Henning OtteCDU/CSU - Bundesministerium der Verteidigung Epl 14
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir vor einem Jahr den Koalitionsvertrag beraten haben, konnten wir nicht vorhersehen, vor welchen sicherheitspolitischen Herausforderungen wir stehen würden. Lieber Kollege Rainer Arnold, wir kämpfen dafür, wir arbeiten dafür, wir werben dafür, dass wir die notwendigen Mittel bekommen; aber wenn die Politik festlegen soll, welche Herausforderungen in Zukunft auf uns zukommen, dann verkennen wir die Gefahr, dass sich politische Lagen schnell verändern können. In der Ukraine hat sich beispielsweise eine Lage entwickelt, in der ein militärisches Vorgehen durch uns quasi ausgeschlossen war, weil wir nicht annehmen wollten und auch nicht annehmen konnten, dass man militärisch agiert, um eine Destabilisierung zu erzeugen, um eine Landnahme voranzutreiben. Das gab es in keiner Planungsmappe mehr bei uns. Deswegen müssen wir darauf vorbereitet sein, dass auch unvorhergesehene sicherheitspolitische Herausforderungen auf uns zukommen.
Frau Kunert, dabei geht es nicht darum, dass Russland eingedämmt wird, wie Sie es bezeichnet haben – wenn ich das richtig verstanden habe –, sondern es geht darum, dass die Ukraine davon ausgehen durfte, dass ihre Souveränität nicht angezweifelt und schon gar nicht angegriffen wird. Ich glaube, Sie sollten sich diesbezüglich die völkerrechtliche Lage noch einmal anschauen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das völlig entfesselte Vorgehen der IS-Terroristen ist dargestellt worden. Das sind unfassbare Gräueltaten, die aus einer regionalen Destabilisierung resultieren und mittlerweile eine Weltbedrohung darstellen. Wegschauen ist dabei für uns keine Option. Verantwortung ist für uns der Maßstab. Das Einstehen für Menschenrechte, für Religionsfreiheit, für Rechtsstaatlichkeit, das ist auch Ausdruck von Menschlichkeit. Umso wichtiger war es, dass wir die Rolle Deutschlands im Koalitionsvertrag und noch einmal explizit auf der Münchener Sicherheitskonferenz so definiert haben, dass wir bereit sind, mehr Verantwortung für Frieden und Freiheit in unserer Welt zu übernehmen. Ich bin unserer Ministerin wie dem Außenminister und dem Bundespräsidenten sehr dankbar, dass sie das so klar angesprochen haben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die Peschmerga war keine leichte Entscheidung, aber sie war richtig und notwendig und daher konsequent. Menschen, die auf der Flucht sind, die Nahrung und Medizin dringend brauchen, ist es doch nicht zuzumuten, dass man ihnen das elementare Grundrecht auf Sicherheit verwehrt, dass man dieses Grundrecht ignoriert. Auch hier muss Deutschland Verantwortung übernehmen. Deutschland hat diese Verantwortung übernommen, auch weil wir gesagt haben: Ein zweites Ruanda darf es nicht geben. Wer das nicht so schlussfolgern will, der ist entweder zynisch oder ignoriert die Lage vor Ort.
(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Zynisch sind Sie mit Ihrer Flüchtlingspolitik!)
Es gibt Konflikte mit altbekannten Gesichtern: Landnahme durch Militär, Destabilisierung, Einschüchterung ganz Osteuropas durch Russland. Hier werden Elemente des Kalten Krieges übernommen, und es wird mit modernen Mitteln gearbeitet. Hybride Kriegsführung nennt man dies. Die gesamte Breite der Möglichkeiten wird heute genutzt: Propaganda, Medienarbeit, irreguläre Kräfte. Konventionelle Streitkräfte mit Panzern und Jagdflugzeugen unterstützen diese Drohkulisse in Osteuropa, greifen direkt ein, nehmen Einfluss. Langstreckenflugzeuge und Marineschiffe provozieren an der Grenze der NATO. Auf diese Weise soll in osteuropäischen Ländern Einfluss genommen werden. Ich glaube, dass wir uns diese sicherheitspolitische Lage ganz konkret vor Augen führen müssen. Wir wollen nicht, dass militärische Mittel eingesetzt werden müssen. Wir wollen dafür sorgen, dass wir eine diplomatische Lösung finden; aber wir müssen deutlich machen: Wenn du friedlich mit mir umgehst, gehe auch ich friedlich mit dir um; aber wenn du angreifst, dann musst du auch wissen, dass wir uns wehren können. Diese Devise hat den Frieden auf dem europäischen Kontinent bisher realisiert und ist Ausdruck der NATO-Politik. Deswegen ist es gut, dass wir in der Konsequenz gemeinsam Rückschlüsse aus dem NATO-Gipfel in Wales ziehen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Ausrichtung der Bundeswehr muss flexibel bleiben, damit wir lageabhängig reagieren können. Wir müssen Fähigkeitsschwerpunkte bilden. Geben wir eine Möglichkeit einer Fähigkeit erst einmal auf oder geben wir sie ab, ist es umso schwieriger, sie wieder zurückzuholen und neu aufzustellen. Zumindest wird es wesentlich teurer, diese Fähigkeiten wiederzugewinnen. Daher brauchen wir atmende Strukturen.
Genau dafür gehen wir bilaterale Kooperationen ein. Mit den Niederlanden funktioniert das wunderbar. Mit Polen wird es in guten Gesprächen angestrebt. Diese Vernetzung innerhalb Europas, die Stärkung bilateraler Achsen mit dem Ziel, europäisch gemeinsam aufzutreten, halte ich für richtig.
Daher müssen wir die Ausrichtung der Bundeswehr mit einem universellen Fähigkeitsanspruch so aufbauen, dass wir zu jeder Zeit auch Kooperationen eingehen können. Das ist ebenfalls Ausdruck von Verantwortung für unsere Sicherheitspolitik. Wir müssen die richtigen Rückschlüsse ziehen. Die Zeit der Friedensdividende ist vorbei. Die logischen Schlussfolgerungen sind daraus gezogen worden. Wie richtig festgestellt wurde, wird dies mittlerweile auch akzeptiert.
Wir sollten unsere gesamten Sicherheitssysteme nicht weiter durch den Entzug von Mitteln schwächen, sondern die Verantwortung annehmen und den Einzelplan 14 entsprechend anpassen. Daher bin ich sowohl dem Haushaltsausschuss als auch dem Bundesfinanzminister sehr dankbar dafür, dass die notwendigen Konsequenzen schon im Haushalt 2015 gezogen worden sind. Anträge in Höhe von über 700 Millionen Euro sind angenommen worden, zum Beispiel für den Kauf von 131 neuen Transportpanzern des Typs Boxer. Das ist in Anpassung an die Sicherheitslage geschehen. Wir steigern dadurch die Sicherheit unseres Landes, die Stabilität und die Modernisierung. Deswegen bedanke ich mich bei den Haushältern herzlich dafür, dass sie dies umgesetzt haben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Modernität erfordert nicht nur, dass wir schneller modernes Gerät in der Truppe haben, sondern auch, dass dieses Gerät einsatzbereit und verfügbar ist. Die Streitkräfte benötigen nicht nur wegen der aktuellen Herausforderungen ein Mehr an Ersatzteilen und Betriebsstoffen, sondern das Niveau muss auch grundsätzlich angehoben werden.
Herr Otte, der Kollege Lindner würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie diese zu?
Gerne.
Bitte schön.
Vielen Dank, geschätzter Kollege Otte. – Wenn ich Sie eben akustisch richtig verstanden habe, haben Sie ausgeführt, es seien Anträge in Höhe von über 700 Millionen Euro für die 131 Boxer, über die wir uns in dieser Debatte schon trefflich gestritten haben, angenommen worden. Da verstehe ich etwas nicht ganz. Ihre Schilderung klingt so, als sei das alles unter Dach und Fach und beschlossene Sache. Sowohl die Ministerin als auch mein geschätzter Kollege Bartholomäus Kalb haben zu diesem Punkt aber noch in der Bereinigungssitzung erklärt, zum einen handele es sich dabei um Geld, das im kommenden Jahr noch gar nicht zur Verfügung stehe, und zum anderen sei dies durch den Haushaltsausschuss qualifiziert gesperrt; das Ministerium müsse erst einmal eine Begründung vorlegen, und man könne sich das alles noch überlegen. Als ich der Frau Ministerin die vielen Verpflichtungsermächtigungen vorgehalten habe, meinte sie auch, das sei erst einmal Handlungsspielraum für sie und bedeute nicht, dass man alles gleichzeitig ausnutzen werde.
Weil Sie vermutlich tieferen Einblick in das Innenleben der Koalitionsfraktionen haben, als ich es habe
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)
und auch haben möchte, würde ich gerne von Ihnen wissen: Was von beidem stimmt denn nun?
Herr Kollege Dr. Lindner, erst einmal herzlichen Dank für die Frage und vor allem auch für Ihr persönliches Bewusstsein für die Sicherheitspolitik. Sie sitzen für die Fraktion der Grünen sowohl im Haushaltsausschuss als auch im Verteidigungsausschuss. Deswegen kennen Sie auch die Notwendigkeiten. Daher befassen Sie sich auch sehr realistisch mit diesen Themen.
Wir haben mit Anträgen im Verteidigungsausschuss und im Haushaltsausschuss deutlich gemacht, dass die Lage es erfordert, immer wieder in die Modernisierung unserer Armee zu investieren. Der geschützte Transportpanzer Boxer ist nur ein Beispiel für eine Reihe von Anträgen, mit denen wir deutlich machen: Wenn wir Sicherheitspolitik ernst nehmen und aus der Fürsorgepflicht für unsere Soldatinnen und Soldaten die richtigen Rückschlüsse ziehen, dann müssen wir auch bereit sein, Geld in moderne Geräte zu investieren, die dem Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten dienen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir brauchen Flexibilität und einen hohen Bereitschaftsgrad. Wir müssen schneller und auch europäisch abgestimmt agieren. Die Streitkräfte müssen aus dem Stand heraus in der Grundgliederung und mit dem eigenen Gerät die Sicherheit unseres Landes gewährleisten können; auch das hat die NATO in Wales deutlich gemacht. Deswegen müssen wir auf dem Weg des flexiblen Verfügbarkeitsmanagements wohl eher in die Richtung gehen, eine durchgängige Einsatzbereitschaft sicherzustellen. Die Bundeswehr erfüllt ihre Aufgaben, und das sehr gut. Aber die Mittel sind nun einmal knapp bemessen. Es liegt in der Natur der Sache, dass mit Haushaltsmitteln, mit dem Geld der Steuerzahler, sehr sensibel umgegangen wird.
Trotzdem: Einen Auftrag zu erfüllen, erfordert organisatorischen Aufwand und führt zu hoher Belastung. Die Basis für eine gut ausgerüstete Bundeswehr ist eine leistungsfähige und gut aufgestellte wehrtechnische Industrie. Es ist auch Ausdruck von Souveränität, dass wir die Fähigkeiten, um unsere eigenen Streitkräfte auszustatten, in Deutschland haben. Wir wollen nicht abhängig werden. Wir wollen nicht diktiert bekommen, in welcher Qualität und zu welchem Zeitpunkt wir die Materialien bekommen. Wir müssen nicht immer alles selber bauen; aber wir müssen das Know-how und die entsprechende Beurteilungsfähigkeit haben. Deswegen brauchen wir auch eine Industrie, die als Ausdruck nationaler Sicherheitsvorsorge das erforderliche Material produzieren kann.
Wir müssen Sicherheitspolitik ganzheitlich betrachten. Wir müssen feststellen, dass die wehrtechnische Industrie ein Pfeiler dieser Souveränität ist. Deswegen müssen wir weg von dem Gedanken einzelner Ressort- und Fachzuständigkeiten, wohl wissend allerdings, dass es nach dem Geschäftsverteilungsplan der Bundesregierung klare Zuständigkeiten gibt.
Wir haben als Parlamentarier die Verantwortung für Deutschland als Ganzes. Wir Sicherheitspolitiker haben auch die Verantwortung, die Sicherheitspolitik als Ganzes zu betrachten. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag formuliert:
Darauf haben wir uns geeinigt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Bei der Benennung dieser Schlüsseltechnologien müssen wir uns wohl breiter aufstellen, um das Fähigkeitsspektrum der Bundeswehr abbilden zu können. Eine breite Aufstellung mag auf den ersten Blick vielleicht nicht effizient oder betriebswirtschaftlich logisch sein. Aber Sicherheitspolitik ist mehr als reine Betriebswirtschaftslehre. Sie ist eben auch Ausdruck dessen, was wir brauchen, um die Souveränität unseres Landes gewährleisten zu können. Folgender Satz ist vollkommen richtig: Die Bundeswehr kann nur das abnehmen, was sie zur Erfüllung ihres Auftrages benötigt. – Aber wenn wir Fähigkeiten erhalten wollen – so habe ich auch den Auftrag der Koalition verstanden –, dann müssen wir bereit sein, sicherheitspolitisch verantwortbare Exporte zuzulassen, insbesondere dann, wenn man durch eine solche Exportpolitik auch noch gestaltend gute Außenpolitik betreiben kann.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir müssen uns die Frage stellen, was wir für unsere Sicherheit vernünftigerweise brauchen. Das muss dann auch finanziert werden: durch Beschaffungsprogramme, durch Forschungs- und Entwicklungstitel, auch durch Rüstungsmittel. Liebe Frau Kunert – sie ist nicht mehr da –,
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Tja! Peinlich, peinlich!)
zu sagen: „Von Deutschland soll kein Krieg mehr ausgehen; deswegen müssen die Auslandsmandate beendet werden“, ist so, als würde jemand, der kein Feuer will, die Feuerwehr abschaffen. Ich glaube, das wäre genau der falsche Beschluss.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir brauchen eine vorausschauende Sicherheitspolitik. Wir wollen unabhängig bzw. souverän sein und unsere Bündnisfähigkeit erhalten. Deswegen investieren wir in unsere Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz oder im Heimatbetrieb Enormes für die Sicherheit unseres Landes leisten und bereit sind, dafür auch ihre Gesundheit einzusetzen.
Ich bin unserer Ministerin, Frau Dr. Ursula von der Leyen, sehr dankbar dafür, dass sie das Attraktivitätspaket, so wie es im Koalitionsvertrag angekündigt wurde, mit Vehemenz eingebracht hat. Wir wollen es gemeinsam umsetzen. Sehr geehrte Frau Ministerin, es ist wichtig, dass wir aus Gründen der Fürsorge deutlich machen, dass wir für unsere Soldatinnen und Soldaten als Teil einer leistungsfähigen Armee einstehen und notwendigerweise auch bereit sind, Geld zu investieren. Wir wollen ein sicherheitspolitisches Gesamtpaket im Interesse der Sicherheit unseres Landes anbieten.
Ich sage auch ein herzliches Dankeschön dafür, dass wir im Verteidigungsausschuss und auch im Haushaltsausschuss die notwendige Unterstützung bekommen, und ich danke allen Soldatinnen und Soldaten, die bereit sind, für die Sicherheit unseres Landes einzustehen.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank. – Ein Hinweis an die Kolleginnen und Kollegen, die noch folgen: Es wäre schön, wenn die Dankesbekundungen noch in der normalen Redezeit erfolgen würden. Ansonsten zieht sich die Sitzung zu sehr in die Länge.
Der nächste Redner ist Wolfgang Hellmich, SPD- Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4179210 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 69 |
Tagesordnungspunkt | Bundesministerium der Verteidigung Epl 14 |