Claudia Roth - Auswärtiges Amt Epl 05
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alois Karl hat es eben gesagt: Viel Gutes, viel Erfreuliches ist aus den internationalen Beziehungen, aus der internationalen Politik im Augenblick nicht zu berichten. Deshalb kommt es umso mehr darauf an, dass man sich der wenigen Sternstunden, die es in diesem Jahr gegeben hat, noch einmal vergewissert. Ich finde, es war schon eine Sternstunde, als hier in Berlin vor zweieinhalb Wochen Tausende von weißen Ballons in den Abendhimmel stiegen und uns noch einmal daran erinnert haben, dass dieser Tag vor 25 Jahren ein wirklicher Glücksmoment in der deutschen Geschichte war und dass wir uns dessen wirklich sicher und gewiss sein sollen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich sage das nicht ohne Grund ganz am Anfang. Für mich und meine Generation ist es ja so, dass einem an einem solchen Tag noch einmal klar wird: Wir, die wir nach dem Krieg geboren sind und heute an unterschiedlichen Stellen Verantwortung tragen, sind diejenigen, die von der Geschichte begünstigt sind. Wir durften sieben Jahrzehnte in einem Europa ohne Krieg leben. Uns sollte bewusst sein, dass das auf ganz vieles zurückzuführen ist, vor allen Dingen auf mutige Bürgerinnen und Bürger in vielen Staaten Osteuropas, besonders in der früheren DDR, dass das aber auch auf viele Generationen Außenpolitik zurückgeht, die uns diesem Ziel, nämlich dem Fall der Mauer, über die Jahre hinweg nähergebracht hat.
Was sagt uns das heute, meine Damen und Herren? Aus meiner Sicht, dass wir, die wir heute miteinander Verantwortung tragen, uns nicht nur der Erinnerung an das Glück, das wir alle miteinander gehabt haben, versichern dürfen, sondern dass wir dieses Glück als historische Verantwortung, als historische Pflicht begreifen müssen, nie wieder zuzulassen, dass dieses Europa an anderer Stelle neu gespalten wird. Das ist unsere Verantwortung.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dazu brauchen wir aktive Außenpolitik. Gleich zu Beginn meiner Rede will ich diesem Hohen Haus meinen Dank dafür aussprechen, dass es die Bemühungen unserer Außenpolitik ausdrücklich unterstützt, und zwar nicht nur rhetorisch, dass diese Unterstützung ihren Niederschlag auch im Haushalt findet. Mein Dank gilt natürlich ganz besonders den Berichterstattern, die eben geredet haben, Doris Barnett, Alois Karl, Michael Leutert, Tobias Lindner, für konstruktive Diskussionen, die wir lang und ausführlich miteinander geführt haben, und für hilfreiche Ergebnisse. Ihnen danke ich stellvertretend für das ganze Parlament. Ich sage aufrichtig: Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Diesen Dank beziehe ich ganz besonders auf zwei Bereiche, die meistens im Schatten der öffentlichen Debatten stehen:
Das gilt erstens für die humanitäre Hilfe, die Sie alle auf unterschiedliche Weise angesprochen haben. Wir dürfen unseren Blick nicht abwenden vom Elend in dieser Welt. Wir sind uns gewiss: Wir werden es alleine nicht abwenden, aber wir müssen unseren Teil beitragen, unerträgliches Leid wenigstens zu mindern. Seien es die Flüchtlinge aus Syrien, seien es die Opfer des IS-Terrors im Nordirak, seien es die Menschen in der Ostukraine oder seien es die Gesellschaften in Westafrika, die vom Ebolavirus immer noch heimgesucht werden – ihnen allen kommt die humanitäre Hilfe zugute, für die Sie die Mittel im Haushalt immerhin verdoppelt haben. Dafür danke ich ganz herzlich.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Der zweite Bereich, den ich hervorheben möchte, der ebenfalls regelmäßig unter den Tisch fällt, wenn wir im Deutschen Bundestag über Außenpolitik reden, ist die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Ich will das ausdrücklich sagen: Das ist nicht ein „nice to have“, das ist nicht einfach eine nette Draufgabe, sondern das ist ein Teil der Außenpolitik, für den es einen dringenden Bedarf gibt, der sogar von Jahr zu Jahr weiter wächst. Schaut man nur auf die gefährlichsten Konflikte um uns herum – ob Syrien, ob Irak, ob Naher Osten oder Nordafrika –, stellt man fest, dass es in jedem dieser Konflikte eigentlich weniger um die klassischen politisch-territorialen Auseinandersetzungen geht. Alle diese Konflikte sind mindestens überlagert von religiösen, ethnischen oder kulturellen Konflikten, die wir – das ist mein Plädoyer – wenigstens verstehen sollten, bevor wir uns entscheiden, ob und auf welcher Seite des Konfliktes wir uns engagieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
– Danke. – Die Langzeitfolge der militärischen Intervention im Irak sollte uns – das wird deutlich, wenn wir uns das noch einmal genau anschauen – eigentlich eine Lehre sein. Wiederholungen dieser Art müssen für die Zukunft jedenfalls vermieden werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Gerade weil sich die Welt nicht mehr allein um die europäische Sonne dreht, sondern weil China, Indien, Südamerika und Afrika mit großem Selbstbewusstsein mit Blick auf die eigene Geschichte, Kultur und Philosophie in der Welt auftreten, müssen auch wir – auch das ist Teil von Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik – unsere Werte und unsere Überzeugungen besser verständlich machen, als wir das in der Vergangenheit, vielleicht in großer Selbstsicherheit, getan haben.
Mit diesem Haushalt stärken wir nicht nur das Flaggschiff der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, das Goethe-Institut, das jetzt endlich einigermaßen ordentlich ausgestattet ist. Dadurch, dass wir dem Deutschen Akademischen Austauschdienst neue Stipendienmöglichkeiten zur Verfügung stellen, können wir auch mehr junge Leute aus aller Welt zu uns holen. An anderer Stelle habe ich gesagt: Man darf den Erfolg nicht unter den Tisch fallen lassen, dass wir innerhalb der letzten sechs Jahre ungefähr 1 500 Partnerschulen überall auf der Welt geschaffen haben, in denen junge Leute zum ersten Mal mit deutscher Sprache, auch mit deutschen Wertvorstellungen in Berührung kommen. Das alles ist nur möglich aufgrund der Haushaltsausstattung, die Sie uns gewähren. Deshalb auch dafür meinen ganz herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich fange mit den Punkten an, die positiv sind. Aber ich kann natürlich nicht über Folgendes hinwegsehen: Die Welt ist eine andere geworden. Sie ist schwieriger denn je. „ Eine Welt aus den Fugen“, habe ich an anderer Stelle gesagt. Die Bilder aus den Konfliktgebieten, die uns jeden Abend in unseren Wohnzimmern erreichen, sind unerträglich. Auch wenn ich täglich damit zu tun habe, verstehe ich natürlich den Ruf der Menschen, die uns auf unterschiedliche Art und Weise kundtun: Jetzt tut endlich etwas, damit diese Konflikte gelöst werden.
Viele haben den Eindruck, bei der Außenpolitik dauert alles viel zu lange. Das stimmt auch. Es dauert häufig viel zu lange, bis sich Engagement und Aktivität wirklich positiv bemerkbar machen. Aber diejenigen, die hier sind, wissen: Man muss manchmal mit dem Ansatz herangehen, dass bei sehr festgefahrenen Konflikten die Aufgabe der Außenpolitik eben auch darin besteht, Schlimmeres zu verhüten und einen noch schlimmeren Zustand nicht eintreten zu lassen. Mit dem Vorwurf, dass es zu lange dauert, kann ich also leben.
Mit dem anderen Vorwurf, dass Außenpolitik eigentlich ein vergebliches Unterfangen ist, kann ich schon weniger leben. Man betrachte nur einmal ein Wochenende wie das, das wir gerade in Wien erlebt haben. Natürlich sage auch ich mir: Mein Ehrgeiz und meine Erwartungen an die Verhandlungen mit dem Iran, die zum Ziel haben, den Atomkonflikt endlich zu Ende zu bringen, waren größer. Es hat aber nicht sollen sein. Es hat nicht gereicht. Wir sind nach drei Tagen und zwei Nächten Verhandlungen nicht an den Punkt gekommen, wo wir hätten sicher sein können, dass alle Nebenwege und Umleitungen, vielleicht doch zur Atombombe zu kommen, ausgeschlossen sind. Dennoch würde ich nicht unterschreiben, dass Außenpolitik deshalb vergeblich ist. Man muss vielmehr versuchen – das ist immerhin geschehen –, auch über drei Tage und zwei Nächte die unterschiedlichen Positionen ein ganz kleines Stück zueinanderzubringen.
Rückblickend auf die letzten zehn Jahre sage ich: Wir haben im letzten Jahr mehr geschafft als in den neun Jahren zuvor. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die Lösung nicht unmöglich, sondern immer noch möglich ist. Deshalb habe ich der Verlängerung der Frist für die Verhandlungen um ein weiteres Vierteljahr und dann um zwei weitere Monate für die technischen Details ausdrücklich zugestimmt. Ich bleibe zuversichtlich, dass das am Ende kein ganz unlösbarer Konflikt ist.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Mit Blick auf einige Krisenbilder und langandauernde Auseinandersetzungen – Syrien ist vielleicht eine davon, ebenso die Ukraine – ziehen viele Leute gelegentlich den gefährlichen Schluss: Wenn man sich die Bilder ansieht, dann denkt man, dass das doch alles überflüssig ist. Die Leute hören doch in Wahrheit nicht auf Sie. – Es stimmt: Der Gipfel von Vilnius liegt nun schon ein Jahr zurück. Seither ist der Ukraine-Konflikt durch viele Aggregatzustände gegangen: von den bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen in Kiew über die völkerrechtswidrige Annexion der Krim bis hin zur gewaltsamen Auseinandersetzung und Gewaltexzessen in der Ostukraine.
Trotzdem, sage ich Ihnen, darf Außenpolitik sich nie in den Zustand der Aussichtslosigkeit begeben. Das war auch der Grund, weshalb ich jetzt noch einmal nach Kiew und Moskau gefahren bin und eines der 100 Gespräche, von denen die Kanzlerin heute Morgen gesprochen hat, geführt habe. Ich glaube, wir haben gar keine andere Möglichkeit, als mit den Konfliktparteien Einvernehmen darüber zu erzielen, dass das einzige Dokument, das im direkten Gespräch miteinander wirklich erreicht worden ist, nämlich die Minsker Vereinbarung, nicht der Geschichte überantwortet wird, sondern dass wir noch Anstrengungen unternehmen müssen, sie wirklich zur Grundlage der Entschärfung des Konfliktes und hoffentlich anschließend zur Grundlage für politische Lösungen zu machen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die schwierige Aufgabe, die Ukraine zu stabilisieren, liegt vor uns – ökonomisch und politisch eine große Aufgabe, die wir in Europa zu schultern haben. Das Verhältnis zu Russland wird sicherlich neu vermessen werden müssen. Wo wir in 10 oder 15 Jahren stehen, wie die europäische Sicherheitsarchitektur dann aussieht, weiß auch ich nicht. Ich bin mir nur gewiss: Es wird überhaupt nur dann eine Sicherheitsarchitektur geben, wenn wir nicht sämtliche Gesprächsformate, die jetzt noch zur Verfügung stehen – es sind wenige –, entwerten und in den Mülleimer der Geschichte werfen.
Das gilt für vieles. Das gilt, wenn ich das sagen darf, Marieluise Beck, auch für den Petersburger Dialog. Mir ist völlig klar: In dem Maße, in dem der gesellschaftliche Freiraum in Russland in den letzten Jahren kleiner geworden ist, ist der Dialog schwieriger geworden.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung der angesprochenen Kollegin?
Bitte.
Frau Beck.
Lieber Herr Außenminister, lieber Frank-Walter Steinmeier, ich möchte hier sehr deutlich machen, dass ich mich für eine Reform des Petersburger Dialogs ausgesprochen habe, immer für eine Reform und nie für seine Abschaffung; nur damit das hier in diesem Haus klar ist.
Herzlichen Dank für die Frage.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Es muss ja keine Frage sein!)
Sie kann auch eine Bemerkung machen; das sieht unsere Geschäftsordnung vor.
Herzlichen Dank. – Das gibt mir die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass die Antwort in meiner Rede noch gekommen wäre. Ich hätte nämlich als nächsten Satz gesagt: Ich bin Gast beim Petersburger Dialog. Deshalb steht es mir überhaupt nicht zu, irgendwelche Empfehlungen zu geben. Aber ich bin daran interessiert, dass dieses Dialogformat aufrechterhalten wird. Natürlich ist es überhaupt nicht verboten, über Veränderungen und Modernisierungen nachzudenken. Was ich nur nicht möchte, ist, dass aus dem Petersburger Dialog ein Berliner Monolog wird. Dann haben wir nämlich nichts gewonnen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In diesem Sinne bitte ich, bei all dem, was da auf dem Weg ist, auch die Interessen deutscher Außenpolitik mit im Auge zu behalten.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. – Nächster Redner in der Debatte: Jan van Aken für die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
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Electoral Period | 18 |
Session | 69 |
Agenda Item | Auswärtiges Amt Epl 05 |