Heiko Maas - Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor einer Woche haben wir hier an die Aufdeckung der Verbrechen des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes erinnert. Wir waren uns dabei einig, dass wir aus der Mordserie und aus den Fehlern, die bei ihrer Aufklärung gemacht worden sind, die richtigen Konsequenzen ziehen müssen.
Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses zur Zuständigkeit des Generalbundesanwalts um und ändern das Strafgesetzbuch. Der Gesetzentwurf enthält zwei Teile, mit denen wir die unterschiedlichen Lehren, die wir aus dem Geschehenen gezogen haben, abbilden wollen.
Der erste Teil erweitert den Spielraum des Generalbundesanwaltes. Er soll die Ermittlungen in Zukunft schon dann an sich ziehen können, wenn eine Tat besondere Bedeutung und objektiv staatsschutzfeindlichen Charakter hat. Bislang ging das nur, wenn zusätzlich auch noch feststand, dass der Täter eine staatsschutzfeindliche Zielvorstellung hatte. Das ist zu Beginn der Ermittlungen aber oft noch gar nicht bekannt. Deshalb wollen wir das ändern. Wir wollen so sicherstellen, dass der Generalbundesanwalt frühzeitig eingeschaltet wird, wenn es um rassistische Taten geht, wie es bei denen des NSU der Fall gewesen ist. Der Gesetzentwurf stellt außerdem klar, dass gerade bei länderübergreifenden Fällen mit Staatsschutzbezug eine Zuständigkeit des Generalbundesanwalts gegeben sein kann.
Aus den Versäumnissen bei den Ermittlungen zum NSU haben wir vor allen Dingen eines gelernt: Durch das Nebeneinander verschiedener Untersuchungen können wertvolle Informationen verloren gehen, weil der eine nicht weiß, was der andere bereits herausgefunden hat. Um genau das zu verhindern, wollen wir in diesen Fällen eine zentrale Ermittlungstätigkeit bei den Experten des Generalbundesanwalts möglich machen. Der Wechsel des Bundeslandes darf nicht mehr dazu führen, dass sich Täter der Strafverfolgung entziehen können. Auch das ist eine Lehre aus den Geschehnissen, und wir ziehen jetzt die Konsequenzen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Der zweite Teil des Gesetzentwurfs befasst sich mit der sogenannten Hasskriminalität. Wir stellen im Strafgesetzbuch nun ausdrücklich klar: Bei der Festsetzung der Strafe sind auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe des Täters zu berücksichtigen. Dadurch soll die Bedeutung dieser Motive für die Strafzumessung der Gerichte hervorgehoben werden. Damit bezwecken wir aber vor allen Dingen, dass Staatsanwaltschaft und Polizei ihre Ermittlungen von vornherein auch auf solche Motive erstrecken. Die Taten rechter Gewalttäter können so künftig nicht mehr als Kneipenschlägereien, Nachbarschaftskonflikte oder Jugendsünden abgetan werden. Wir erhoffen uns davon, dass bereits bei der Ermittlung der Fokus darauf gelegt wird, ob Taten vorliegen, die möglicherweise einen rassistischen Hintergrund haben.
Der Untersuchungsausschuss hat festgestellt, dass das oft halbherzige Vorgehen der Ermittlungsbehörden im Fall des NSU, aber auch das Vorgehen der Justiz in den 90er-Jahren die rechte Szene in dieser Zeit sogar radikalisiert hat. Das galt ganz besonders für das NSU-Trio im Thüringer Heimatschutz.
Solchen Entwicklungen wird der Staat in Zukunft entschiedener entgegentreten, entgegentreten müssen und mit den gesetzlichen Grundlagen, die wir schaffen, auch entgegentreten können. Rechte Gewalttaten sollen als das ermittelt und bestraft werden, was sie tatsächlich sind, nämlich besonders verwerfliche Angriffe auf schutzbedürftige Opfer und auf unsere offene Gesellschaft insgesamt gerichtete Gewalttaten. Deshalb ist diese Änderung bitter notwendig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das sind – daraus mache ich gar keinen Hehl – kleine Schritte auf dem Weg zu einer verbesserten Aufklärung solcher Taten, auch von Hassverbrechen und insbesondere solch abscheulicher Hassverbrechen wie die, die wir heute dem sogenannten NSU zuschreiben können. Ich glaube dennoch: Jeder einzelne Schritt, auch wenn es nur ein kleiner ist, ist wichtig, wenn wir unser Ziel, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht noch einmal vorkommen kann, erreichen wollen.
Halit Yozgat ist am 6. April 2006 in Kassel erschossen worden. Als er erschossen wurde, war sein Vater Ismail ganz in seiner Nähe. Er wollte ihn nachmittags hinter dem Tresen des Internetcafés ablösen, das die Familie betrieb. Als Ismail Yozgat ankam, lag sein Sohn bereits im Sterben. Bis die Hintergründe dieser Tat fünf Jahre später endlich geklärt waren, stand Ismail Yozgat, der Vater, auch selbst lange im Fokus der Ermittlungen. Er hatte seinen Sohn verloren und wurde nun auch noch zum Verdächtigen gestempelt. Trotzdem sagte und sagt Ismail Yozgat, sein Vertrauen in die deutsche Justiz sei immer groß gewesen und es bleibe groß. Meine Damen und Herren, ich finde, wir müssen nun alles tun, um dieses große Vertrauen in unsere Justiz zu rechtfertigen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dieser Gesetzentwurf ist ein Baustein dafür. Das ist ein Baustein, um aus einem nachlässigen wieder einen wehrhaften Staat zu machen. Das sind wir ihm, Ismail Yozgat, und allen Opfern der Verbrechen des NSU bitter schuldig.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die Kollegin Martina Renner spricht jetzt für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4112392 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 67 |
Tagesordnungspunkt | Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses |