Daniela KolbeSPD - Langzeitarbeitslosigkeit
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie gestatten mir, dass ich die Tonlage jetzt ein bisschen in Richtung Sachlichkeit verschiebe.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich möchte mich zunächst bei der Fraktion der Linken dafür bedanken, dass sie ein sehr wichtiges Thema anspricht, das für uns Sozialdemokraten eins der ganz zentralen ist. In der Tat haben wir in unserem Land mehr als 1 Million Menschen, die langzeitarbeitslos – sie sind also länger als ein Jahr ohne Erwerbstätigkeit – sind, und das, obwohl die Arbeitsmarktlage äußerst gut ist. Wir sehen, in diesem Bereich bewegt sich nichts, und das bewegt uns sehr. Denn hinter jedem dieser mehr als 1 Million Menschen steckt ein Schicksal, von dem oft auch weitere Menschen, etwa der Partner oder die Partnerin oder auch Kinder, betroffen sind. Jeder, der Betroffene kennt, weiß, was Langzeitarbeitslosigkeit aus ihnen und ihren Familien macht und wie stark das zerstörerische Potenzial von Langzeitarbeitslosigkeit ist.
Langzeitarbeitslosigkeit hat auch objektive Auswirkungen, und zwar manifeste: auf den Gesundheitszustand der Betroffenen, auf deren psychisches Wohlbefinden – es ist nachweisbar deutlich schlechter –, auf die Lebenschanchen der betroffenen Kinder aus den Bedarfsgemeinschaften, aber auch – wenn viele Menschen keine Perspektive mehr sehen – auf ganze Stadtteile.
(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist alles richtig!)
Deswegen ist es richtig und wichtig, dass Ministerin Andrea Nahles dieses Thema auf die Agenda gesetzt hat, und zwar nicht erst letzte Woche im Ausschuss. Ich kann mich an kaum eine Rede der Ministerin hier im Plenum erinnern, in der sie das Thema „Perspektiven für Langzeitarbeitslose“ nicht auf das Tableau gehoben und nicht als eines der für sie wichtigsten Themen adressiert hat.
(Beifall bei der SPD)
Das trägt dazu bei, dass ein Thema, das sonst gerne verdrängt wird, sichtbar gemacht wird. Brigitte Pothmer, ich finde den Vorwurf, dass sich Andrea Nahles mit diesem Thema profilieren will, wirklich vollkommen daneben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])
In der Tat, in den vergangenen Jahren hat es eine ganz starke Kürzung in diesem Bereich gegeben und auch eine Instrumentenreform, die dazu beigetragen hat, dass wir den Betroffenen relativ wenig Lebenschancen anzubieten haben. Andrea Nahles will das jetzt verändern und kehrt den Trend damit deutlich um. Wir finden uns jedenfalls nicht damit ab, diese Menschen zu Hause sitzen zu lassen und ihrem Schicksal zu überlassen. Das wäre nämlich verantwortungslos und unmenschlich.
(Beifall bei der SPD)
Die Ministerin wählt genau den richtigen Ansatz. Denn hinter der Zahl von 1 Million Langzeitarbeitslosen verbergen sich tatsächlich 1 Million ganz unterschiedliche Schicksale; da gleicht keines dem anderen. Deswegen ist der differenzierte Ansatz der Ministerin hier goldrichtig. Wir haben zum Beispiel langzeitarbeitslose Alleinerziehende, die gerade in den Randzeiten, also sehr früh und sehr spät, das Problem der Kinderbetreuung haben. Die Ministerin hat angekündigt, hier tätig werden zu wollen und dieses Thema immer wieder zu adressieren.
Es gibt auch diejenigen, bei denen vor allen Dingen Betreuung wichtig ist, damit der Sprung in den ersten Arbeitsmarkt wieder gelingt und sich Erfolg einstellt. Für sie gibt es eine Betreuungsoffensive, und die 1 000 Stellen, die im Bereich der Perspektive 50plus enthalten waren, werden erhalten und in Aktivierungszentren überführt, damit bestes Profiling möglich ist und gute Angebote an die Betroffenen gemacht werden können. Das Programm wäre ausgelaufen. Die Ministerin hat wie eine Löwin dafür gekämpft, diese 1 000 Stellen dauerhaft zu erhalten. Ich finde, dafür gilt ihr unsere Anerkennung, und zwar zu Recht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir erhöhen überdies den Eingliederungstitel. Wir haben auch noch weitere Gruppen, zum Beispiel jüngere Menschen, die eher marktfern sind, denen eine Ausbildung fehlt, deren Ausbildung veraltet ist oder nicht passt. Für sie gibt es das ESF-Programm „Perspektive in Betrieben“. In diesem Zusammenhang werden die Betriebe ganz gezielt angesprochen; denn es ist in der Tat richtig, dass derzeit sehr viele Betriebe pauschal Langzeitarbeitslose ablehnen, was ich krass finde, was wir aber ändern wollen.
Frau Kollegin, Frau Kollegin Pothmer würde gerne etwas fragen oder sagen. Möchten Sie weitersprechen oder das zulassen?
Unbedingt zulassen, wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Ja, das ist ein weiterführender Hinweis, dem ich nachkomme. – Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Kolbe, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gerade gesagt, die Ministerin habe wie eine Löwin gekämpft, um diese 1 000 Stellen auch in Zukunft zu erhalten. Jetzt stelle ich aber fest, dass der Ansatz beim Eingliederungstitel auf 3,9 Milliarden Euro festgeschrieben ist, und zwar nicht nur für 2015, sondern auch für 2016 und die folgenden Jahre. Im Ausschuss hat Frau Nahles ausdrücklich gesagt, dass sie den Personalkostenetat und den Verwaltungskostenetat der Jobcenter nicht aufstocken will. Heißt das, dass Sie dann, wenn diese 1 000 Stellen weggefallen wären, die Absicht gehabt hätten, den Ansatz beim Eingliederungstitel weiter zu kürzen? Wollten Sie ihn eigentlich noch zusätzlich kürzen?
(Zuruf der Abg. Katja Mast [SPD])
– Der Personalkostenetat wird auch nicht aufgestockt.
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das hat mit dem Eingliederungstitel nichts zu tun!)
Wir sollten schon sauber trennen. Es geht an dieser Stelle um den Eingliederungstitel. Daneben gibt es das weitere Programm – darauf wollte ich gleich noch eingehen – zum öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, das über einen Vorabzug beim Eingliederungstitel organisiert wird. Wir wollen an dieser Stelle natürlich nicht kürzen. Dieser Vorwurf ist wirklich absurd.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt keinen Cent mehr! – Gegenruf der Abg. Katja Mast [SPD]: Doch, es gibt mehr Geld!)
Das Wort „Kürzung“ an dieser Stelle in den Mund zu nehmen, wo wir erhöhen, finde ich schon reichlich merkwürdig. Vielleicht können wir versuchen, gemeinsam einen etwas konstruktiveren Weg zu finden; es ist nicht alles schwarz oder weiß.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Es ist natürlich eine Herausforderung finanzieller Art, es bei 1 Million Menschen vernünftig zu organisieren, Lebenschancen zu ermöglichen. Das ist tatsächlich eine starke Herausforderung. Die wollen wir aber annehmen. Dass wir das nicht von heute auf morgen zu 100 Prozent schaffen, ist klar; wir sind ja nicht im Wolkenkuckucksheim. Sie sollten schon anerkennen, dass diese Regierung einen Schwerpunkt bei diesem Thema setzt und diese Menschen gerade nicht alleinlassen will.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keinen Cent mehr!)
Ich komme zurück zu den jüngeren Menschen und zum ESF-Programm. Wir werden die Betriebe aktiv ansprechen und die Betroffenen – das ist ganz wichtig – auf ihrem Weg begleiten; denn wir haben in der Vergangenheit oft gesehen, dass die Beschäftigung abgebrochen worden ist. Das wollen wir vermeiden. In diesem Zusammenhang werden degressive Lohnkostenzuschüsse bezahlt.
Dann gibt es aber auch solche Menschen – sie sind mir als ostdeutscher Abgeordneten besonders wichtig –, die wirklich sehr marktfern sind, viele Vermittlungshemmnisse haben und bei denen wir zunächst nicht davon ausgehen können, dass wir sie in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln können. Frau Nahles schlägt vor, 150 Millionen Euro für Teilhabe auszugeben, für Lohnkostenzuschüsse bis zu 100 Prozent. Zielgruppe sind dabei Menschen, die gesundheitlich besonders eingeschränkt sind oder die mit Kindern zusammen in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Das, finde ich, ist der absolut richtige Ansatz.
Teilhabe ist dabei der zentrale Begriff. Diese Menschen haben nur ein Leben, ihr eigenes Leben, und wir wollen sie bestärken, ihren Weg zu gehen, sodass sie aus der Langzeitarbeitslosigkeit herauskommen und Selbstwirksamkeit und Wertschätzung erleben. Wenn sie dann irgendwann den ersten Arbeitsmarkt erreichen, ist das wunderbar, aber wir müssen realistischerweise sagen: Das ist ein sehr langer Weg. Deshalb kann das auch nicht das unmittelbare Ziel sein.
Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube: Ich hätte mir aus dem Finanzministerium etwas mehr Mut gewünscht, wenn es darum geht, den Passiv-Aktiv- Tausch auszuprobieren, zumal ich aus der Unionsfraktion höre, dass man da aufgeschlossen ist. Wir wollen das gern ausprobieren. Vielleicht sollten wir miteinander noch einmal ins Gespräch kommen und schauen, ob wir da etwas bewirken können.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, das hättet ihr schon gemacht! Sprecht ihr nicht vorher miteinander? – Gegenruf der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ständig!)
Wir jedenfalls sagen: Diese Regierung nimmt die Menschen und ihre Problemlagen ernst. Für uns ist das kein zusätzliches Sahnehäubchenthema, sondern ein für die Menschen und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ganz zentrales Thema. Wir wollen Lebenschancen schaffen, und darauf bin ich stolz.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD – Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Frau Kollegin, Sie hätten die Chance, zusätzliche Redezeit zu gewinnen, wenn Sie noch auf Frau Zimmermann antworten wollen, aber Sie müssen diese Chance nicht wahrnehmen.
Wir können das am Platz machen oder auch in Form einer Kurzintervention, sodass ich zu meinem Platz gehen kann.
(Heiterkeit)
Dann wird das am Platz geregelt. – Ich erteile als Nächstem das Wort dem Kollegen Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4105160 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 66 |
Tagesordnungspunkt | Langzeitarbeitslosigkeit |