13.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 66 / Tagesordnungspunkt 7

Ulla Schmidt - Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91b)

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Uns liegen der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes und zwei Änderungsanträge vor; von der Präsidentin wurden sie gerade genannt. Zudem liegt ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen vor. Er ist überschrieben mit „Kooperationsverbot kippen – Zusammenarbeit von Bund und Ländern für bessere Bildung und Wissenschaft ermöglichen“.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein guter Antrag! Ein sehr guter Antrag!)

Er beginnt mit dem Satz:

Dann kommt die Linke mit einem Antrag unter der Überschrift „Kooperationsverbot abschaffen – Gemeinschaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz verankern“. Der erste Satz dieses Antrags lautet:

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

Der Witz ist: Es gibt überhaupt kein Kooperationsverbot.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach nee! Worüber reden wir dann?)

– Das weiß ich auch nicht. – Wir haben so viel Kooperation zwischen Bund und Ländern wie noch nie.

(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso wollen Sie das Grundgesetz denn dann ändern? – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wofür wollen Sie dann das Grundgesetz ändern?)

2006 ist eine Änderung in das Grundgesetz aufgenommen worden, über die wir uns in den Ländern und auch in den Hochschulen riesig gefreut haben: Mit dieser Änderung des Grundgesetzes wurden neue Möglichkeiten geschaffen. Auch vorher war es schon möglich, zu kooperieren, etwa im Bereich der Bildungsplanung, im Bereich der Forschung, und dann ab 2006: auch die Möglichkeit im Bereich der Lehre. Wir alle haben uns damals riesig über den Mut der Großen Koalition gefreut, dieses Vorhaben anzugehen. Die Verträge und die Pakte, zum Beispiel der Hochschulpakt oder der Qualitätspakt Lehre, wären vorher nicht möglich gewesen. Ohne diese Grundgesetzänderung hätten diese Pakte nicht aufgelegt werden können.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das haben wir durchgesetzt!)

Das war die Basis dafür.

Die Minister haben vorletzte Woche in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz die dritte Programmphase des Hochschulpakts beschlossen. Alle Minister, egal welcher Partei, haben gemeinsam einen einstimmigen Beschluss gefasst. Sie haben gesehen, dass dies ein tolles Instrument ist. Wenn wir etwas gemacht haben, um der demografischen Entwicklung Rechnung zu tragen, dann war das diese Grundgesetzänderung. Sie war das Klügste, was wir machen konnten.

Die Erfolge sind da. Jetzt wollen wir das Ganze noch verbessern, Herr Mutlu. Das, was immer noch als Nachteil angesehen wird – laut Grundgesetz ist seit 2006 eine Kooperation im Hochschulbereich zwar temporär, aber nicht institutionell möglich –, ändern wir jetzt. Das heißt, das, was wir 2006 begonnen haben, werden wir noch weiter verbessern.

Wenn diese Maßnahmen greifen, dann können wir vieles machen, was wir bisher nicht machen konnten und was für eine Industrie- und Wissenschaftsnation wie Deutschland eigentlich ein Unding ist. Wir konnten in den letzten Jahren zwar gemeinsame Strategien mit der Max-Planck-Gesellschaft oder mit der Helmholtz-Gemeinschaft entwickeln. Wir konnten fragen: Was wollen wir als Nächstes machen? Was sind die großen Forschungsprojekte? Aber wir konnten mit den Hochschulen langfristig keine strategischen Kooperationen eingehen und entsprechende Zielstellungen entwickeln. Jetzt schaffen wir diese Möglichkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Dabei geht es zum Beispiel – Stichwort „Industrie 4.0“ – um die Frage: Wie gelingt es uns, die Ordnung total zu verändern? Wie gelingt es uns, die Fachkräfte, die wir dafür brauchen, aber noch nicht haben, zu bekommen? Das sind strategische Fragen. Dabei geht es nicht nur ums Geld, sondern es geht auch um Strategien und Abstimmungen.

Ich kann Ihnen sagen, dass sich in der Wissenschaftsszene, als der Koalitionsvertrag geschlossen wurde, große Enttäuschung breitmachte, weil alle erwartet haben, dass das Ganze jetzt angegangen und noch einmal verbessert wird. Dass wir heute diese Änderung besprechen, ist ein ganz großer Erfolg. Dieser wird auch von außen so wahrgenommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das, was wir heute machen, reicht weit über diese Legislaturperiode hinaus. Diese Veränderungen im Wissenschaftssystem in Deutschland mit positiven Auswirkungen auf die Leistungskraft wirken bis weit über die nächsten Jahre hinaus.

Wir haben vor kurzem in unserem Ausschuss eine Anhörung dazu durchgeführt. Alle Sachverständigen, egal welcher Couleur, haben ohne Ausnahme – wann passiert einem das schon einmal? – diesen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – er liegt auf dem Tisch – begrüßt und haben gesagt: Das ist ein wichtiger Schritt, das ist ein richtiger Schritt.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und mehr gefordert!)

Ich möchte Ihnen das Lob dieser Sachverständigen nicht vorenthalten. So sagte zum Beispiel Professor Löwer in der Anhörung – man muss bedenken, er ist Jurist –: Ich sehe mich außerstande, die Regelung, die auf dem Tisch liegt, zu kritisieren.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hohes Lob!)

– Ja, das war klasse. – Herr Hippler, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, in der über 300 Hochschulen Mitglied sind, und Herr May, der Generalsekretär des Wissenschaftsrates, haben gesagt, sie sähen das genauso. Dabei reden sie nicht für sich als Person, sondern als Vertretung ihrer Institution. Ich denke, das ist ein Riesenschritt in der Kooperation zwischen universitären und außeruniversitären Einrichtungen. Eine Weiterführung der Exzellenzinitiative wird durch diese Grundgesetzänderung sehr viel einfacher und effektiver.

Man muss auch sagen, dass in der Diskussion einige Sachverständige natürlich weitergehen wollten und meinten: Das ist ein großer, wichtiger Schritt; aber wir müssen darüber nachdenken, diesen Schritt auch für die anderen Bereiche der Bildung zu machen.

(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Sie haben nicht unrecht!)

Einige Sachverständige sagten jedoch eindeutig – der Meinung bin auch ich –: Es ist nicht so, dass man nach diesem ersten Schritt einfach den zweiten machen kann. Vielmehr besteht strukturell ein grundlegender Unterschied zwischen der Organisation von Schulen und den Einrichtungen im Wissenschaftsbereich. – Sie haben auch ausgeführt, was es für die Länder bedeuten würde, wenn man an dieser Stelle ihre Kompetenzen, die sie auch auf der kommunalen Ebene haben – die Schulen werden von den Kommunen getragen –, streichen würde, und deutlich gemacht, was eine Änderung des Artikels 91 b des Grundgesetzes bedeuten würde, nämlich Mitwirkungsrechte des Bundes. Das wollen die Länder nicht, was ich verstehe. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass die Länder irgendwelche Mitwirkungsrechte angeboten hätten. Aber nur Geld zu geben – ohne Mitwirkung –, ist natürlich überhaupt nicht in Ordnung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Als wir das Thema im Bundesrat diskutiert haben, gab es keinen Antrag der Länder dazu. Es gibt keinen Antrag der Länder im Bundesrat, die Mitwirkungsrechte zu erweitern. Dort wird vielmehr ganz klar gesagt: Wir wollen, dass der Bund uns bei den großen Themen wie der Inklusion mit unterstützt, und zwar unterhalb einer Grundgesetzänderung.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganztagsschulen!)

Jetzt kommt meine Sozialisation als frühere Landesministerin durch: Ich habe es nie gemocht, wenn einem Gutes getan wird, wenn einem also von oben gesagt wird, was man machen soll, ohne dass man entsprechende Kenntnisse und Kompetenzen hat. Deswegen glaube ich, wir sollten an dieser Stelle sagen: Wir gehen heute einen wichtigen, entscheidenden Schritt für den Wissenschaftsbereich, und das wollen wir in den nächsten Jahren entsprechend nutzen.

In den Diskussionen und auch in verschiedenen Anfragen wurde nach dem Hochschulbau gefragt. Der Hochschulbau ist mit finanzieller Beteiligung des Bundes in die alleinige Kompetenz der Länder übergegangen: 700 Millionen Euro jährlich bis 2013.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zweckbindung ist aber entfallen!)

Dies war klasse. Alle, die einmal mit HBFG-Verfahren zu tun hatten, wissen, wie einem zumute war: Man war es gründlich leid. Dass in den Ländern das nötige Geld zur Verfügung stand, um entsprechend zu bauen, galt bis 2013. Die 700 Millionen Euro sollten bis 2019 auf null abschmelzen.

Was ist im letzten Jahr von der Bundesregierung verhandelt worden? Es ist verhandelt worden, dass es bis 2019 bei 700 Millionen Euro bleibt. Jetzt ist es Sache der Länder, dafür eine Zweckbindung zu schaffen,

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Modernisierungsbedarf von zwei Hochschulen!)

Kabinettsbeschlüsse zu schaffen und das Geld wirklich in den Hochschulbau zu leiten. Das Geld ist dort vorhanden.

Mit der Grundgesetzänderung, über die wir jetzt beraten, besteht die Option, nach 2019 neu darüber nachzudenken, den Hochschulbau dann möglicherweise wieder etwas anders zu realisieren.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Genau!)

Eine letzte Bemerkung. Bei der im Gesetzentwurf enthaltenen Formulierung, dass es um „Fälle überregionaler Bedeutung“ geht, geht es nicht um einzelne Institutionen, auch wenn das ebenfalls möglich ist. Es geht vielmehr um Themen wie die Frauenförderung. Im Zusammenhang mit der Förderung von Frauen in der Wissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland ist zum Beispiel das Professorinnenprogramm von überregionaler Bedeutung. Es betrifft über 120 Hochschulen; es ist nicht auf einzelne Institutionen beschränkt.

Es geht auch um das Thema „wissenschaftlicher Nachwuchs“. Das ist eines der größten Probleme, die uns beschäftigen. Mit dieser Grundgesetzänderung sind wir, wenn sie uns gelingt, in der Lage, auch institutionell in diesem Bereich etwas zu machen. Ich könnte noch weitere Themen nennen; auch die kleinen Fächer sind von Bedeutung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sollten mir einfach glauben: Wenn das Grundgesetz an dieser Stelle geändert wird, dann wird die Tür zu einer neuen Qualität der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Hochschulbereich aufgestoßen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie die Tür heute ein Stück aufmachen, und wünsche mir, dass Sie zustimmen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat die Kollegin Dr. Rosemarie Hein, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4105686
Wahlperiode 18
Sitzung 66
Tagesordnungspunkt Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91b)
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta