26.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 69 / Tagesordnungspunkt I.9

Jan van AkenDIE LINKE - Auswärtiges Amt Epl 05

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde ja, dass die deutsche Außenpolitik gerade ein ziemlich trauriges Bild abgibt. Es lässt auch tief blicken, Herr Steinmeier, dass Ihr Koalitionskollege Herr Karl Sie gerade loben wollte und das Einzige, was ihm einfiel, war: Sie reisen viel. – Reisen ist schön. Aber ich finde, das reicht nicht. Was mir wirklich fehlt, ist eine Veränderung der deutschen Außenpolitik. Wir brauchen endlich eine echte Friedenspolitik,

(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])

vor allen Dingen eine Sicherheitspolitik, die Sicherheit nicht immer nur militärisch denkt,

(Beifall bei der LINKEN)

und eine Außenpolitik, die nicht immer nur mit der Waffe in der Hand und dem Panzer im Kopf gedacht wird. Ich möchte drei Beispiele für Fälle, in denen Sie genau das tun, ansprechen.

Das erste Beispiel: Afghanistan. 13 Jahre NATO- Krieg haben dem Land keinen Frieden, keinen sozialen Fortschritt, keine stabile Demokratie, keine Rechtsstaatlichkeit gebracht. Sie alle hier im Raum wissen genauso gut wie ich, dass Ihr Krieg in Afghanistan komplett gescheitert ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb haben Sie uns jahrelang den Abzug Ende 2014 versprochen. Aus meiner Sicht war schon das viel zu spät, aber nicht einmal das halten Sie ein. Es sollen noch 850 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan bleiben. Dann fügen Sie hinzu: Das ist ja nur für Ausbildungszwecke. – Wen wollen Sie damit eigentlich hinters Licht führen, Herr Steinmeier? Die Öffentlichkeit, uns hier im Parlament oder sich selbst? Denn Sie verschweigen dabei immer, dass die Bundeswehr ja nicht allein in Afghanistan ist, sondern Seite an Seite mit 10 000 amerikanischen Soldaten kämpfen wird. Die haben einen Kampfauftrag, und mit dem gehen sie dort in den Kampf. Da immer nur von Ausbildung zu reden, ist doch verlogen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor allen Dingen: Reden Sie bitte nicht mehr vom zivilen Aufbau in Afghanistan; denn der findet mit der Bundeswehr nicht statt. Wenn Sie weiterhin zivile Hilfe und Militär miteinander verkoppeln, dann wird es keine neutrale, humanitäre Wiederaufbauhilfe in Afghanistan geben. Das sagen Ihnen alle Entwicklungshelfer, das sagen auch alle Aufbauorganisationen, und Sie wissen das. Auch Sie kennen Herrn Erös – er ist ein ehemaliger Bundeswehrsoldat –, der dort seit zehn Jahren Schulen aufbaut und immer und immer wieder sagt: Bringt unsere Schulen im Taliban-Gebiet nicht mit westlichen Soldaten in Verbindung. Nur so, nur ohne Militär, können wir Mädchen- und Jungenschulen mitten im Taliban-Gebiet aufbauen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das heißt, wenn Sie wirklich Wiederaufbau und humanitäre Hilfe wollen, dann geht das nicht mit der Waffe in der Hand und mit dem Panzer im Kopf.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Steinmeier, Sie haben hier gesagt, man müsse doch auch einmal die Lehren aus dem Irakkrieg 2003 ziehen. Dann tun Sie das doch endlich! Wo ist denn der Unterschied zwischen den desaströsen Ergebnissen des Irakkriegs 2003 und Ihrem Einsatz in Afghanistan? Hier gibt es doch keinen Unterschied. Die Situation der Menschen ist in beiden Ländern katastrophal.

Zweites Beispiel: Syrien und Irak. Auch in Syrien und im Irak zeigt sich, dass Sie überhaupt keine Vorstellung davon haben, wie man einem gewalttätigen Konflikt zivil – nicht gewalttätig – begegnen könnte. Der Bürgerkrieg in Syrien dauert jetzt vier Jahre. Die Bundesregierung hat in dieser ganzen Zeit wenig für eine friedliche Lösung getan, aber sie hat die Bundeswehr und Patriot-Raketen in die Türkei geschickt. Sie alle hier wissen – gerade Ihre Verteidigungspolitiker –: Eine militärische Notwendigkeit dafür gab es nie. Das war immer nur ein politisches Signal und eine politische Unterstützung der Erdogan-Regierung in der Türkei, also für eine Regierung, die im Moment ganz sicher nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems in der Region ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit der Bundeswehr und den Patriot-Raketen unterstützen Sie noch immer eine türkische Regierung, die radikale Dschihadisten in Syrien unterstützt – das wissen Sie –, die bis heute lieber gegen Kurdinnen und Kurden als gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ kämpft und die die nordsyrischen Gebiete mit einem kompletten Embargo belegt. Hier kommen keine einzige Tablette und keine einzige Hilfelieferung durch. Diese türkische Regierung unterstützen Sie! Das machen Sie mit! Sie selbst, Herr Steinmeier, verweigern sogar medizinische Hilfe für die Kurdinnen und Kurden in Nordsyrien. Ich bin fassungslos und frage mich, was das eigentlich für eine Außenpolitik ist, die an die einen Kurden im Nordirak Waffen liefert, den anderen Kurden in Nordsyrien aber nicht einmal Medikamente liefern will. Das ist das Gegenteil von menschlicher Außenpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie brutal Sie gelegentlich sein können, zeigt mein drittes Beispiel, nämlich Ihr Umgang mit den Flüchtlingen im Mittelmeer, die vor Krieg, Gewalt, auch vor deutschen Waffen und vor Armut flüchten. Sie alle wissen: Es gab ein italienisches Programm zur Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer. Das Programm hieß „Mare Nostrum“. Das hat in einem einzigen Jahr 130 000 Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet. Das Programm musste aus Geldmangel eingestellt werden, weil kein einziger EU-Staat bereit war, das mitzufinanzieren. Auch die Bundesregierung war nicht bereit, nur einen einzigen Cent für dieses Programm „Mare Nostrum“ zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer auszugeben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der LINKEN: Schande!)

Auch Sie, Herr Steinmeier, sind mit schuld, wenn das Mittelmeer zum Friedhof für viele Menschen wird.

(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das ist unverschämt! – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Das ist eine bodenlose Unverschämtheit! Sie überschreiten eine Grenze! Das ist eine Frechheit, was Sie hier abliefern!)

Am meisten regt mich auf – gerade jetzt, da sich die Verteidigungspolitiker, die Kriegspolitiker der CDU/ CSU aufregen –: Für die Flüchtlinge im Mittelmeer haben Sie kein Geld, aber hier um die Ecke, am Bahnhof Friedrichstraße, in der besten Lage im Berliner Zentrum, haben Sie gerade zu horrenden Kosten ein Rekrutierungsbüro für die Bundeswehr eröffnet.

(Beifall bei der LINKEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn! Sie haben ganz andere Friedhöfe!)

Der Werbeetat der Bundeswehr – ich weiß, das ist nicht Ihrer – beträgt 35,5 Millionen Euro. Das Geld würde locker ausreichen, um davon Ihren Beitrag für „Mare Nostrum“ zu zahlen und damit 130 000 Menschen zu retten. Sie machen hier aber lieber eine Showveranstaltung, um junge Menschen zur Armee zu ziehen.

(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Ihre Partei hat früher in der DDR die Friedhöfe geschaffen! Das ist doch die Wahrheit! Sie sind doch der Friedhofsschaffer! Blanker Zynismus!)

Das kommt dabei heraus, wenn man manchmal nur den Panzer im Kopf und das Gewehr in der Hand hat und keine menschliche Außenpolitik betreibt.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Zynisch!)

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte.

Herr Steinmeier, Ihr Kollege, Ihr Wirtschaftsminister, Ihr Vizekanzler, Ihr SPD-Vorsitzender, hat vor einem Jahr noch ganz laut getönt: Wir brauchen Beschränkungen bei den Waffenexporten. – Jetzt, nach einem Jahr, ist er vor der Rüstungslobby und der Kanzlerin komplett eingeknickt. Es gibt in der Waffenexportpolitik nicht einmal mehr ein Reförmchen. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Hans-Peter Bartels – auch von der SPD –, hat das gestern vor der gesamten versammelten deutschen Rüstungsindustrie noch einmal versichert.

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Wörtlich hat er gesagt: Die Regeln für Rüstungsexporte werden nicht verändert. – Hier haben Sie aber wirklich ein Problem mit Ihrem Panzer im Kopf.

(Beifall bei der LINKEN)

Man kann sich in diesem Haus trefflich streiten, und diese parlamentarische Debatte lebt auch von einer Kontroverse. Den Außenminister aber mitverantwortlich für das Sterben im Mittelmeer zu machen, halte ich für unzulässig.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jan van Aken [DIE LINKE]: Ich möchte eine Erklärung! – Gegenruf des Abg. Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Du hast doch selber geredet! Da kannst du keine Kurzintervention machen!)

– Das können Sie nachher machen.

(Jan van Aken [DIE LINKE]: Nein, ich möchte von Ihnen eine Erklärung!)

Nächster Redner ist Philipp Mißfelder für die CDU/ CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4178811
Wahlperiode 18
Sitzung 69
Tagesordnungspunkt Auswärtiges Amt Epl 05
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