Dirk VöpelSPD - Bundesministerium der Verteidigung Epl 14
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In jeder Krise steckt auch eine Chance. Das gilt nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Außen- und Sicherheitspolitik. Es ist noch gar nicht lange her, da hätte wohl niemand diese Häufung von Kriegen, Krisen und Konflikten für möglich gehalten, mit denen wir es heute zu tun haben, und das alles in unmittelbarer Nachbarschaft der Europäischen Union. Der weiter schwelende Ukraine-Konflikt und die neue russische Machtpolitik, die apokalyptischen Bürgerkriege in Syrien und im Irak, der Staatszerfall in Libyen und anderen Teilen Nordafrikas, die wachsenden Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern – die Welt an der Ost- und Südflanke Europas ist kein friedlicherer Ort geworden. Auch deshalb steht die europäische Sicherheitspolitik in den kommenden Jahren vor gewaltigen Herausforderungen, auf die wir neue Antworten finden müssen.
Quer durch Europa stehen die öffentlichen Haushalte seit langem unter starkem Konsolidierungsdruck. Was lag also näher, als sich die nach dem Ende des Kalten Krieges allseits erwartete Friedensdividende vor allem aus den nationalen Verteidigungsetats auszahlen zu lassen? Zahlreiche Krisen und Konflikte in der Nachbarschaft, der strategische Rückzug Amerikas, geringe finanzielle Spielräume, das sind die schwierigen Rahmenbedingungen, unter denen wir eine neue europäische Sicherheitsstrategie formulieren müssen. Eines ist klar: Allein mit dem nationalen Instrumentenkasten wird keines dieser Probleme zu lösen sein.
(Beifall bei der SPD)
Ich bin der Auffassung, dass in den aktuellen Krisen und Problemen auch eine Chance steckt. Europa muss in Zeiten wie diesen auch militärisch enger zusammenrücken. Ich darf daran erinnern: Bereits an der Wiege des europäischen Einigungswerks unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg stand mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, EVG, der nur knapp gescheiterte Versuch, eine europäische Armee zu schaffen. Warum sollten wir uns angesichts der Herausforderungen unserer eigenen Gegenwart langfristig weniger ehrgeizige Ziele setzen?
(Beifall bei der SPD)
Das wird natürlich ein langer, steiler und steiniger Weg. Wir sollten ihn trotzdem gehen. Die immer stärkere Kooperation, Vernetzung und Integration auch der militärischen Ressourcen in Europa wären aus meiner Sicht nicht nur ein entscheidender Beitrag zur Stärkung von GSVP und GASP, sondern könnten dem europäischen Projekt insgesamt neuen Schwung verleihen. Warum eigentlich sollte bei den Streitkräften nicht möglich sein, was uns beim Geld und bei den Grenzen gelungen ist?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die europäischen Mitgliedstaaten leisten sich zurzeit 28 nationale Armeen mit insgesamt 1,5 Millionen Soldatinnen und Soldaten. Die Gesamtausgaben für Verteidigung liegen bei knapp 200 Milliarden Euro, deutlich mehr als Russland und China zusammen ausgeben, jedenfalls offiziell. Auf dem Papier sieht das ziemlich beeindruckend aus. Schaut man näher hin, erweist sich Europa jedoch als militärischer Scheinriese. Nur in wenigen Bereichen entsprechen die real verfügbaren Fähigkeiten der Papierform. Die strategischen Fähigkeitslücken sind unübersehbar. Nirgendwo leisten wir uns so viele Redundanzen, teure Mehrfacharbeiten und verschwenderische Parallelentwicklungen wie in diesem System fast ausschließlich national gesteuerter Rüstungsbeschaffung. Wozu brauchen wir in Europa 20 Programme für gepanzerte Fahrzeuge, fünf oder sechs parallele U-Boot-Projekte, jeweils fünf Programme für Kampfflugzeuge oder die Entwicklung von Boden-Luft-Raketen?
Unter dem anhaltenden Druck zur Kostenreduzierung und bei dem fortlaufenden Rückgang nationaler Beschaffungsmengen kann eine vorwiegend am Bedarf des eigenen Landes orientierte Rüstungsindustrie nicht überleben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wenn wir eine wettbewerbsfähige rüstungsindustrielle Basis auf unserem Kontinent erhalten wollen, dann kann die richtige Antwort auch im wehrwirtschaftlichen Bereich nur lauten: Wir müssen mehr Europa wagen.
100 Jahre nach dem Beginn der europäischen Selbstzerfleischung im Ersten Weltkrieg müssen wir leider feststellen: Die Überhöhung vermeintlich nationaler Interessen, das Denken in Machtkategorien und Einflusssphären und das Verständnis von Außen- und Sicherheitspolitik als einem Nullsummenspiel, bei dem ein Land nur auf Kosten eines anderen etwas gewinnen kann, sind auch 2014 nicht völlig überwunden. Vor diesem Hintergrund brauchen wir umso mehr ein geeintes und vor allem ein einiges Europa.
(Beifall bei der SPD)
Lassen wir diese Krise nicht ungenutzt!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. – Vielen Dank, Herr Präsident, für Ihre Geduld.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14 – Bundesministerium der Verteidigung – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Dann ist der Einzelplan 14 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.11 auf:
Berichterstatter sind die Abgeordneten Volkmar Klein, Sonja Steffen, Michael Leutert und Anja Hajduk.
Zu dem Einzelplan 23 liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Des Weiteren liegen ein gemeinsamer Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Abgeordneten Michael Leutert, Fraktion Die Linke, das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4179278 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 69 |
Tagesordnungspunkt | Bundesministerium der Verteidigung Epl 14 |