Volker UllrichCDU/CSU - Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor zehn Tagen hat der Deutsche Bundestag in einer würdigen Debatte des dritten Jahrestages der Aufklärung der Terrorzelle des Nationalsozialistischen Untergrunds gedacht. Das Gebot der Stunde ist nicht nur die weitere Aufklärung der noch offenen Fragen, sondern auch ein entschiedenes und entschlossenes Handeln. Das bedeutet für uns die Abarbeitung der 47 Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses. Das sind wir uns, das sind wir den Opfern schuldig.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung trägt dieser Verpflichtung Rechnung. Mit dem Gesetzentwurf werden im Bereich der Justiz und Strafverfolgung zwei wesentliche Anker gesetzt, die vielleicht nicht die Welt verändern, die aber im Zusammenspiel der Strafverfolgungsbehörden und auch bei der Bemessung der Strafe die notwendigen Akzente setzen, um vergleichbare Sachverhalte zukünftig zu verhindern.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verbrechen!)
Wir ändern die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts in Staatsschutzsachen. Das ist eine sensible Materie. Denn es geht hier nicht nur um die Frage, wofür der Generalbundesanwalt zuständig ist, sondern es handelt sich auch um eine Frage im Kernbereich des Verhältnisses zwischen dem Bund und den Ländern. Die Länder sind nach unserem Grundgesetz grundsätzlich auch zur Verfolgung und Aburteilung von Strafsachen zuständig. Der Bund hat nur eine sehr begrenzte Zuständigkeit, die er vor dem Hintergrund unseres Verfassungsgefüges sehr sensibel und zurückhaltend wahrzunehmen hat. Dennoch sind die hier vorgeschlagenen Maßnahmen vor dem Hintergrund unserer Verfassungsordnung notwendig. Ja, ich meine, sie sind auch geboten.
Die Frage der Zuständigkeit des Generalbundesanwalts bei Staatsschutzsachen darf sich zukünftig nicht mehr stellen, wenn die Straftaten „bestimmt und geeignet sind“. Denn im Untersuchungsausschuss ist zu Recht festgestellt worden, dass die Frage der subjektiven Motivlage des Vorsatzes nur sehr schwer zu bemessen ist. Wenn dann der Generalbundesanwalt im Zweifel, weil diese subjektiven Umstände nicht vorhanden sind, auf seine Möglichkeiten verzichtet, dann ist der Staat vielleicht nicht so wehrhaft, wie er tatsächlich sein müsste. Deswegen ist es richtig, dass zukünftig die objektive Bestimmung einer Tat ausreicht, die Kompetenz des Generalbundesanwalts zu begründen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es ist auch richtig, dass die Staatsanwaltschaften der Länder zukünftig eine Vorlagepflicht gegenüber dem Generalbundesanwalt haben. Damit soll sichergestellt werden, dass der Generalbundesanwalt bei länderübergreifenden Sachverhalten – seien wir ehrlich, Verbrecher und Feinde unserer Freiheit halten sich nicht an Ländergrenzen – von sich aus prüft, ob seine Kompetenz begründet ist und er mit seinem Apparat und mit seinen Möglichkeiten die Strafverfolgung an sich zieht.
Das setzt etwas voraus, worüber wir in den nächsten Jahren sprechen müssen, nämlich die tatsächliche Fähigkeit des Generalbundesanwalts als Behörde, diesem erhöhten Arbeitsaufwand Rechnung zu tragen. Es kann nicht sein, dass wir in einem Gesetzentwurf wohlfeile Worte und mehr Kompetenzen begründen, aber dem Generalbundesanwalt dann nicht die Möglichkeiten bieten, diese Kompetenzen auszufüllen. Deswegen bedeutet eine Stärkung des Generalbundesanwalts auch eine personelle und sachliche Aufstockung. Anders geht es nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Auch die zweite Stufe dieses Gesetzesvorhabens ist ein wichtiger Schritt im Bereich unserer Strafrechtspflege: die Verankerung von rassistischen, fremdenfeindlichen und menschenverachtenden Motiven bei der Strafzumessung.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt es doch schon! Nichts Neues!)
Bislang ist im § 46 des Strafgesetzbuches eine Aufzählung von Motiven spezieller Art nicht zu finden. Es ist ein Paradigmenwechsel in der Systematik des Strafrechts, dass wir von einer allgemeinen Grundlage der Strafzumessung hin zu speziellen Motiven kommen. Auch bislang finden besondere Motive, wenn es um die Schuld geht, schon Berücksichtigung. Wir haben im Grunde genommen also keine strafrechtliche, sondern eine rechtspolitische und moralische Regelungslücke. Diese schließen wir mit diesem Gesetzentwurf.
(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Strafrecht!)
Auch wenn hier „rassistisch“ und „fremdenfeindlich“ steht und es damit in erster Linie, wie Sie formuliert haben, um die Opfer rechtsextremer Gewalt geht, geht dieser Gesetzentwurf natürlich weiter. Er richtet sich gegen die Feinde unserer Freiheit insgesamt. Er richtet sich gegen Linksextreme. Er richtet sich gegen Dschihadisten, gegen Salafisten, gegen alle, die aus tiefster Überzeugung unsere Freiheit und andere Menschen angreifen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Tankred Schipanski [CDU/ CSU]: Sehr richtig! Nicht nur gegen die Rechtsextremisten!)
Es wird abzuwarten sein, wie sich die besondere Strafzumessung in der Rechtspraxis bewähren wird.
Herr Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung des Kollegen Ströbele?
Ja.
Herr Kollege, danke. – Wenn Sie sagen: „Da muss das Strafrecht verändert werden“, meinen Sie damit, dass in dem laufenden Prozess vor dem Oberlandesgericht München, wenn es zu einer Verurteilung kommen sollte – das wissen wir ja nicht; wir wollen dem auch nicht vorgreifen –, solche Überlegungen, die Ihrer Meinung nach derzeit im Gesetz noch nicht hinreichend Berücksichtigung finden, bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt würden? Das ist nur ein Beispiel; es gibt ja auch viele andere Verfahren, in denen es um ähnliche Themen und Verbrechen geht. Sind Sie also der Auffassung, dass Motive wie Hass und Ähnliches, die Sie jetzt ins Gesetz aufnehmen wollen, bei der Strafzumessung derzeit nicht berücksichtigt werden?
Herr Kollege Ströbele, ich nehme den Verfassungsgrundsatz der Gewaltenteilung ernst. Deswegen werde ich mich als Mitglied des Deutschen Bundestages nicht zu einem laufenden Strafverfahren äußern.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat ja allgemein gefragt!)
Wenn Sie aber allgemein fragen, ob diese Strafbemessungsvorschriften eine Relevanz haben oder nicht, so muss ich Ihnen erwidern, dass Sie nicht ordentlich zugehört haben.
(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er kann aber lesen!)
Ich habe gerade gesagt, dass die Motivlage eines Täters schon nach dem jetzigen § 46 Strafgesetzbuch Berücksichtigung findet und finden muss,
(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber warum wird es nicht gemacht? Es wird ja nicht gemacht!)
dass es hier aber um die rechtspolitische und moralische Grundsatz- und Wertentscheidung des Gesetzgebers geht, besondere Motive in Worte zu fassen,
(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiße Salbe)
um damit die Wertentscheidung, die der Gesetzgeber getroffen hat, deutlich zu machen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich darf abschließend sagen: Wir müssen aufpassen, dass diese Änderung des § 46 Strafgesetzbuch so formuliert und von der Rechtspraxis so gelebt wird, dass die Vertreter unserer rechtsprechenden Gewalt revisionsfeste Urteile schreiben können. Es darf nicht so sein, dass wir Gutes gewollt, letzten Endes aber für eine schwierige Situation gesorgt haben.
Aber abgesehen von der Frage einer rechtlichen Änderung ist es wichtig, dass wir insgesamt das Bewusstsein eines demokratischen und wehrhaften Rechtsstaates pflegen und dass wir alle aufgerufen sind, dafür einzutreten, dass Unrecht dem Recht weicht, dass die Menschenwürde und der demokratische Rechtsstaat in keiner Sekunde und bei keiner Gelegenheit zur Diskussion gestellt werden.
Das ist die wichtigste Botschaft dieses Gesetzentwurfes. Deswegen lassen Sie uns mit diesen Grundlagen gemeinsam in die Beratung gehen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Danke schön. – Die Kollegin Monika Lazar spricht als Nächste für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4112445 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 67 |
Tagesordnungspunkt | Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses |