Anton HofreiterDIE GRÜNEN - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Epl 04
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, bei den Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der friedlichen Revolution haben Sie einen bemerkenswerten Satz gesagt: „Nichts muss so bleiben, wie es ist.“ Das ist ein Satz, der Mut macht. Er strahlt aus, dass wir unser Schicksal in der Hand haben. Diese Gewissheit hat den Menschen die Kraft gegeben, für eine bessere Zukunft aufzustehen. Für mich ist das Teil der großartigen Geschichte der friedlichen Revolution vor 25 Jahren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] und Katja Kipping [DIE LINKE])
Dieser Satz kann uns auch heute Mut machen. Auch in einer Zeit voller Krisen können wir unsere Zukunft selbst gestalten und zum Besseren wenden. Aber dieser Satz macht nur dann Mut, wenn man eine Ahnung hat, was in Zukunft sein soll. Da frage ich mich: Was folgt für Sie, Frau Kanzlerin, aus Ihrem Satz für Deutschlands Zukunft?
(Zuruf von der LINKEN: Nichts!)
Was ist Ihre Vision für unser Land? Wie soll es in 10, 20 oder 30 Jahren aussehen? Wenn ich Ihnen zuhöre, dann sehe ich nur diffusen grauen Nebel vor mir.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie hocken zu viel in Ihren Tälern! Gehen Sie lieber auf die Alpen!)
Ohne gute Ideen, ohne eine Vorstellung von unserer Zukunft hat Deutschland schlechte Aussichten. Wenn wir nicht endlich beim Klimaschutz wirklich vorangehen, dann zerstören wir unsere Lebensgrundlagen. Wenn wir nicht endlich die Elektromobilität vernünftig umsetzen, bauen am Ende Tesla und Google die Fahrzeuge der Zukunft und nicht Mercedes und VW. Wenn wir Frauen nicht endlich anständig bezahlen, dann ist das nicht nur ungerecht, sondern dann werden auch Wissen und Fähigkeiten verschwendet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wenn weiter nur darüber geredet wird und die Banken und das Finanzsystem insgesamt nicht wirklich reguliert werden, droht die Gefahr, dass wir wieder mit Milliarden an Steuerzahlergeld unser Finanzsystem retten müssen. Glauben Sie denn im Ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, dass Sie mit Rentengeschenken an Ihre Stammwähler,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sind keine Geschenke! Das ist alles erarbeitet!)
mit Kohlekraftwerken aus der Zeit Konrad Adenauers und der Ausländermaut die Zukunft Deutschlands sichern? Das ist doch wirklich aberwitzig, was Sie hier machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Bundeskanzlerin, schauen Sie sich hier, in Ihrem Raum, um.
(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: In ihrem Raum?)
Hier sitzen wirklich Unmengen von Leuten.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: „Unmengen“!)
Hier sitzt Ihre Große Koalition. Aber Ihre Maximalkoalition macht nichts anderes als Miniaturpolitik. „ Nichts muss bleiben, wie es ist.“ Dieser Satz würde Mut machen, wenn er für Ihren Koalitionsvertrag gelten würde. Aber wenn ich in Ihren Koalitionsvertrag schaue, finde ich keine Ideen für die Zukunft. Finden Sie Ideen für die Zukunft? Ich würde Ihnen eines vorschlagen: Schmeißen Sie einfach Ihren Koalitionsvertrag weg, und fangen Sie noch mal neu an! Sie haben immerhin noch drei Jahre zur Verfügung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich will, wir Grünen wollen ein Deutschland, das Energie aus Wind, Sonne und Wasserkraft gewinnt, das die Kohle unter Tage lässt, kein Öl mehr verbrennt und keine Atome mehr spaltet, in dem die Stoffkreisläufe geschlossen sind und kein Müll mehr die Welt verpestet, ein Land, das die besten Kitas, Schulen und Unis und das schnellste Internet hat, in dem jedes Kind sich voll entfalten kann, egal wie viel Geld seine Eltern haben, in dem sich Männer und Frauen Familien- und Erwerbsarbeit fair teilen, in dem pflegebedürftige und kranke Menschen würdig und anständig versorgt sind.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall des Abg. Thomas Oppermann [SPD])
– Thomas Oppermann, du darfst auch klatschen. Wir sind dir nicht böse deswegen. Du hast schon gut angesetzt.
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Thomas Oppermann [SPD]: Alter Reflex!)
– Ja, ein verständlicher Reflex. Wie gesagt, wenn ihr euch ein bisschen anstrengen und endlich mal in die Puschen kommen würdet,
(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das sagen die Richtigen!)
könnte es ja vielleicht irgendwann auch mal wieder was werden, oder? Mit der Politik, fürchte ich, wird es aber noch eine Zeitlang dauern, bis wir gemeinsam klatschen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich wünsche mir ein Land, das Weltmeister in der Flüchtlings- und Entwicklungshilfe ist, ein Deutschland, das ohne räuberischen Verbrauch von Ressourcen auskommt, mit einer vielfältigen und kleinräumigen Landwirtschaft, dank der wir keine Angst vor multiresistenten Keimen aus tierquälerischen Massentierhaltungsställen haben müssen, ein Land, in dem wir uns schnell, nachhaltig und pünktlich auf der Schiene bewegen, ein Land mit E-Autos und E-Bikes. So eine Vision könnte einen Aufbruch schaffen, könnte Ideen freisetzen und, ja, sogar ein neues Wirtschaftswunder schaffen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ihre Politik, Frau Merkel, lebt leider von einer unterschwelligen Angst, von einer Angst vor Veränderungen, von einer Angst vor der Konkurrenz aus China und Indien, von einer Angst vor der Welt da draußen, wegen der wir uns angeblich keinen Umbau in der Wirtschaft leisten können, angeblich keine Reformen, angeblich nicht mehr Sozialpolitik, nicht mehr Gerechtigkeit, nicht mehr Umweltschutz, nicht mehr Nachhaltigkeit, nicht mehr Zukunft. Aber wissen Sie, diese Angst produziert nur Stillstand. Was wir brauchen, ist ein Aufbruch. Wir brauchen einen echten Fortschritt und Visionen von einem besseren Deutschland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Und wenn sich doch mal eine kleine, nette Fortschrittsidee in Ihren Koalitionsvertrag verirrt hat, wie die Frauenquote, dann veranstalten Sie, liebe Herren – da muss man wirklich sagen: liebe Herren von der Union –,
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Da hat sich auch Frau Merkel nicht mit Ruhm bekleckert!)
ein veritables Heulsusenkonzert. Ihre Quote ist doch gerade mal ein Quötchen. Es kommen so seltsame Aussagen wie: Frauen seien eine Belastung, für die man ein Moratorium brauchte. Das ist doch wirklich absurd. Wir wissen doch alle, dass Frauen in Aufsichtsräten oder in Unternehmen überhaupt diese Unternehmen stärken und mehr Wirtschaftskraft schaffen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Christine Lambrecht [SPD]: Da können wir klatschen!)
– Vielen Dank, liebe SPD. Es wird immer besser.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Da wird einfach eine Rezessionsangst zur Verteidigung vor einem „old boys’ club“ in den Chefetagen instrumentalisiert, und Sie, liebe Kollegen von der Union, lassen sich dafür einspannen. Ich sage mal so: Wegen so ein bisschen Quote, Herr Kauder, müssen Sie doch wirklich nicht so rumweinen. In der Jugendsprache würde man sagen: Heul doch!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Wenn wir uns unsere Energieversorgung anschauen, stellen wir fest, dass die erneuerbaren Energien in den letzten Jahren wunderbar gewachsen sind – dank eines rot-grünen Gesetzes. Aber immer noch produzieren wir drei Viertel unseres Stroms aus Atom, Kohle und Gas. Die Menge des Klimakillers CO 2 hat unter Ihrer Regierung sogar zugenommen. Von den zehn dreckigsten Kohlekraftwerken ganz Europas stehen alleine sechs in Deutschland. Frau Merkel und Herr Gabriel – man muss ihn ja jetzt leider den „schwarzen Gabriel“ nennen – bewahren die Kohledinosaurier mit dieser Politik leider vor dem Aussterben.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deutschlands Versprechen, den CO 2 -Ausstoß bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu senken – das ist ein Versprechen der ersten Großen Koalition –, werden Sie so nie einhalten können. Wenn Sie jetzt davon reden, dass Sie bei der Kohle vielleicht 22 Megatonnen CO 2 einsparen wollen, dann klingt das ja erst mal nach viel. Aber man muss sich klarmachen, wie viel die Kohlekraftwerke Deutschlands im Jahr ausstoßen. Sie stoßen 340 Megatonnen CO 2 aus. Das heißt, wir reden von noch nicht einmal 7 Prozent. Für diese 7 Prozent lassen Sie sich feiern? Glauben Sie wirklich, so das Klima retten zu können? Das ist doch kein wirklicher Fortschritt! Das ist doch keine wirkliche Klimapolitik!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dann kommt hinzu: Glaubt denn hier im Raum jemand noch ernsthaft, dass diese Ankündigung wirklich wahrgemacht wird? Wir haben schon so viele Ankündigungen und einen solchen Zickzackkurs von Herrn Gabriel in diesem Bereich erlebt. Mal war er der Schutzpatron der Kohle, mal war er der Klimaretter. Es gibt ja auch in anderen Bereichen schöne Ankündigungen von Herrn Gabriel. Glaubt das denn noch irgendwer?
(Johannes Kahrs [SPD]: Ja!)
– Ja, ich glaube Ihnen, dass Sie von der SPD ihm das glauben. Aber Sie haben ja schon öfters seltsame Leichtgläubigkeit bewiesen, als es um Ankündigungen ging, die sich dann nicht in Wirklichkeit umgesetzt haben.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Na, na!)
Denken Sie nur an den Investorenschutz – da haben Sie ja sogar einen entsprechenden Beschluss gefasst – oder an andere Beispiele.
Deshalb: Wir glauben es ihm nicht. Wir sehen einen Herrn Gabriel, der wild durch die Energiepolitik schlingert. Wir sehen einen Herrn Gabriel, der wie ein politischer Wackelpudding agiert. Auch wenn er jetzt nicht mehr hier ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, muss ich sagen – das ist vielleicht nicht besonders nett, und eigentlich mag ich Sigmar Gabriel echt gern; aber wenn es um die Energiepolitik geht, fällt mir immer dieses Bild ein –: Er agiert leider wie ein rot angestrichener Seehofer.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Sehr originell! – Christine Lambrecht [SPD]: Ein sehr originelles Bild! Ei, ei, ei!)
Ja, Herr Seehofer gehört halt auch zu Ihren Koalitionspartnern.
(Johannes Kahrs [SPD]: Haben wir schon bemerkt! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Oh, Sie mögen ihn auch? Das ist schön!)
Es ist einfach bitter, wenn die SPD in manchen Politikbereichen anfängt, genauso zu agieren wie Herr Seehofer.
(Johannes Kahrs [SPD]: Aber es ist eine schwache Rede! Wenn Sie keine Inhalte haben!)
Ich meine, dafür muss man sich schon etwas schämen. Da können Sie sich natürlich aufregen und dazwischenplärren; das kann ich verstehen.
(Johannes Kahrs [SPD]: Wie wäre es mal mit Inhalten statt Beschimpfungen?)
Aber anstatt hier dazwischenzuplärren, wäre es klüger, Sie würden Herrn Gabriel dazu bringen, keine seehoferhafte, sondern eine vernünftige Politik zu machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Schwache Rede ohne Inhalte!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, aber auch liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, wer eine wirklich erfolgreiche Energiepolitik machen will, der muss raus aus der Kohle – natürlich nicht auf einen Schlag, sondern Schritt für Schritt. Diese Schritte müssen eingeleitet werden. Wir müssen raus aus der Kohle.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das ist auch nicht unmöglich. Das ist auch gar nicht so schwer, wie man es sich vorstellt. Nehmen Sie sich ein Beispiel an Dänemark: Dänemark will ab dem Jahr 2030 sowohl die Wärme als auch den Strom vollständig aus erneuerbaren Energien erzeugen und bis zum Jahr 2050 sogar komplett auf erneuerbare Energien umstellen. Nennen wir das doch einfach eine pragmatische Vision – ehrgeizig, aber machbar. Das wäre ein echtes Vorbild. Nehmen Sie sich doch ein Beispiel daran!
Dazu kommt noch etwas weiteres Schönes: Dänemark wird von da an keine einzige Krone mehr an Russland oder Saudi-Arabien überweisen müssen – weder für Öl noch für Gas noch für Kohle. Das gesparte Geld kann dann in Dänemark eingesetzt werden und dort neue Werte und Arbeitsplätze schaffen, anstatt letztendlich autoritäre Regime zu stabilisieren. Deutschland hingegen überweist immer noch über 30 Milliarden Euro pro Jahr für Öl, Gas und Kohle an Russland und stabilisiert damit das System Putins. Das muss doch überhaupt nicht so bleiben. Das könnten wir durch Politik doch ändern! Das könnten Sie, das könnte diese Große Koalition doch ändern!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dass nichts so bleiben muss, wie es ist, gilt auch für die völlig verfehlte Agrarpolitik hier im Land. Mit dieser Agrarpolitik der Großen Koalition zerstören wir weiterhin unsere Böden und wird dafür gesorgt, dass immer mehr Gensoja nach Europa importiert wird, wird dafür gesorgt, dass noch mehr Treibhausgase in der Landwirtschaft entstehen und dass mehr Gülle produziert wird, die unser Grundwasser verseucht. Sie erhöhen durch den ungezähmten Antibiotikamissbrauch das Risiko multiresistenter Keime, ja, Sie sind noch nicht einmal in der Lage, Reserveantibiotika zu verbieten. Das ist doch einfach wirklich ekelhaft – das ist nicht nur ekelhaft, das ist auch schlecht: schlecht für die Menschen, schlecht für die Tiere und schlecht für unser Land, und damit muss einfach endlich mal Schluss sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ihre Politik führt am Ende auch dazu, dass sich die Investitionen der vielen anständigen Landwirte und Bauern in den Tier- und Umweltschutz nicht mehr lohnen. Die warmen Worte und vielen Lippenbekenntnisse, die wir hier immer wieder hören, helfen ihnen nichts, und zwar so lange nicht, wie das Geld vor allem auf die Großagrarindustriekonzerne konzentriert wird und die kleinen und anständigen Bauern, die Milchbauern nichts davon haben. Sie lassen sie einfach konstant hopsgehen. Seit Jahren wird ein Landwirt nach dem anderen gezwungen, aufzugeben, und nimmt die Anzahl der Bauernhöfe ab. Das ist doch keine Politik, die irgendetwas mit „konservativ“ oder „christlich“ zu tun hat und irgendwie gut für den ländlichen Raum ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie reden auch immer gerne von Marktwirtschaft und von den Märkten. Merken Sie nicht, dass Sie hier einen sich entwickelnden Markt verschlafen? Die Menschen sind sehr viel weiter als die Große Koalition. Sie kaufen schon längst Bio, und die Menschen kaufen doch längst regional. Das Problem ist nur: Sie sorgen dafür, dass diese Produkte nicht in Deutschland produziert werden können. Mit Ihrer Art von Landwirtschaftspolitik halten Sie das Angebot klein. Sie bremsen den Ökolandbau aus und fördern stattdessen Agrarexporte. Damit führen Sie nicht nur die Bauern, sondern auch die Verbraucher in die Sackgasse. Der Effekt ist, dass wir die Biolebensmittel aus Österreich, aus der Schweiz und aus vielen anderen Ländern importieren müssen, weil Ihre Politik in Deutschland dafür sorgt, dass sie hier nicht produziert werden können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Stattdessen gibt es hier eine sogenannte Tierwohlinitiative von Landwirtschaftsminister Schmidt. Das ist eine schöne Tierwohlinitiative. Sie setzt darauf, dass sich die Agroindustrie freiwillig bessert. Ja, glauben Sie denn wirklich im Ernst, dass sich Wiesenhof freiwillig bessert? Die Leute von Wiesenhof brauchen keine netten Ansprachen, nach dem Motto: „Jetzt reden wir mal miteinander, Firma Wiesenhof. Halten Sie doch Ihre Hühner und Puten mal ein bisschen besser“, sondern sie brauchen vernünftige Gesetze. Man muss sich gegenüber diesen Lobbyisten einfach trauen, vernünftige Gesetze durchzusetzen. Die Mehrheit dafür müssten Sie hier doch zustande bringen mit Ihren 80 Prozent.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Gleiche gilt für den Haushalt. Auch im Haushalt müsste eigentlich nichts so bleiben, wie es ist. Es muss nicht dabei bleiben, dass Deutschland zu wenig in Schienen, Brücken und Schulgebäude investiert, und es muss auch nicht dabei bleiben, dass wir Anfang des 21. Jahrhunderts noch immer in vielen Ecken kein funktionierendes Internet für alle haben. Es muss doch nicht so bleiben, dass im Bildungssektor, von der Kita über die Schulen bis zu den Universitäten, schlicht zu wenig Geld vorhanden ist. All das könnte man doch ändern. Das müsste doch mit einer 80-Prozent-Mehrheit änderbar sein, oder etwa nicht?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber dafür müssten Sie eine andere Politik machen. Dafür müssten Sie einfach Geld in die Hand nehmen, Geld, das im Grunde im Haushalt vorhanden ist. Dafür müssten Sie ein paar ökologisch schädliche Subventionen streichen und dann das Geld sinnvoll ausgeben. Stattdessen lassen Sie sich für ein 10-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm feiern. Von diesem 10-Milliarden- Euro-Investitionsprogramm soll im nächsten Jahr de facto nichts kommen und in den folgenden Jahren vielleicht jeweils 3 Milliarden Euro. Also bitte! Welcher Anteil vom Bundeshaushalt ist denn das? Ein 10-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm klingt zwar gut, aber das ist ungefähr 1 Prozent des darauffolgenden Haushalts. Das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
De facto sind das nur Krumen, die vom Tisch des Finanzministers fallen. Die Folge davon ist, dass sich Ihre Minister um diese Krumen streiten wie die Spatzen im Biergarten. Es ist doch nicht so, dass wir Breitbandausbau oder Gebäudesanierung brauchen, dass wir Straßen- und Schienenerhalt oder Geld für die Kommunen brauchen. Nein, wir brauchen beides. Deshalb geben Sie Ihren Ministern nicht nur Krumen, sondern geben Sie ihnen endlich Geld, damit sie sich nicht so kindisch um diese Kleinigkeiten streiten müssen! Deutschlands Zukunft braucht beides.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutschland bräuchte wirklich einen Investitionsschub. Sie aber legen einfach die Hände in den Schoß und betreiben Schönfärberei. Erst heute haben Sie wieder Schönfärberei betrieben. Wissen Sie, Frau Merkel, Sie müssen uns von der Opposition nichts glauben. Sie müssen auch mir nichts glauben.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das tun wir auch nicht!)
– Da sind wir ganz großzügig. Wir haben ja sehr kompetente Verbündete.
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Können Sie das einmal erklären?)
Schauen Sie sich doch einfach einmal den Bericht der OECD an. In dem Bericht der OECD steht, dass sich die Wachstumsaussichten für Deutschland halbieren werden. Die Euro-Zone wird als der kranke Wirtschaftsraum des Globus identifiziert, und massive Investitionen in Bildung und Infrastruktur werden angemahnt.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das machen wir doch!)
Das ist das bittere Urteil der OECD über Ihre fatale Haushaltspolitik, über Ihre schwächliche Investitionspolitik, Ihre fehlgeleitete Politik.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber anstatt das ernst zu nehmen, produzieren Sie einfach weiter Verlierer und sorgen nicht dafür, dass ausreichend Geld investiert wird.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben mit Ihren Kollegen in Brisbane ein wunderschönes Wachstumspaket mit sagenhaften 800 Maßnahmen geschnürt. Aus Deutschland kommt allerdings überhaupt nichts Neues. Sie haben einfach den Koalitionsvertrag genommen und die darin enthaltenen Maßnahmen ins Abschlussdokument kopiert. Das war es dann: „copy and paste“. Und dafür sind Sie um die halbe Welt geflogen?
Aber es gab wunderschöne Fotos, die wir bewundern konnten. Dieses Mal waren es keine schönen Fotos mit roter Windjacke vor Eisbergen, sondern stattdessen schöne Fotos von nächtlichen Abstechern in die Pubs von Brisbane. Dazu kann man sagen: Immerhin, dafür hat sich die Reise gelohnt.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Geht’s noch platter?)
Allerdings: Zukunft gestalten geht heute eben nur noch global. Gerade im nächsten Jahr werden wichtige Weichen gestellt. Da kommt es entscheidend auf Deutschland an.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Inhaltslos! Mein Gott nochmal!)
– Regen Sie sich nur darüber auf. Wenn Sie sich aufregen, dann merkt man, dass es wehtut.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ich rege mich gar nicht auf! Ich bin nur fassungslos, wie man so etwas sagen kann!)
In der Tat haben wir heute den wunderschönen Beginn Ihres Gipfeltheaters erlebt. Ich sehe das nächste Jahr schon vor mir: Da holen Sie, Frau Merkel, wieder das schöne rote Jäckchen aus dem Schrank,
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Jetzt wird es wieder platt!)
weil das mit den Grönlandfotos damals so gut geklappt hat. Der liebe Sigmar bürstet sich ein bisschen den Kohlestaub vom Jackett.
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Noch platter!)
Dann machen Sie sich beide fein für den Klimagipfel und für die G-7-Präsidentschaft.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn Sie brav sind, dürfen Sie das nächste Mal mitfahren!)
Aber wissen Sie: Beim Klimaschutz zählt nicht die Optik, sondern da zählen die realen Taten. Was die angeht, sind Sie kein schönes Paar.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Während in den USA und in China neue Bewegungen entstehen, herrscht in Deutschland und Europa Stillstand. Diesen können Sie auch mit Ihren schönen Worten nicht mehr kaschieren. Auch bei den anderen globalen Herausforderungen übernehmen Sie keine Führung.
Wo bleiben denn Ihre konkreten Vorschläge gegen Steuertricksereien, wie sie der Konservative Juncker in Luxemburg oder der Sozialdemokrat Dijsselbloem zu verantworten haben? Dazu sagen Sie nichts. Wir hören zwar zum wiederholten Male, dass die Banken und das Finanzsystem jetzt reguliert sind und etwas gegen die Steuertricksereien unternommen wird, aber vom Reden alleine wird das alles nicht unterbunden. Wir wünschen uns schlichtweg Taten von Ihnen. Denn auch von noch so schönen Reden – ehrlich gesagt, sie waren eher ermüdend – und von noch so schönen inhaltlichen Aussagen
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dass Sie das gerade sagen!)
wird, wie gesagt, das Steuersystem nicht gerechter gestaltet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutlich wurde allerdings, was Ihnen wichtig ist: das globale sogenannte Freihandelsabkommen TTIP.
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das ist nicht global! Das ist transatlantisch!)
Damit kann es Ihnen gar nicht schnell genug gehen. Da werden einfach der Rechtsstaat und die rechtsstaatlichen Maßnahmen zu sogenannten nichttarifären Handelshemmnissen erklärt. Wir brauchen allerdings in Deutschland kein Abkommen für Konzerne mit besonderen Klageprivilegien.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir haben in Deutschland einen funktionierenden Rechtsstaat mit demokratisch legitimierten Gerichten.
(Johannes Kahrs [SPD]: So ist das!)
Sie reichen aus, und sie haben sich bewährt.
Wir brauchen auch kein Standarddumping. Ich finde, wir müssen das europäische Vorsorgeprinzip behalten. Wir brauchen kein Handelsabkommen, das Gewinne für wenige organisiert, sondern wir brauchen endlich ein Handelsabkommen, das fairen Handel für alle organisiert. Das erwarten wir von Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben in der Ukraine erlebt, dass tatsächlich nichts so bleiben muss, wie es ist. Vor einem Jahr haben sich die Menschen in der Ukraine auf dem Maidan versammelt. Die Menschen, die aus allen Teilen des Landes kamen, bekannten sich zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in einer offenen Gesellschaft. Diese Menschen können sich unserer Solidarität sicher sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Da können Sie mitklatschen! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Stimmt! – Beifall des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU])
Ein Jahr danach ist nichts mehr, wie es einmal war. Die Krim ist von Russland militärisch annektiert worden: ein ganz klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. In der Ostukraine setzt die russische Führung ihre Destabilisierungspolitik fort.
In dieser verfahrenen Situation können Deutschland und die EU nur mit Geschlossenheit Fortschritte erreichen. Diese Geschlossenheit herzustellen ist Ihre Verantwortung. Das ist die Verantwortung unserer Bundesregierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In dieser Krise helfen uns auch keine markigen Worte der NATO und Gedankenspiele in Richtung NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Das kann uns nicht helfen und wird auch den Frieden in Europa nicht erhalten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Grundfalsch wäre es aber, gegenüber dem russischen Präsidenten den geringsten Zweifel daran zu lassen, dass Europa entschlossen ist, in dieser Frage zusammenzustehen. Denn Sicherheit und Frieden kann es in Europa zwar nur mit Russland geben, aber Putin zeigt derzeit kaum Bereitschaft zur Lösung des Konfliktes. Er nutzt stattdessen den Konflikt, um gegen Kritikerinnen und Kritiker innerhalb Russlands vorzugehen. Deshalb waren die verhängten Sanktionen unumgänglich, und ich sehe derzeit keine Grundlage, um sie wieder aufzuheben. Ja, wir sind auf der Seite der Menschen in der Ukraine, aber wir sind auch auf der Seite der Opposition in Russland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sehr geehrte Frau Kanzlerin, kürzlich war im Spiegel ein Interview mit einer 20-jährigen Frau zu lesen. Seit diese Frau Politik wahrnimmt, kennt sie nur Sie als Kanzlerin, Frau Merkel.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sehr gut! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Da hat sie Glück gehabt!)
– Seit dieser Zeit kennt sie nur Sie bewusst als Kanzlerin; eine Fünfjährige nimmt Politik nicht wahr.
Diese Frau ist über Ihre Arbeit als Kanzlerin befragt worden. Ich zitiere wörtlich:
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da haben Sie lange gesucht, bis Sie eine solche Stelle gefunden haben!)
Tja, Frau Merkel, damit spricht sie vielen Menschen in Deutschland aus der Seele. Ihre heutige Regierungserklärung hat uns wieder kein Stück vorangebracht. Ihre Regierungserklärung ist wieder vollkommen durch das Ungefähre gewabert, ohne anzuecken, ohne vorauszublicken, ohne irgendetwas anzustoßen. Der Klimawandel wartet doch nicht. Unsere Kinder haben doch keine Zeit mehr zu verschwenden in nicht sanierten Schulen. Die Unternehmen brauchen doch endlich ein schnelles Internet. Die Flüchtlinge brauchen unsere bedingungslose Hilfe, und Europa braucht vernünftige Investitionen. Drei weitere Jahre, in denen Sie weiter so amtsmüde und ideenlos vor sich hinwerkeln, kann sich unser Land, kann sich unsere Zukunft nicht leisten. „ Nichts muss so bleiben, wie es ist.“ – Ja, das gilt auch für Sie, Frau Bundeskanzlerin. Sie könnten sich doch noch einmal einen Ruck geben. Schmeißen Sie Ihren Koalitionsvertrag weg!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Entwickeln Sie eigene Ideen! Unserem Land und unserer Zukunft wäre es zu wünschen. Uns allen wäre es zu wünschen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Thomas Oppermann ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4178275 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 69 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Epl 04 |