26.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 69 / Tagesordnungspunkt I.11

Dagmar WöhrlCDU/CSU - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Epl 23

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Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedauere es immer sehr, wenn eine Debatte über dieses Thema erst am Ende eines Sitzungstages stattfindet und deswegen mehrere Kolleginnen und Kollegen nicht teilnehmen. Die Debattenbeiträge haben parteiübergreifend gezeigt: Die Beiträge für die Entwicklungszusammenarbeit sind maßgeblich für den Frieden verantwortlich. Man könnte auch sagen, dass Entwicklung der neue Begriff für Frieden ist. Vielleicht kann der Ältestenrat das nächste Mal bei der Festlegung der Tagesordnungspunkte anders entscheiden, damit diese für mich und für uns alle wichtige Debatte zukünftig zu anderer Zeit stattfindet.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir hatten in diesem Jahr zwei Haushaltsberatungen. Ich erinnere mich noch: Im Zuge der Beratung des Haushalts 2014 habe ich von der inakzeptablen Situation der syrischen Flüchtlinge gesprochen und auch davon, wie schnell und wie emotional wir von Bildern bewegt werden und wie das die öffentliche Bereitschaft fördert, zu helfen.

Mediale Aufmerksamkeit ist dann etwas Gutes, wenn sie Gutes bewirkt. Leider ist es oft so, dass manche sagen: Es muss auch mal wieder gut sein. Aber warum sprechen wir im Zuge der Beratungen über den Haushalt 2015 wieder über das Thema Flüchtlinge? Wir sprechen darüber, weil es eben nicht gut ist.

Wenn wir über das Thema Flüchtlinge diskutieren, dann müssen wir auch darüber nachdenken: Wenn die Kameras, mit denen die Krise in einem Flüchtlingsort dokumentiert wird, abgezogen werden, was bleibt dann zurück? Zurück bleiben die Flüchtlinge, zurück bleibt aber auch unsere politische Verantwortung, die wir für sie haben.

Daniel Barenboim hat einen bemerkenswerten Leitartikel – ich weiß nicht, wer ihn gelesen hat – für die Süddeutsche Zeitung anlässlich des 9. November geschrieben. Er hat uns ins Stammbuch geschrieben: Die deutsche Geschichte ist eine demokratische Erfolgsgeschichte. Aus ihr erwächst die Pflicht, anderen Ländern und anderen Menschen zu helfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, alle, die jetzt noch hier im Plenum sind, sind in Flüchtlingscamps gewesen, ob im Nordirak, in Dadaab, in Jordanien oder vielen anderen Ländern mehr. Wir alle haben mit eigenen Augen gesehen, wie menschenunwürdig die Situation ist, wie schlimm mit diesen armen Menschen, die Schweres hinter sich haben, umgegangen wird.

Ich erinnere mich sehr gut: Wenn man zum Abschied in die Augen dieser Menschen geschaut hat, dann hat man immer auch noch etwas anderes gesehen – und das ist noch viel schlimmer –: Ich persönlich habe sehr oft das Gefühl, dass es die Angst ist, vergessen zu werden. Darüber zu reden, ist der erste Akt gegen das Vergessen. Aber reden allein nützt natürlich nichts. Wir müssen auch handeln, und ich glaube, wir haben als Regierung gehandelt, schon in diesem Jahr. Der Minister hat schnell gehandelt, als er sehr schnell und effizient noch im August 40 Millionen Euro für die Flüchtlinge aus dem Nordirak und Gaza und damals 163 Millionen Euro für Jordanien bereitgestellt hat, als man gesehen hat, dass sich die Flüchtlingszahl auf 700 000 zubewegt. Ich bin auch sehr dankbar für die Internationale Flüchtlingskonferenz, die er mitorganisiert hat, woraus noch weitere 500 Millionen Euro möglich waren.

Klar sein muss aber auch: Es ist wichtig, akute Nothilfe zu leisten. Darüber hinaus haben wir aber politische und humanitäre Herausforderungen zu erfüllen. Die Menschen brauchen sofort Nahrungsmittel – das ist klar –, vor allem die Säuglinge, sonst bekommen sie irreparable Schäden, gerade hinsichtlich der Entwicklung. Es werden Decken gebraucht, es wird psychosomatische Betreuung gebraucht und vieles andere mehr. All dies soll eine Brücke zu einem menschenwürdigen Leben sein, und für uns stellt sich die Frage: Wo, wie und wann soll das bewerkstelligt werden, dass sie auch zu einem menschenwürdigen Leben kommen?

Wir wissen: Konfliktlösungen wie momentan brauchen in der Regel sehr, sehr viel Zeit, und wir wissen auch, dass wir keine schnellen Lösungen finden werden, ob es bei ISIS oder in Somalia oder im Südsudan ist. Wir haben immer mehr Konflikte. Diese dauern immer länger und fallen immer heftiger aus. Die Menschen brauchen aber jetzt Lösungen. Sie brauchen Perspektiven und pragmatische Lösungen.

Über 50 Millionen Menschen sind auf der Flucht, in einem Jahr gab es einen Zuwachs von über 10 Millionen. Die Vereinten Nationen haben in ihrem neuen Bericht dargestellt, dass bis 2050 zusätzlich 18,4 Millionen Menschen gezwungen sein werden, ihr Herkunftsland zu verlassen. Nicht eingerechnet sind dabei die armutsbedingten Migrationen, die nach Paul Collier zu einem Exitus führen könnten – ich empfehle jedem, das zu lesen –, nicht nur bei uns oder in den Ländern, in die sie flüchten, sondern in ihren eigenen Heimatländern, wo das auch zukünftig sehr starke Auswirkungen haben wird.

Politik richtig machen bedeutet vor allem, die richtigen Fragen zu stellen. Wir müssen uns also auch fragen: Wie sollen die Flüchtlingslager der Zukunft ausschauen? Heute geht man von durchschnittlich 17 Jahren aus, in denen Flüchtlinge teilweise in Camps leben. Sollen wir für sie urbane Städte bauen, das heißt, ihnen kann eventuell sogar die Zukunft verbaut werden, weil sie dann in diesen Städten bleiben – ich erinnere an Dadaab –, oder soll man Provisorien schaffen, die aber auf der anderen Seite nur ein bedingt menschenwürdiges Leben ermöglichen? Ich denke, das ist keine akademische Frage, sondern – ich habe vorhin Dadaab angesprochen – es geht um eine halbe Million Menschen, die seit 20 Jahren dort leben. Kinder sind dort aufgewachsen, die nie etwas anderes gekannt haben. Sie kennen nichts anderes als dieses Lagerleben. Welche Antwort geben wir ihnen, wenn sie heute fragen: Wo sind unsere Lebensperspektiven in der Zukunft?

Wir müssen uns auch fragen: Was wollen wir uns selbst und den Nachbarländern künftig zumuten? Wir wissen, wie oft es Konflikte für die Bevölkerung gibt, die nah an den Flüchtlingslagern lebt.

Das sind viele grundsätzliche Fragen. Ich meine, es ist richtig, dass wir die Entscheidung getroffen haben, nicht erst zu fragen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, wie es oft in der Vergangenheit geschehen ist. Vielmehr müssen wir wie ein guter Arzt nicht nur die Krankheitssymptome behandeln, sondern auch die Ursachen bekämpfen. Das hat auch der Papst in seiner Rede gesagt, in der er meinte, es sei notwendig, auf die Ursachen einzuwirken und nicht nur auf die Folgen.

Wenn wir mehr Verantwortung in der Welt wollen – und ich denke, das wollen wir alle –, dann müssen wir die zivile Krisenprävention noch viel, viel mehr als in der Vergangenheit zum Primat unserer Politik machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, der vierte Bericht zur Krisenprävention wird uns die Möglichkeit geben – wenn er in der Beratung ist; und er kommt sehr bald –, dass wir dies hier noch einmal ausführlich debattieren.

Die Finanzfragen werden uns nicht loslassen; das ist ganz klar. Das ist immer ein wichtiges Thema, vor allem, wenn man sieht, dass die Finanzkosten – das Advisory Board zu den SDGs wird sie natürlich offenlegen – nicht geringer als in der Vergangenheit sein werden. Wir werden weiterhin ab 2017 nicht mehr so einfach die Möglichkeit haben, Nachschläge zu leisten, wie es jetzt Gott sei Dank möglich gewesen ist.

Wir müssen uns also schon fragen, wo wir zukünftig unsere Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenarbeit sehen: Wollen wir thematische Schwerpunkte setzen? Das würde sich natürlich aus dem Weltbevölkerungsbericht ergeben, der davon spricht, dass 1,8 Milliar- den Menschen unter 24 Jahre alt sind, von denen allein 90 Prozent in Entwicklungsländern leben. Das heißt, hier geht es um Bildung, Bildung, Bildung. Das ist ein ganz wichtiges Thema. Auf diesem Gebiet können mit die nachhaltigsten Wirkungen erreicht werden. Oder wollen wir uns auf regionale Schwerpunkte konzentrieren?

Ich glaube, es kommen noch viele Fragen auf uns zu. Wir haben ein Jahr vor uns, das man, wie ich glaube, schon als Jahr der Lösungen beschreiben kann. Wir richten die GAVI-Geberkonferenz aus, bei der wir natürlich möglichst viele Einnahmen generieren wollen. Wir haben dann den G-7-Gipfel. Es wird um die Vereinbarung neuer SDGs gehen; hier muss es klare Zielsetzungen hin zu neuen und nachhaltigeren Lebensweisen auf der ganzen Welt geben. Schließlich hoffen wir, dass auch der Klimagipfel in Paris positiv endet.

Um zukünftig zu Lösungen zu kommen, brauchen wir die Mitarbeit von jungen Menschen, die offen sind für neue Dialoge und für neue Lösungswege. Ich glaube, solche jungen Menschen müssen wir in unsere Entwicklungszusammenarbeit einbinden. Deshalb bin ich dem Minister sehr dankbar für die Zukunftscharta. Es bestand hier für viele junge Menschen die Möglichkeit, ihre Vorstellungen darzulegen, auf was für einem Globus sie zukünftig leben möchten, wie es in ihrem Land aussehen soll und welchen Beitrag sie für eine gute, heile Welt in der Zukunft bringen möchten.

Vielleicht darf ich mir, auch im Namen der Kolleginnen und Kollegen hier, wünschen, dass wir Parlamentarier auch 2015 in die Vorbereitung und Umsetzung aller zur Debatte stehenden Punkte konstruktiv eingebunden werden.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4179574
Wahlperiode 18
Sitzung 69
Tagesordnungspunkt Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Epl 23
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