Christina SchwarzerCDU/CSU - Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit etwas mehr als einem Jahr bin ich Bundestagsabgeordnete, und ohne die Bedeutung aller anderen Initiativen und Gesetzentwürfe auch nur im Geringsten schmälern zu wollen, kann ich Ihnen sagen: Meiner Ansicht nach sprechen wir hier heute über den wichtigsten Gesetzentwurf zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in meiner Zeit als Bundestagsabgeordnete. Sehr geehrte Damen und Herren, ich glaube, das empfinden viele Kollegen heute auch so.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Warum ist das so? Weil der Gesetzentwurf viele Verbesserungen für diejenigen beinhaltet, die sich nicht selbst wehren können und unsere Unterstützung benötigen. Es geht unter anderem darum, die Schwächsten unter uns zu schützen. Darum ist es auch so wichtig, dass wir schnell handeln.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang, kurz den Weg zu diesem Gesetz nachzuzeichnen. Manchmal überholen Geschehnisse politische Debatten, so auch hier. Ganz abgesehen davon enthält der Koalitionsvertrag auf Initiative der Union hin bereits mehrere konkrete Vorhaben zu entsprechenden Reformen des Sexualstrafrechts.
Auf der Basis eines Fachgesprächs haben wir bereits im März dieses Jahres unter anderem auf Initiative der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Thomas Strobl und Nadine Schön, der ich an dieser Stelle noch einmal recht herzlich zur Geburt ihres Sohnes gratuliere
(Beifall)
– vielleicht sieht sie ja schon die Debatte; ich glaube, ihr Herz geht auf, wenn sie sie heute sieht –, ein Eckpunktepapier mit einem Herzensanliegen vorgestellt: „Wir wollen ein Opferschutzpaket jetzt!“ Es beinhaltete Punkte wie die Anpassung des Sexualstrafrechts an das digitale Zeitalter, einen besseren Schutz vor Übergriffen in Abhängigkeitsverhältnissen, die Verlängerung der Verjährungsfrist sowie Vorschläge zu Opferschutz und Prävention. Der hier vorliegende Gesetzentwurf greift viele dieser Punkte auf. Ich finde, es ist wirklich ein starkes Zeichen, dass das Ministerium und der Bundestag dieses wichtige Thema binnen Jahresfrist zu einem Ergebnis geführt haben – zu einem sehr guten Ergebnis, wie ich finde.
Das Ziel der Änderung des Strafgesetzbuches ist eine deutliche Verbesserung des Schutzes gerade von Kindern und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen und sexuellem Missbrauch. Nun müssen wir uns fragen: Ist dieses Ziel mit dem hier vorliegenden Entwurf zu erreichen? Ich meine, ja, obwohl es einen Punkt gibt, den ich etwas kritisch sehe; aber dazu später.
Wie erreicht dieser Gesetzentwurf das von uns allen formulierte Ziel? Zum einen ist für mich die Verlängerung der Verjährungsfristen ein extrem wichtiger Punkt. Sexueller Missbrauch von Kindern ist für mich eines der schlimmsten und schwersten Verbrechen überhaupt. Die Opfer tragen die Folgen das ganze Leben lang mit sich. Hier gibt es kein Vergessen. Gerade weil die Opfer dieser Straftaten die Folgen so lange mit sich tragen, drängen die Verjährungsfristen sie häufig; denn sie brauchen manchmal Jahrzehnte, um überhaupt über die Tat sprechen zu können, diese vielleicht sogar erst einmal zu verstehen.
Wie wir bereits gehört haben, ist die Verlängerung der Verjährungsfristen unter Juristen nicht unumstritten; das hat auch die öffentliche Anhörung im letzten Monat ergeben. Das Argument lautet: Je später die Ermittlungen aufgenommen werden, Herr Wunderlich, desto schwerer ist es, dem Täter etwas nachzuweisen. Ich sage dennoch: Die Opfer brauchen Zeit, Kraft und vor allen Dingen Mut, um das Geschehene ohne den Druck der drohenden Verjährung zu verarbeiten. Die Frage der Verjährung muss daher von der Perspektive der Opfer her gedacht werden und nicht von der der Rechtspraxis. Da ein erschwertes Verfahren die Situation für die Opfer sicher auch schwerer macht, ist hier eine umfangreiche und vor allem realistische rechtliche Beratung der Opfer vorab notwendig. Die Verlängerung der Verjährungsfrist ist aber richtig und wichtig.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE])
Ein weiterer zentraler Punkt ist der § 174 StGB, Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen. Ich möchte es nicht ungesagt lassen, weil ich es für besonders wichtig halte: In der jetzt noch aktuellen Fassung geht dieser Paragraf an der Lebensrealität vieler Opfer vorbei. Den Opfern ist es nämlich völlig egal, ob es ein Fachlehrer, ein Klassenlehrer oder nur ein Vertretungslehrer ist, der sich an ihnen vergeht. An der Schwere der Tat und vor allem an den Folgen für die Opfer ändert sich dadurch nichts.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Dass außerdem eine Erweiterung auf Großeltern und Stiefeltern in diesem Paragrafen vorgesehen ist, finde ich ebenfalls sehr positiv. Das gilt ebenso für die Änderung, die der Rechtsausschuss noch in dieser Woche beschlossen hat und die besagt, dass Personen eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaften genauso gemeint sind. Es gibt so vielfältige Familienformen in unserem Land, dass dies nur folgerichtig ist. Das Strafrecht an diesem Punkt auf leibliche Eltern oder Adoptiveltern zu beschränken, würde dem nicht mehr gerecht. Es wäre ein schlechtes Zeichen für die Opfer, wenn das Gesetz sie nicht dabei unterstützt, sich auch gegen Stiefeltern, Großeltern oder Lebenspartner der Mutter oder des Vaters zur Wehr zu setzen.
(Beifall im ganzen Hause)
„Zeichen setzen“ ist übrigens auch ein gutes Stichwort, wenn es um das Thema des Strafmaßes beim Besitz kinderpornografischer Schriften geht. Der Kollege Wunderlich hat vorgestern in der Sitzung des Familienausschusses angemerkt, dass es vielleicht keinen einzigen Täter von einer Straftat abhält, wenn hier das Strafmaß von zwei auf drei Jahre erhöht wird. Da hat er vermutlich sogar recht. Ich bin keine Juristin; das wissen Sie. Aber ich sehe hier die Perspektive der Opfer. Viele Opfer haben im Hinterkopf, dass es zum Beispiel bei Eigentumsdelikten – das hat die Kollegin ja schon angedeutet – zu einer Strafe von bis zu fünf Jahren kommen kann. Angesichts dessen finden sie zu Recht, dass hier die Verhältnisse nicht stimmen.
In der Expertenanhörung des Rechtsausschusses haben wir erfahren, dass es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Kinderpornografie und Kindesmissbrauch gibt, sprich: Statistisch ist nicht nachzuweisen, dass Menschen, die Nacktbilder von Kindern konsumieren, später in strafrechtlicher Hinsicht im Bereich des Kindesmissbrauchs auffallen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich – wir alle haben uns mit dieser Thematik viele Monate lang beschäftigt –: Mein Bauchgefühl sagt etwas anderes. Auch wenn es hier keine statistische Relevanz gibt, dies also einen relativ kleinen Prozentteil der Täter betrifft, so sage ich dennoch: Jeder Einzelne, der eine Straftat verübt, ist einer zu viel – einer zu viel für die Opfer.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich hatte ja zu Beginn etwas Kritik angekündigt; Herr Maas, das kann ich Ihnen an diesem Punkt nicht ersparen. Es geht um das sogenannte Cybergrooming – auch hierauf sind diverse Kollegen bereits eingegangen –, genauer gesagt um einen untauglichen Versuch: Wenn sich ein Beamter des BKA im Internet als zehnjähriges Mädchen ausgibt und von einem Erwachsenen zu sexuellen Handlungen aufgefordert wird, dann soll dies nicht strafbar sein, obwohl der Täter glaubte, mit einer Minderjährigen zu chatten? Entschuldigen Sie, aber das erscheint mir nicht richtig. Ich glaube, da müssen wir noch nachbessern. An dieser Stelle hätten wir für das Ziel, eine deutliche Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen zu erreichen, mehr tun können, gerade in unserer digitalen Welt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ein Thema will ich in den letzten 40 Sekunden meiner Redezeit noch ansprechen, und das ist das Thema Medienkompetenz. Versetzen wir uns alle einmal in unsere Kindheit zurück; bei manchen ist das noch gar nicht so lange her.
(Unruhe)
– Jetzt überlegt jeder, wie alt er ist. – Was haben wir da von unseren Eltern gelernt? Meine Mutter hat mir immer gesagt: Steig nie in ein fremdes Auto! Nimm nie Schokolade von einem Fremden an! – In der analogen Welt geben wir unseren Kindern diese Regeln mit auf den Weg, um sie sicher durch den Alltag zu geleiten. Aber in der digitalen Welt ist das, glaube ich, noch keine Selbstverständlichkeit. Hier gibt es großen Nachholbedarf.
Genauso selbstverständlich wie bei dem Beispiel mit der Schokolade müssen Eltern ihren Kindern erklären: Wenn jemand im Internet um ein Bild von dir bittet, beende das Gespräch und sende es ihm nicht! Antworte nicht, wenn dich jemand fragt, ob du schon mal jemanden geküsst hast! – Aber sehr viele Eltern tun das leider nicht, weil sie sich in der digitalen Welt einfach noch nicht gut auskennen. Sehr geehrte Damen und Herren, ich glaube, in allen Fraktionen wird das Thema Medienkompetenz gerade behandelt. Wir sind da auf einem guten Weg.
Lassen Sie mich als Letztes sagen: Das hier vorliegende Gesetz beschäftigt sich mit der strafrechtlichen Komponente. Es ist gut, dass wir so schnell gehandelt haben. Kleine Kritikpunkte habe ich angesprochen. Alles in allem haben wir einen sehr guten Gesetzentwurf, der sein Ziel erreichen wird: eine deutliche Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen und sexuellem Missbrauch.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Renate Künast [Bündnis 90/Die Grünen])
Ich schließe die Aussprache.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4108032 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 67 |
Tagesordnungspunkt | Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht |