27.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 70 / Tagesordnungspunkt I.14

Gesine LötzschDIE LINKE - Bundesministerium für Arbeit und Soziales Epl 11

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Am 1. Januar 2015 ist das Hartz-IV-Gesetz zehn Jahre in Kraft. Das ist wirklich kein Grund zum Feiern.

(Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zehn Jahre zu viel!)

Der anerkannte Armutsforscher Christoph Butterwegge zieht den Schluss – ich darf mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren –,

(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Tosender Beifall des Abgeordneten Birkwald!)

Es gibt keine gesellschaftliche Gruppe in unserem Land, die so intensiv überwacht, kontrolliert und sanktioniert wird wie die Bezieher von Hartz IV. Wir, die Linke, finden: Diese Politik der Nulltoleranz gegen Arbeitslose muss endlich beendet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Übrigens habe ich eine interessante Veranstaltung entdeckt. Die Evangelische und die Katholische Akademie laden gemeinsam mit der Humboldt-Universität im Januar zu einer Diskussion mit dem Titel „Doppelte Standards in der Unternehmensführung. Ist Heuchelei vermeidbar?“ ein. Ich schlage Ihnen vor: Ersetzen Sie einfach das Wort „Unternehmensführung“ durch „Politik“, und stellen Sie die Frage: Doppelte Standards in der Politik. Ist Heuchelei vermeidbar?

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will nur ein Beispiel für doppelte Standards in der Politik benennen. Daimler Benz und die Deutsche Telekom waren nicht in der Lage, vertragsgemäß die Lkw-Maut einzuführen. Deshalb fehlen uns 6 Milliarden Euro in der Kasse. Bis heute sind diese Schulden nicht beglichen. Trotzdem ist die Bundesregierung der Meinung, dass der neue milliardenschwere Mautvertrag nicht ausgeschrieben werden musste; vielmehr sollen diese beiden Unternehmen das fortführen.

Können Sie, meine Damen und Herren, sich solche Standards in einem beliebigen Jobcenter vorstellen? Nein, natürlich nicht. Wer dort einen Termin verpasst, muss sofort mit Sanktionen rechnen, aber Daimler und Telekom schulden uns 6 Milliarden Euro und werden mit einem neuen Vertrag belohnt. Das ist nicht in Ordnung. Diese doppelten Standards müssen endlich beendet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Zehn Jahre nachdem Hartz IV eingeführt wurde und wir in Deutschland den größten Niedriglohnsektor Europas haben, gilt ab 1. Januar 2015 endlich der Mindestlohn. Ich sage absichtlich nicht, dass ab 1. Januar überall der Mindestlohn gezahlt wird. Es gibt einfach zu viele Möglichkeiten, den Mindestlohn zu umgehen. Um das zu verhindern, brauchen wir mehr und effektive Kontrollen.

Doch dafür hat die Bundesregierung leider unzureichend vorgesorgt.

(Kerstin Griese [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)

600 Planstellen sind bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die auch für die Überwachung des Mindestlohns zuständig ist, unbesetzt. Das sind 10 Prozent all dieser Stellen. Erst 2017 soll sich die Personalausstattung verbessern. Bis dahin sollen in Ausbildung befindliche Nachwuchskräfte aushelfen. Der Bundesrechnungshof hat schon Kritik angemeldet. Ich zitiere:

Die Konsequenz wird sein: Viele Niedriglöhner werden noch lange auf ihren Mindestlohn warten müssen. Ich frage mich: Ist die unzureichende Kontrolle nur Ausdruck von mangelnder handwerklicher Fähigkeit, oder ist es etwa doch ein Geschenk an die Arbeitgeber, die keinen Mindestlohn zahlen wollen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch! Der ist unabdingbar!)

– Es ist sehr schön, dass Sie dazwischenrufen: „Quatsch! Der ist unabdingbar!“ – Es gibt jeden Tag insbesondere aus Ihren Reihen neue Infragestellungen und neue Vorstellungen dazu, wie man den Mindestlohn umgehen kann. Ich finde, wenn Sie in einem Zwischenruf sagen: „Der Mindestlohn ist unabdingbar“, dann sorgen Sie verdammt noch mal dafür, dass er wirklich überall durchgesetzt wird und alle diese Schlupflöcher endlich geschlossen werden.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abschließend will ich noch etwas zur Altersarmut sagen. Das Statistische Bundesamt hat uns mitgeteilt, dass Armut immer mehr ältere Menschen in Deutschland betrifft. Fast jeder siebte Ältere im Westen unseres Landes war 2013 von Armut bedroht. Im Osten – einschließlich Berlin – gilt zwar „nur“ jeder achte Rentner als armutsgefährdet. Dafür ist das Armutsrisiko bei der Gesamtbevölkerung wesentlich größer als im Westen. Jeder Fünfte lebt jetzt schon an der Armutsschwelle.

Die Aussichten werden nicht besser. Im Gegenteil: Heute gehen viele Menschen in Rente, die nach der Wiedervereinigung ihre Arbeit verloren hatten und sich von einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zur anderen hangeln mussten. Entsprechend sieht die Rente aus. Die Bekämpfung der Altersarmut ist das Gebot der Stunde. Ich finde, das muss man intensiv anpacken, und hier, Frau Nahles, haben Sie noch nichts getan.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer glaubt, dass mit der Rente ab 63 und der Mütterrente die zunehmende Altersarmut bekämpft wird, der hat sich geirrt. Deshalb müssen wir dieses Problem viel ernsthafter angehen. Es ist doch dramatisch, wie viele Rentnerinnen und Rentner Grundsicherung beantragen müssen. Traurige Spitzenreiter bei der Beantragung der Grundsicherung sind Städte wie Hamburg und Bremen. Hamburg – die Stadt der Millionäre und die Stadt mit der meisten Grundsicherung. Darin zeigt sich, wie gespalten unsere Gesellschaft ist. Nur durch eine gerechte Besteuerung, durch eine Besteuerung der wirklich Superreichen können wir dieses Problem endlich lösen.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin spricht die Bundesministerin Andrea Nahles.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4184192
Wahlperiode 18
Sitzung 70
Tagesordnungspunkt Bundesministerium für Arbeit und Soziales Epl 11
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta