Antje LeziusCDU/CSU - Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf ist ein wichtiger Gesetzentwurf. Er spiegelt wider, was wir von der CDU/CSU gemeinsam mit der SPD im Koalitionsvertrag festgelegt haben. Wir wollen gemeinsam dafür sorgen, dass Menschen, die Angehörige pflegen, sich weiterhin auch ihrem Beruf widmen können. Warum ist das notwendig? Der demografische Wandel sorgt für zahlreiche Veränderungen und Herausforderungen in unserer Gesellschaft. In Zukunft werden wir nicht nur aufgrund der guten gesundheitlichen Versorgung deutlich älter werden als Generationen vor uns. Gott sei Dank!
Jüngere Menschen – gerade wenn sie gut ausgebildet sind – gehen dorthin, wo sie meinen, die besten Bedingungen für ihren Lebensentwurf vorzufinden. Häufig geschieht das zulasten gerade ländlicher Regionen. In meinem Wahlkreis, in Rheinland-Pfalz, sehen wir dies besonders deutlich. Der Bevölkerungsrückgang beispielsweise im Kreis Birkenfeld liegt deutlich über dem Landesdurchschnitt. Deswegen müssen wir dem demografischen Wandel so umfassend wie möglich und auch so schnell wie möglich begegnen.
Das Bundesfamilienministerium erwartet deutliche Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung schon für 2020, wenn die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Wir werden älter, und wir werden weniger – und das regional verschieden. Die Bundesregierung hat sich deswegen diesem Thema schon 2012 mit einer umfassen Demografiestrategie gewidmet. In diese fügt sich der vorliegende Gesetzentwurf ein.
Die Pflege hat aufgrund der zu erwartenden Altersstruktur einen besonderen Stellenwert in der aktuellen und der zukünftigen Gesetzgebung. Bundesgesundheitsminister Gröhe nennt Verbesserungen der Pflege ausdrücklich einen Schwerpunkt dieser Bundesregierung und stellt dies mit dem Pflegestärkungsgesetz unter Beweis.
(Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Guter Mann!)
Dieses enthält zahlreiche Verbesserungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen. Das zeigt, wie bedeutend rechtzeitige Weichenstellungen für die Zukunft sind.
Eine zunehmende Anzahl an Pflegebedürftigen erfordert auch einen zunehmenden Bedarf an Pflegekräften. So rechnet das Gesundheitsministerium damit, dass ab 2015 pro Jahr durch die Pflegeversicherung bis zu 45 000 zusätzliche Betreuungskräfte für die stationäre Pflege finanziert werden können. Das ist richtig und wichtig, um die vorhandenen Pflegekräfte zu entlasten und zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen.
Die häusliche Pflege ist aber deutlich wichtiger. So werden zwei Drittel aller Pflegebedürftigen von ihren Angehörigen liebevoll zu Hause gepflegt. In einer menschlichen Gesellschaft haben wir Verständnis dafür, dass viele ältere Menschen nicht aus ihrem gewohnten Wohnumfeld gerissen werden möchten. Viele Pflegebedürftige fühlen sich wohler, wenn sie von ihren Angehörigen betreut werden, anstatt Fremden anvertraut zu sein. Diese pflegenden Angehörigen sind aber heute häufig selbst berufstätig.
Das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf kommt sozusagen ergänzend von der anderen Seite. Es schafft Erleichterung durch bessere Bedingungen für diejenigen, die pflegen. Der Kern des vorliegenden Gesetzentwurfs ist die Zusammenführung von Pflege- und Familienpflegezeit. Uns als Union geht es neben der Planungssicherheit für betroffene Arbeitnehmer und deren Familien aber auch um diejenigen, die Arbeitsplätze schaffen. Uns als CDU/CSU liegen die Familien am Herzen, und wir haben auch ein offenes Ohr für die Wirtschaft.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich möchte hier nicht unerwähnt lassen, dass es zu diesem Gesetz in der Wirtschaft reale Bedenken gibt. In meinem Wahlkreis, der ländlich geprägt ist, gibt es einige Unternehmen, die schon heute mit dem Fachkräftemangel erheblich zu kämpfen haben. Es ist dort bereits jetzt sehr schwer, gute Leute zu bekommen. Von einem mittelständischen kunststoffverarbeitenden Betrieb mit 160 Mitarbeitern werde ich zum Beispiel darauf hingewiesen, dass die Rekrutierung passender Ersatzkräfte im Rahmen der Familienpflegezeit schwerfällt. Vor allem ist das dann der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis bei vorzeitiger Beendigung der Familienpflegezeit ebenfalls beendet werden könnte. Zu den Konditionen einer befristeten Beschäftigung oder eines Zeitarbeitsverhältnisses sind beispielsweise ein Betriebstechniker oder eine Verfahrensspezialistin nicht zu bekommen.
Durch Wirtschaftsverbände wird insbesondere der Rechtsanspruch auf die Familienpflegezeit kritisch gesehen. Dem werden die freiwilligen Vereinbarungen gegenübergestellt, die schon heute in vielen Betrieben üblich sind. Laut DIHK bieten bereits 75 Prozent aller Unternehmen ab 1 000 Mitarbeitern gezielt Arbeitszeitmodelle an, die die bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf gewährleisten sollen. Seit der Einführung der Familienpflegezeit im Jahre 2012 ermöglichen über 25 Prozent der Unternehmen mit über 20 Mitarbeitern diese ihren Angestellten; 32 Prozent wollen in Zukunft nachziehen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Weitere Beispiele für die unternehmerische Kreativität, dem demografischen Wandel zu begegnen, finden sich auch in regionalen Netzwerken, in Kooperationen mit anderen Unternehmen oder kommunalen und kirchlichen Trägern. Die Unternehmen leisten dies im ureigensten Interesse: zur Bindung vorhandener Mitarbeiter und erfolgreichen Gewinnung neuer Mitarbeiter. Das sind Sorgen der Arbeitgeber, die wir genauso ernst nehmen müssen, wenn wir verantwortungsvolle Politik für die Zukunft unseres Landes gestalten wollen.
Positiv sind die zahlreichen Verbesserungen, die der Gesetzentwurf auch für die Unternehmen bringt. Die Ankündigungsfristen für die Pflegezeit im Anschluss an die Familienpflegezeit und umgekehrt von zwölf Wochen halte ich für richtig und zielführend. Wir geben Arbeitgebern damit die Möglichkeit, sich mit ihrer Personalplanung auf die veränderten Bedingungen einzustellen. Als ehemalige Unternehmerin habe ich auch hier für die Einwände der Unternehmer Verständnis, weil ich selbst erlebt habe, wie komplex Personalplanung, unter anderem auch im Schichtbetrieb, sein kann. Gerade kleinere Unternehmen, die mit einem übersichtlichen Personalstamm auskommen müssen, können oft niemanden entbehren. Wir begrüßen, dass es nun auch für kurzfristige Auszeiten zur Organisation von Pflege klare Regeln geben wird. Wer pflegt, braucht einen sicheren Lebensunterhalt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das bisherige Wertguthaben, das durch den Arbeitgeber verwaltet wurde, wird durch ein direktes zinsloses Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ersetzt. Das ist uns wichtig; denn auch dies entlastet besonders kleine Unternehmen von unnötiger Bürokratie.
Unternehmen wie Mitarbeiter wünschen sich für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf flexible Lösungen, die beiden Seiten gerecht werden. Zwei Drittel aller Betriebe hätten sich darüber hinaus über die bereits bestehende Familienpflegezeit bessere Informationen gewünscht. Deswegen wünsche ich mir, dass wir mit diesem Gesetz sorgsam umgehen und sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer besser und praxisnah darüber informieren.
Um sicherzustellen, dass die getroffenen Regelungen zielgerichtet umgesetzt werden, setzen wir weiterhin einen unabhängigen Beirat für die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ein, was ich sehr begrüße. Durch die vorgenommene Evaluation können die Bedürfnisse angepasst werden. Auch können wir über diesen Weg erfahren, wie diese Instrumente angenommen und genutzt werden.
Ein wesentlicher Aspekt des Themas „Pflege und familiäre Fürsorge“ ist die Konzentration auf die Frauen, die traditionell im Wesentlichen damit befasst sind. Uns als Union ist bewusst, dass Frauen ihre berufliche Tätigkeit und Weiterentwicklung aus familiären Gründen oft unfreiwillig hintanstellen. Hier wollen wir Hilfestellung leisten. Gemäß der Zahlen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft legen über 40 Prozent der Frauen zwischen 20 und 39 Jahren ihre Berufstätigkeit auf Eis, um Kinder zu betreuen oder Angehörige zu pflegen. Dabei liegt der Anteil der Frauen, die in Deutschland familienbedingt auf Teilzeit ausweichen, mit 55 Prozent deutlich über dem EU-Schnitt von 46 Prozent.
Ich habe in zahlreichen Gesprächen, die ich zu diesem Thema geführt habe, die Sorge gehört, dass die Familienpflegezeit schon aus diesem Grund für Frauen problematisch sein könnte. Ich wünsche mir auch hier Ausgewogenheit. Was wir neben gesetzlichen Regelungen aber genauso brauchen, ist ein gesellschaftlicher Bewusstseinswandel. Neben generationengerechten Lösungen brauchen wir hier einen gesellschaftlichen Wertewandel hin zu mehr Miteinander statt Nebeneinander. Daher lautet mein Appell – das ist gleichzeitig meine große Hoffnung –, dass Männer und Frauen genauso wie Politik und Wirtschaft mit diesem Gesetzentwurf in gleichwertiger Verantwortung die richtigen Weichen für die Zukunft stellen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Letzter Redner in dieser Debatte: Erwin Rüddel für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4112233 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 67 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf |