienten, abwägen zu müssen. Er muss dann abwägen: Bitte ich meinen vertrauten Arzt um Beistand, auch wenn er dadurch in Zukunft vielleicht seinen Beruf nicht mehr ausüben kann? Oder will ich diese Verantwortung nicht tragen und suche deswegen doch nach anderen Wegen des Suizids? – Diese Wege sind fast immer qualvoller und würdeloser, als es eine professionelle und empathische Unterstützung durch den Arzt sein kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass viele von Ihnen das Bauchgefühl haben, dass unsere geltenden gesetzlichen Regelungen im Bereich der Sterbehilfe eigentlich ganz gut sind. Die organisierte Sterbehilfe wollen viele verbieten; das unterstütze ich auch. Aber ansonsten – so ein verbreitetes Empfinden – gibt es keinen großen Regelungsbedarf; wir lassen bereits heute einen angemessenen Freiraum, in dem Patient, Arzt und Angehörige einen guten Weg finden können.
Gerade diejenigen unter Ihnen, die dieses Gefühl haben, bitte ich, sich unsere Initiative ganz genau anzuschauen. Sie werden feststellen, dass unser Weg ein sehr behutsamer ist.
In diesem Zusammenhang wende ich mich besonders an die Kolleginnen und Kollegen in der Unionsfraktion. Sie alle kennen und schätzen Peter Hintze. Deswegen denken jetzt bestimmt ganz viele unter Ihnen: Peter Hintze ist wieder einmal mit einem total liberalen Kurs unterwegs. Liebe Kolleginnen und Kollegen: Das ist er diesmal nicht! Die Initiative, die Peter Hintze gemeinsam mit Kollegen anderer Fraktionen angestoßen hat, will an den bestehenden Regelungen nur ganz behutsame Korrekturen vornehmen.
(Dr. Eva Högl [SPD]: Ganz behutsam!)
Die aktive Sterbehilfe ist verboten und soll verboten bleiben. Die ärztliche Assistenz beim Suizid ist bereits jetzt in Deutschland vom Gesetzgeber nicht verboten. Wir wollen sie lediglich erstmals explizit zivilrechtlich regeln, um den Ärzten mögliche standesrechtliche Konsequenzen zu ersparen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Brand [CDU/CSU]: Das wäre ein Paradigmenwechsel!)
Das sind behutsame Änderungen, für die wir werben; denn in unserer heutigen Regelung steckt schon viel: an menschlicher Erfahrung, an gesetzgeberischer Beschränkung und an Respekt vor dem Sterbenden und seinen Angehörigen. Ich bitte Sie, uns auf diesem behutsamen Weg zu unterstützen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Edgar Franke, SPD-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4104996 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 66 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum Thema: Sterbebegleitung |