25.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 68 / Tagesordnungspunkt I.5

Hubert HüppeCDU/CSU - Bundesministerium für Gesundheit Epl 15

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Schulz-Asche, eigentlich wollte ich nichts dazu sagen, aber ich habe manchmal das Gefühl, Sie waren nicht immer dabei, wenn wir die entsprechenden Dinge im Gesundheitsausschuss diskutiert haben;

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie auch nicht!)

denn was wir für die Menschen geleistet und auf den Weg gebracht haben, sind Vorteile. Das alles kann man kritisieren. Sie haben gerade aber den Pflege-Bahr und die Vorsorge kritisiert und gleichzeitig gesagt, wir würden dieses System nicht sichern. Hier stimmt irgendetwas nicht, und ich finde es schade, dass wir hier nicht sachlicher über diese Dinge sprechen können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte jetzt allerdings noch zu einigen anderen Themen kommen. Wir hatten in der letzten Sitzungswoche eine fünfstündige und viel beachtete Debatte über die Frage organisierter Suizid, Beihilfe zur Selbsttötung. Dabei haben wir sehr viele Dinge diskutiert. Es gab ganz unterschiedliche Meinungen quer durch die Fraktionen. Aber alle waren sich einig – zumindest ich habe keine andere Stimme gehört –: Wir wollen eine ausreichende medizinische, auch schmerzmedizinische Versorgung für ein würdiges Leben. Wir brauchen gute Pflege. Wir wollen ebenso – auch das ist sehr wichtig – die menschliche Betreuung sicherstellen.

Ich glaube, dass diese Punkte, wenn wir sie weiterentwickeln und die Versorgung verbessern und sichern, die beste Prävention sind, um dem Wunsch nach vorzeitigem Sterben entgegenzutreten. Deswegen ist es gut, dass vor zwei Wochen eine Initiative des Bundesgesundheitsministers Gröhe und der Gesundheitspolitiker der Koalition – sie sind hinsichtlich der Sterbehilfe durchaus unterschiedlicher Meinung – vorgestellt worden ist, in der dargelegt wird, wie die Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland verbessert werden soll. Es sollen Lücken in der Versorgung geschlossen werden. Auch soll die Hospizarbeit finanziell stärker gefördert werden.

Es soll vor allen Dingen auch finanzielle Anreize für die ambulante Palliativversorgung geben. Es ist wichtig, dass Menschen gerade in ihrer letzten Phase am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, dass sie mitten in unserer Gesellschaft sind und da leben und auch sterben können, wo sie es wollen. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum wir eine solche Debatte führen: Wir haben den Tod mehr und mehr in Einrichtungen verbannt und damit die Angst vor dem Tod gesteigert. Deswegen ist es notwendig, diese Ideen gerade für die ländlichen und strukturschwachen Gebiete tatsächlich aufzunehmen. Ich lade die Opposition ein, hier mitzumachen. Ich bin sicher, dass wir uns guten Vorschlägen nicht verschließen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wichtig ist dabei – das darf ich auch einmal sagen –, dass die Hospiz- und Palliativversorgung in den Pflegeheimen verbessert wird.

(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Immerhin sterben jedes Jahr 340 000 Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen. Es ist notwendig, dass diese Menschen nicht vergessen werden und sie Zugang zu Hospiz- und Palliativleistungen haben; denn es ist wichtig, dass die Menschen keine Angst haben, in diesen Heimen ohne die Möglichkeit, solche Leistungen und auch menschliche Zuwendung in Anspruch zu nehmen, zu sterben. Auch muss gewährleistet sein, dass die Hospizdienste und die Ärzte zusammenarbeiten und den Menschen in ihrer letzten Phase helfen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gerade weil sich alle einig waren, dass die Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung Vorrang hat, sollten wir darüber als Erstes sprechen. Das sollten wir schnell tun, bevor wir die anderen rechtlichen Fragen regeln, damit diese Hilfe zügig ankommt. Es darf nicht sein, dass wir zwar eine rechtliche Frage klären, aber die Hilfe, die die Menschen brauchen, noch nicht geregelt haben. Deswegen sollten wir hier zügig handeln und diese Maßnahmen umsetzen.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben aber noch nichts getan!)

Wenn wir über Teilhabe von kranken, behinderten und alten Menschen sprechen, dann müssen wir auch über Pflege reden. Wenn wir über Inklusion in die Gesellschaft sprechen und über die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, dann denken wir meistens an gemeinsame Kindergärten, Schulen, vielleicht auch an Werkstätten und andere Möglichkeiten für Menschen mit Behinderung. Aber ganz wichtig ist, dabei nicht zu vergessen, dass auch alte und pflegebedürftige Menschen ein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe haben. Deswegen ist das Pflegestärkungsgesetz ein wichtiger Beitrag zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und zu mehr gesellschaftlicher Teilhabe für pflegebedürftige Menschen.

Auch in diesem Bereich wollen wir den Menschen so lange wie möglich ein Leben mitten in der Gesellschaft ermöglichen. Wir sehen deswegen zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen und für Pflegekräfte vor. Wir flexibilisieren in Zukunft die Kurzzeit- und Verhinderungspflege. Wir machen die Tages- und Nachtpflege leichter zugänglich. Auch die stärkere Förderung ambulanter Wohngruppen und die Erhöhung der Zuschüsse für Umbaumaßnahmen tragen dazu bei, dass Menschen dort leben können, wo sie gerne leben wollen, auch wenn sie pflegebedürftig sind.

Wir wollen die Voraussetzungen schaffen bzw. verbessern, dass Menschen mit Pflegebedarf und/oder Behinderung möglichst so leben können, wie sie es wollen. Gesellschaftliche Teilhabe darf nicht in stationären Einrichtungen enden. Deswegen bin ich sehr dankbar, Herr Minister Gröhe, und finde es hervorragend, dass wir bei den Betreuungskräften in diesen Einrichtungen eine erhebliche Aufstockung vornehmen konnten. Wie Sie wissen, konnte bisher pro 24 pflegebedürftigen Bewohnern eine Betreuungskraft eingestellt werden. Aber dafür zählten nur Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz, also vor allem demente Menschen. Jetzt ist der Schlüssel verbessert worden. Es gibt eine Betreuungskraft pro 20 Pflegebedürftigen, und zwar unabhängig davon, ob sie dement sind oder nicht.

Das wird bedeuten, dass zu diesem Zweck Tausende, wenn nicht sogar Zehntausende Betreuungskräfte in diesen Einrichtungen eingestellt werden könnten, die den Menschen mehr geben als Pflege. Sie dürfen zwar keine körperliche Pflege leisten. Wichtig ist aber auch, jemanden zu haben, der mit einem spricht, der einen begleitet und mit einem spielt. Das ist Inklusion. Das ist Teilhabe, und das schaffen wir mit diesem Gesetz.

(Beifall bei der CDU/CSU – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird aber von den Versicherten bezahlt und nicht aus dem Haushalt!)

Im Übrigen schafft das vielleicht auch die Möglichkeit, Menschen einen Arbeitsplatz zu geben, die bisher diese Chance nicht hatten. Es gibt zum Beispiel ein Modellprojekt der Lebenshilfe, in dem man versucht, Menschen mit Lernbehinderung eine Qualifikation und einen Arbeitsplatz außerhalb einer Behindertenwerkstatt zu ermöglichen. Auch das wäre eine sehr schöne Nebenwirkung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, alle diese Leistungen kosten Geld.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das der Beitragszahler!)

Gute Pflege gibt es nicht umsonst. Deswegen nehmen wir die Anhebung des Beitrages in Kauf, auch wenn wir das nicht gerne tun und bei den Lohnnebenkosten ansonsten auf Stabilität achten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Verhaltener Beifall!)

Wichtig ist es auch, Barrieren im Gesundheitssystem abzubauen. Deswegen sehen wir beim Versorgungsstärkungsgesetz vor, dass bei Ausschreibungen eines nachzubesetzenden Arztsitzes erstmals die Belange von Menschen mit Behinderungen gezielt berücksichtigt werden können. Übrigens loben uns fast alle Selbsthilfeverbände dafür. Es wäre richtig, auch das anzuerkennen, statt nur zu sagen, wir hätten nichts gemacht. Im Gegenteil: Das ist nur einer der Punkte, um die wir uns kümmern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ein weiterer wichtiger Punkt ist meines Erachtens der Begriff „Transition“. Damit können vielleicht nicht alle etwas anfangen. Es geht darum – das ist im Koalitionsvertrag festgelegt worden –, dass für erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung und schweren Mehrfachbehinderungen die Möglichkeit geschaffen wird, sich in medizinischen Behandlungszentren behandeln zu lassen. Diese Notwendigkeit gibt es aus meiner Sicht schon seit geraumer Zeit. Es war notwendig und es ist richtig, dass wir das, was im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, jetzt anpacken. Bislang sind Menschen mit einer Behinderung oder Erkrankung wie zum Beispiel einer Muskeldystrophie oder Mukoviszidose in sozialpädiatrischen Zentren behandelt worden. Viele sind schon im Kindesalter gestorben. Deswegen hat man auch keine Folgeeinrichtungen geschaffen.

Herr Kollege Hüppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Klein-Schmeink?

Ja, meinetwegen.

Gut.

Herr Hüppe, wenn Sie schon die Haushaltsrede dazu nutzen, um auf das als Nächstes geplante Gesetz überzuleiten, möchte ich Ihnen eine Frage stellen.

Da Sie zu Recht auf Maßnahmen für Menschen mit Behinderung hingewiesen haben, ist natürlich erklärungsbedürftig, warum in der letzten Legislaturperiode das Zentrum zur medizinischen Behandlung von Menschen mit Mehrfachbehinderung von Ihrer Fraktion abgelehnt wurde; ein entsprechender Antrag hat hier im Bundestag vorgelegen. Als Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen hatten Sie einen umfangreichen Katalog von notwendigen Verbesserungen in der gesundheitlichen Versorgung vorgelegt. Nun sehe ich aber, dass der Referentenentwurf für Menschen mit Behinderung gerade einmal drei Punkte enthält, die als notwendig erachtet wurden. Daher frage ich Sie: Beabsichtigen Sie, nach dem geplanten Versorgungsstärkungsgesetz ein eigenständiges Versorgungsstärkungsgesetz für Menschen mit Behinderung zu machen? Wenn ja, dann sind Sie auf dem richtigen Weg. Ansonsten befürchte ich, dass Sie leider bei den ersten Schritten stehen bleiben. Sechs Jahre nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention wäre es in der Tat notwendig, eine vollständige Anpassung der Regelungen vorzunehmen. Beabsichtigen Sie das?

(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wo ist die Frage?)

– Die Frage lautet, ob es ein eigenständiges Gesetz für Menschen mit Behinderung geben wird, da das andere Gesetz quasi nur Bruchteile enthält.

Es wird in der Tat verschiedene Gesetze geben, im Rahmen derer dieses Thema behandelt wird. Wir diskutieren bereits über ein Teilhabegesetz, auch in der Koalition. Dabei werden nicht nur die Belange behinderter Menschen, sondern auch der Pflegebereich berücksichtigt werden, da die Pflege nicht nur durch die Pflegeversicherung, sondern auch im Rahmen des SGB XII finanziert wird. Ich bin sicher, dass verschiedene Punkte aufgenommen werden, die die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention verstärken. Aber ich bin der Meinung, dass sowohl das Pflegegesetz als auch das geplante Versorgungsstärkungsgesetz bereits wichtige Schritte nach vorne darstellen; ich habe noch nicht alle aufgezählt. Dazu gehört unter anderem die zahnärztliche Betreuung. Ich bin dankbar, dass die Belange der Menschen mit Behinderung nicht in einem gesonderten Gesetz berücksichtigt werden. Vielmehr haben diese Menschen genauso wie jeder andere nicht behinderte Mensch – das bedeutet Inklusion – das Recht auf Versorgung bzw. ortsnahe Versorgung, soweit es möglich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist wichtig, dass Jugendliche und Kinder mit Behinderung bzw. Mehrfachbehinderung die Kontinuität einer Behandlung erfahren. Ich nenne ein Beispiel. Es reicht nicht aus, allein einen Urologen hinzuzuziehen, wenn ein Mensch mit Spina bifida Probleme mit der Blase hat. Ein solcher Mensch braucht zusätzlich einen Neurologen, der feststellen kann, ob dieses Problem beispielsweise mit dem Rückenmark zu tun hat. Es ist auf jeden Fall wichtig, dass solche Menschen eine umfängliche Beratung bekommen, die nicht nur auf den medizinischen Bereich ausgerichtet ist, sondern auch Hilfsmittel, Versorgung und vieles andere umfasst. Wenn wir diese Kontinuität erreichten, dann wäre das ein wichtiger Schritt nach vorne.

Letzter Punkt. Eine gute Gesundheits- und Pflegepolitik garantiert in der Tat keine Inklusion und keine gesellschaftliche Teilhabe. Aber eines ist sicher: Wenn wir sie nicht haben, dann wird es auch nicht zu einer gesellschaftlichen Teilhabe kommen. Deswegen bedanke ich mich beim Minister für die eingeleiteten Maßnahmen. Wir werden noch vieles für die betroffenen Menschen erreichen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Hüppe. – Nächste Rednerin ist Birgit Wöllert, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4173255
Wahlperiode 18
Sitzung 68
Tagesordnungspunkt Bundesministerium für Gesundheit Epl 15
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