Marcus WeinbergCDU/CSU - Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf
Vielen Dank. – Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn es denn so ist, dass die Menschlichkeit einer Gesellschaft daran zu messen ist, wie man mit den Kleinsten, den Schwachen, den Kranken und auch den Alten umgeht, dann kann man, glaube ich, mit Blick auf diese Debatte und dieses Gesetz, mit Blick auf die Debatte zuvor und auch mit Blick auf das Gesetz zur Elternzeit, zum Elterngeld sagen, dass wir es geschafft haben, den Mensch wieder in den Mittelpunkt unserer Politik zu stellen. Das ist gut so für dieses Land. Ich glaube, das zeigt auch eine neue Form des Umgangs und von Menschlichkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Frau Zimmermann, zwei Bemerkungen zu Ihrem Debattenbeitrag.
Erstens. Dieses Gesetz ist tatsächlich etwas Konkretes. Es ist mehr als nur Symbolpolitik oder Rhetorik, dass wir es unterstützen, wenn Menschen sich einsetzen und ihre nahen Angehörigen pflegen. Es wird konkrete Veränderungen mit sich bringen. Wir stärken damit die Menschen, die sich gerade im Bereich der Pflege engagieren.
Zweitens. Sie sagen, dass wir die Pflege ins Private verschieben wollen. Nein, die Menschen wollen zu Hause gepflegt werden. Es gibt viele Menschen, die zu Hause andere pflegen. Wir unterstützen sie stärker dabei. Das ist unser Ziel. Das ist mit dem Gesetzentwurf intendiert.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Insoweit bin ich froh über diese Debatte. Dem Leitgedanken, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, kommen wir in dieser Frage etwas näher. Es ist so, dass der Wandlungsprozess bzw. der demografische Wandel, wie es heißt, einige Veränderungen mit sich bringen wird.
Herr Kollege Weinberg, darf die Kollegin Zimmermann Ihnen eine Frage stellen?
Sie darf mir immer Fragen stellen, gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege Weinberg, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich habe eine Frage zum größten Pflegedienst der Nation: zur Familie. Natürlich ist es so, dass viele Menschen zu Hause gepflegt werden wollen. Natürlich ist es so, dass das auch viele Menschen machen. Es ist auch so, dass das viele Menschen machen können. Aber können Sie sich vorstellen, dass es auch viele machen müssen, weil sie sich etwas anderes nicht leisten können?
Man muss ja immer die Frage stellen: Wie ist die Pflegeversicherung aufgebaut? In der Pflegeversicherung gibt es ja das Teilkaskoprinzip. Wenn jemand gepflegt werden muss, sind damit also immer zusätzliche Kosten verbunden. Wer nicht das eigene Häuschen oder andere Dinge verkaufen möchte, wird dem Druck ausgesetzt, zu Hause pflegen zu müssen.
Der zweite Punkt, der mich interessieren würde: Können Sie sich vorstellen, dass Menschen in der Arbeitswelt in prekäre Situationen kommen, weil sie zu Hause pflegen, und dass als Folge prekärer Arbeitsverhältnisse Altersarmut entstehen kann? Ich finde, es ist nicht so einfach, wie Sie sagen – dass man in der Familie pflegen kann –, sondern das ist für die betroffenen Menschen, vor allen Dingen für Frauen, mit deutlichen Nachteilen verbunden.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich glaube, keiner von uns sagt, dass es einfach ist, Menschen zu Hause zu pflegen. Das ist, glaube ich, die größte Herausforderung für unsere Gesellschaft. Deswegen sollten wir dankbar sein, dass es viele Menschen gibt, die nahe Angehörige zu Hause pflegen wollen.
Ich will dazu nur zwei Dinge sagen:
Erstens. Für 87 Prozent der Menschen ist es wichtig oder sehr wichtig, dass ihre Erwerbstätigkeit im Sinne des Zeitmanagements erleichtert wird, weil sie sich entschieden haben, einen nahen Angehörigen zu Hause zu pflegen.
Zweitens. Fast alle alten Menschen wünschen sich, in ihren letzten Lebensjahren in ihrer vertrauten Umgebung bleiben zu können;
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Carola Reimann [SPD])
das ist unter dem Gesichtspunkt von Selbstbestimmtheit und Selbstständigkeit wichtig.
Das heißt, es gibt einen Antrieb, innerhalb der Familie zu pflegen. Unsere Aufgabe ist es – ich komme gleich auf die einzelnen Punkte, die Sie angesprochen haben, zu sprechen, auch im Hinblick auf die gesetzlichen Veränderungen, die es schon gab, nämlich Pflegezeit und Familienpflegezeit –, die Veränderungen so zu skizzieren und sie so zu gestalten, dass sie in sich schlüssig und klar sind und wir gewisse Defizite, auf die ich gleich ebenfalls zu sprechen komme, ausräumen können. – Ich glaube, damit habe ich Ihre Frage beantwortet. Die einzelnen Aspekte würde ich Ihnen gerne anhand der Struktur des Gesetzentwurfs verdeutlichen; ich werde mich dann immer auf Ihre Frage beziehen.
Für uns als CDU/CSU-Fraktion und für die Große Koalition steht fest, dass es ein Leitgedanke sein muss, die Menschen zu stärken, die zu Hause nahe Angehörige pflegen. Dies ist ein Zeichen des familiären Zusammenhalts, der für unsere Gesellschaft wichtig ist. Das gilt überall dort, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, und betrifft den Umgang mit den Kleinsten und den Umgang mit den Älteren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Jetzt komme ich auf den ersten Ansatzpunkt von Frau Zimmermann zu sprechen. Man muss sich fragen: Was gab es bisher? Wir haben bereits 2008 und 2012 Bausteine zur Unterstützung der familiären Pflege auf den Weg gebracht, nämlich mit dem Pflegezeitgesetz 2008 und mit dem Familienpflegezeitgesetz 2012. Dabei spielten drei Komponenten, die die Ministerin schon angesprochen hat, eine Rolle. Es gibt drei verschiedene Phasen, die für diejenigen, die andere Menschen zu Hause pflegen wollen, wichtig sind.
Die erste Phase ist eine kurzzeitige: die zehntätige Pflegeauszeit. Sie ist beim unerwarteten Eintritt einer Pflegesituation von Bedeutung, da eine solche Situation die Menschen immer überfordert. Sie kommt nämlich immer zum ungünstigsten Zeitpunkt. Außerdem befinden sich die Menschen dann in der schwierigen Situation, viele Dinge für einen Angehörigen schnell regeln und organisieren zu müssen. Hier wurde der Rechtsanspruch geschaffen, zehn Tage von der Arbeit fernzubleiben.
Was es aber nicht gab, war finanzielle Unterstützung; jetzt komme ich auf den nächsten Punkt, den Sie erwähnt haben, zu sprechen. Gerade für viele Menschen mit niedrigem Einkommen war das ein Problem, weil sie zehn Tage lang kein Geld verdient haben. In Zukunft wird es die Möglichkeit geben, diese Lücke durch eine Lohnersatzleistung zu schließen. Das ist eine Verbesserung. Insofern verbessert der Gesetzentwurf gerade die Situation derer, die in einer prekären Situation sind und kein hohes Einkommen haben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Der zweite Punkt. Mittelfristig konnten sich Menschen für bis zu sechs Monate von der Arbeit freistellen lassen. Auch hier gab es einen Rechtsanspruch; das ist gut so. Wenn man sich sechs Monate lang freistellen lassen will, was möglich ist, gibt es aber ein Problem. Jetzt komme ich wieder auf den von Ihnen genannten Punkt zu sprechen. Sie haben nämlich gesagt: Viele können sich das gar nicht leisten. – In Zukunft wird es die Möglichkeit geben, ein zinsfreies Darlehen über das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben aufzunehmen. Das heißt, auch die finanzielle Absicherung wird gestärkt, und zwar zusätzlich zu dem bereits bestehenden Rechtsanspruch. Auch das ist eine Verbesserung des geltenden Gesetzes.
Der dritte Punkt betrifft die Familienpflegezeit. Hier gab es zwar keinen Rechtsanspruch, aber die Möglichkeit, über einen Kredit – allerdings verbunden mit sehr bürokratischen Hindernissen – zumindest die finanzielle Situation abzusichern.
Mit der neuen Regelung wird es in Zukunft einen Rechtsanspruch geben. Das heißt, es werden hier zwei Dinge zusammengeführt: der Rechtsanspruch und der finanzielle Ausgleich. Dies geschieht unter dem Gesichtspunkt: Wie kann ich mehr Zeit und mehr Flexibilität in der Frage der Vereinbarkeit von Beruf, Pflege und Familie erreichen? Diese drei Komponenten werden nun zusammengebracht.
Es war unser Ansatz in der Großen Koalition, zu sagen: Wir haben drei Bausteine, die für sich genommen gut sind. Aber wir müssen sie jetzt zusammenbringen. Pflege kann nicht alleine gesehen werden, sondern Pflege muss von einer kurzfristigen Wahrnehmung der Dinge bis hin zu einer langfristigen Aufgabe in der Familie organisiert werden. Deswegen haben wir gesagt: Wir müssen Rechtsansprüche definieren, finanzielle Sicherheiten schaffen und als dritte Komponente die gesellschaftliche Veränderung mit aufnehmen.
Ein Beispiel hierfür ist die Pflege des Stiefvaters als nahem Angehörigen. Es ist etwas paradox, zu sagen: Der Vater kann gepflegt werden, aber der Stiefvater nicht. Es gibt leider Fälle, in denen der Vater, als die Kinder drei oder vier Jahre alt waren, die Familie verlassen und möglicherweise nie Unterhalt gezahlt hat. Trotzdem besteht für die Kinder die Möglichkeit, den Vater als nahen Angehörigen zu pflegen. Aber die Pflege des Stiefvaters, der sich um die neue Familie gekümmert hat, durch die Stiefkinder fiel bisher nicht unter die Pflege eines nahen Angehörigen. Deswegen ist es eine gute Erweiterung, dass auch Stiefeltern in die Regelung mit den nahen Angehörigen aufgenommen werden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Pflegebedürftige Kinder brauchen oftmals eine besondere Pflege. Diese besondere Pflege wird in erster Linie in Einrichtungen angeboten. Da ist es richtig und konsequent, zu sagen: Auch bei pflegebedürftigen Kindern kann die Familienpflegezeit genommen werden, selbst wenn sie nicht zu Hause, sondern in einer Einrichtung betreut werden, weil da die Kombination aus professioneller Pflege und Unterstützung der Betreuung durch die Eltern wichtig ist. Auch diese Erweiterung war richtig und wichtig. Damit haben wir ein Problem behoben.
(Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD])
Als Ergebnis der Verhandlungen zum Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, diese drei wesentlichen Bereiche zusammenzuführen.
Ich möchte am Ende noch eine Sache ansprechen, nämlich die Auswirkungen der Familienpflegezeit auf die Arbeitgeberschaft. Man muss überlegen: Wie kann man es schaffen, dass auch die Wirtschaft, gerade der Mittelstand, diese Pflegezeit positiv begleitet?
Dazu zwei Dinge: Erstens. Man hat erkannt, dass es wichtig ist, die Menschen mit ihren Kompetenzen – sie sind schließlich Fachkräfte – im Unternehmen zu halten. Dem wird mit den jetzigen Regelungen Rechnung getragen. Deswegen ist für uns der Ansatz der Teilzeit wichtig. Wenn man in der Familienpflegezeit 15 Stunden in der Woche arbeitet und die restliche Zeit freigestellt wird, ist das auch für das Unternehmen gut, weil es über die Teilzeit seine Fachkräfte im Unternehmen halten kann. Das heißt, den Unternehmen geht das Know-how der Mitarbeiter nicht verloren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Zweitens. In der realen Betrachtung haben wir gesehen, dass durch die Pflege eines Angehörigen nicht nur die Familie aus der Bahn geworfen wurde, sondern dass diese neue Situation auch Konsequenzen auf das Verhältnis zum Arbeitgeber hat. Wir wissen, dass sich viele Arbeitnehmer in den ersten Tagen haben krankschreiben lassen, weil sie mit der Situation nicht mehr zurechtkamen. Ihre Motivation am Arbeitsplatz ließ durch die neue Situation nach. Deswegen sind die Planungssicherheit und die Stabilisierung finanzieller und zeitlicher Art gut für die Unternehmen, weil die Motivation und die Zufriedenheit mit der Arbeit bei den Arbeitnehmern steigen; denn sie wissen, dass es verbindliche Regeln gibt, an die sich alle halten müssen. Dadurch bekommen sie es besser hin – das wird niemals perfekt werden –, ihren nahen Angehörigen zu pflegen.
Auch für die Unternehmen bedeutet es eine Entlastung, dass wir so die Beiträge zur Pflegeversicherung stabil halten können. Man könnte ja sagen: Wenn wir die familiäre Pflege nicht stärken, müssen wir möglicherweise die professionelle Pflege stärken, was durch eine Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung geschehen könnte. Ich glaube, es ist nicht im Sinne des Mittelstandes und der deutschen Wirtschaft, die Beiträge zu erhöhen. Daher ist unser Gesetz ein gutes Zeichen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Zurzeit sind 2,6 Millionen Menschen pflegebedürftig, über 1 Million Menschen wird zu Hause betreut. Für das Jahr 2050 müssen wir mit der doppelten Anzahl an pflegebedürftigen Menschen rechnen. In wenigen Jahren wird die Wahrscheinlichkeit größer sein, auf der Straße einen 80-Jährigen zu treffen als eine junge Mutter oder einen jungen Vater mit einem Kinderwagen. Das heißt, auf diese Entwicklung müssen wir uns einstellen.
Hier sind zwei Dinge zu nennen. Das eine ist der Wunsch der Menschen, zu Hause in ihrer Umgebung gepflegt zu werden. Es ist gut, dass Menschen das in unserer Gesellschaft machen und auch machen wollen.
Das andere ist die Gewissheit, die sie brauchen – Stichwort Zeitmanagement –, dass sie sich in dieser schwierigen Situation die Zeit besser einteilen können und dass sie zumindest ein wenig finanziell entlastet werden. Kein Pflegefall und kein Mensch, der sich in der Pflege engagiert, sieht das als Geschäftsmodell oder will damit irgendwie Missbrauch treiben. Es hinzubekommen, die Familie zu versorgen, der Erwerbstätigkeit nachzugehen und sich um einen Pflegefall zu kümmern: Das ist der höchste Anspruch, den man haben kann. Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf jetzt auch den nächsten Schritt gehen.
Ich komme noch einmal zum Anfang zurück. Die Menschlichkeit einer Gesellschaft spiegelt sich darin wider, wie wir mit den Schwachen, den Kleinen, den Kranken und auch den Alten umgehen. Deswegen ist es gut, dass wir uns dieses Themas angenommen haben. Denn ich glaube, die Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf wird eine große Herausforderung sein. Dabei sind wir auf einem guten Weg, der sicherlich noch einige weitere Schritte mit sich bringen muss. Aber der Gesetzentwurf ist gut, und ich bitte um Unterstützung dafür.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Das Wort erhält nun die Kollegin Elisabeth Scharfenberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4112063 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 67 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf |