Andrea NahlesSPD - Bundesministerium für Arbeit und Soziales Epl 11
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 11 ist Teil eines Haushaltes, der ohne Neuverschuldung auskommt und – das füge ich hinzu – ohne Sozialkürzungen. Das zu erreichen, ist wahrlich außergewöhnlich, und wir haben es geschafft. Darüber können wir uns freuen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Nicht nur der Bundeshaushalt gibt Anlass zur Freude; denn auch die Haushalte der Sozialversicherungen sind solide aufgestellt. Erst letzte Woche hat das der Rentenversicherungsbericht gezeigt. Die Deutsche Rentenversicherung weist eine Rekordrücklage von 33,5 Milliarden Euro aus.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber nicht mehr lange!)
Sogar bei sinkenden Beitragssätzen ist die Rücklage in den vergangenen Jahren stetig aufgewachsen. Diese gute Finanzlage ermöglicht uns eine Beitragssatzsenkung um 0,2 Prozentpunkte ab dem 1. Januar 2015. Das ist gut; denn es entlastet die Wirtschaft und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land. Das ist auch ein gutes Signal in der aktuellen konjunkturellen Situation.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die Zahlen zeigen auch: Das Anfang Juli in Kraft getretene Rentenpaket, von dem über 10 Millionen Menschen in Deutschland profitieren, ist verlässlich finanziert. Ich möchte an dieser Stelle ganz herzlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Rentenversicherung danken, dass sie die Mütterrente so zügig und ohne Fehler umgesetzt haben. Das war eine Herkulesaufgabe. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Herzlichen Dank dafür.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Trotz aller Unkenrufe wird auch die Rente mit 63 umgesetzt. Die Kosten und auch die Zahl derjenigen, die Anträge stellen, bewegen sich vollkommen in dem von uns erwarteten Rahmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, grundlegend für die gute Finanzlage der Sozialkassen ist vor allem eins: die gute Beschäftigung. Wenn wir im Jahresvergleich einen Zuwachs um rund eine halbe Million Beschäftigte aufzuweisen haben, bringt das Mehreinnahmen für die sozialen Sicherungssysteme von sage und schreibe 5 Milliarden Euro und, wenn man den Soli hinzurechnet, Steuermehreinnahmen von 3 Milliarden Euro. Deswegen ist unser wichtigstes Ziel für die kommenden Jahre, das hohe Beschäftigungsniveau zu halten.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das muss das zentrale Ziel unseres Aufgabenbereiches sein.
Mit 43 Millionen Erwerbstätigen schreiben wir ein Allzeithoch. Wir haben mittlerweile bei der Erwerbstätigenquote im europäischen Vergleich eine Spitzenposition; vor zehn Jahren lagen wir ganz unten. Frau Lötzsch, das zeigen eben auch die Entwicklungen der letzten zehn Jahre, die auch durch die Reformen, die wir hier durchgeführt haben, mit ausgelöst und befördert worden sind, und dazu stehen wir auch. Das ist eine positive Entwicklung. Da wollen wir unser Licht nicht unter den Scheffel stellen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es gibt ein großes Thema in diesem Land; das ist die Fachkräftesicherung. Wir haben in der letzten Woche zusammen mit den Arbeitgeberverbänden, den Gewerkschaften und der Bundesagentur für Arbeit eine „Partnerschaft für Fachkräfte“ ins Leben gerufen. Natürlich sind alle bereits aktiv und engagiert. Wir haben uns aber verabredet, im nächsten Jahr eine gemeinsame Offensive zu starten. Wir wollen alle Stränge, die da sind, zu einem starken Tau zusammendrehen, so dass noch mehr Zugkraft entsteht, vor allem für folgende Gruppen:
Erstens: für Frauen. Die Beschäftigungsquote ist in diesem Bereich ganz gut, 73 Prozent. Aber leider: Wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, dass über 80 Prozent derer, die in Teilzeit arbeiten, Frauen sind. Das heißt, hier geht es eher darum, die Arbeitsstundenzahl der Frauen zu erhöhen, so wie sie es wünschen. Das wollen sie. Genügend Untersuchungen belegen: Frauen wollen mehr Stunden arbeiten, wenn sie in Arbeit sind.
Zweitens: für Ältere. Wir haben in diesem Bereich Riesenfortschritte erreicht; das weist übrigens auch der Rentenversicherungsbericht aus. Aber es ist immer noch deutlich zu sehen, dass es bei den 60- bis 64-Jährigen und den noch Älteren einen großen Knick gibt. Deswegen dürfen wir unsere Anstrengungen an dieser Stelle nicht einstellen. Im Gegenteil: Wir müssen sie weiter vorantreiben.
Das wird auch Thema auf dem Integrationsgipfel nächste Woche sein; meine Kollegin Aydan Özoguz sehe ich hier vorne. Es geht sowohl um die Menschen mit Migrationshintergrund in unserem Land, die häufiger als Menschen ohne Migrationshintergrund ohne Schulabschluss und ohne Ausbildung sind, als auch um Menschen, die derzeit aus dem Ausland zu uns kommen. Viele von ihnen arbeiten gar nicht oder unterhalb ihrer Qualifikation.
Diese beiden Punkte stellen bei der Fachkräftesicherung eine ganz entscheidende Ressource dar, ein Potenzial, das wir heben wollen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir werden nicht nachlassen, an einer Stelle, wo viele stolpern, Vorschläge zu machen und Initiativen zu ergreifen: beim Übergang von Schule in Ausbildung. Hier haben wir initiiert – das ist noch im Aufbau –, Jugendberufsagenturen aufzubauen – gute Beispiele dafür sind bereits realisiert, zum Beispiel in Hamburg oder in Mainz –; das muss weitergehen. Warum? Weil viele, vielleicht durch die Schule frustriert, nicht genügend Schwung mitnehmen, um eine duale Ausbildung durchzuziehen. Deswegen haben wir ein ESF-Programm zur Berufseinstiegsbegleitung entwickelt. Wir haben es bereits beantragt, und es wurde genehmigt.
Hier liegen wirklich Chancen; denn bis 2019 haben wir mit einem Gesamtvolumen von 1 Milliarde Euro die Möglichkeit, 115 000 junge Menschen zu unterstützen und an 2 500 Schulen mit der Betreuung der Jugendlichen zu beginnen und sie auch im ersten halben Jahr ihrer Ausbildung weiter zu begleiten. Das halte ich für einen wesentlichen Schritt, um auch für schwächere Schülerinnen und Schüler in ganz Deutschland den Übergang von Schule in Ausbildung erfolgreich zu organisieren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Tatsächlich ist die gute Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht automatisch auch eine Erfolgsgeschichte für Langzeitarbeitslose. Wir haben über viele Jahre gehofft, dass ein Arbeitsmarkt, der gut aufnahmefähig ist, vielen, die länger arbeitslos sind, als Chance dienen kann. Das gab es sicherlich auch, aber insgesamt kommen wir seit einigen Jahren von der Zahl von 1 Million Langzeitarbeitslosen, von diesem Sockel nicht herunter. Ich habe deswegen vor wenigen Wochen im Ausschuss für Arbeit und Soziales ein Konzept vorgelegt. Kern sind zwei wichtige Erkenntnisse:
Die eine Erkenntnis lautet: Es gibt nicht die Langzeitarbeitslosen. Es gibt verschiedene Gruppen. Es sind Alleinerziehende. Es sind Ältere. Es sind Leute ohne Ausbildung, zum Teil auch funktionale Analphabeten. Es sind Menschen, deren Gesundheit beeinträchtigt ist. Oft kommen auch mehrere Probleme zusammen.
Die andere Erkenntnis oder Erfahrung lautet: Am besten lassen sich Erfolge erzielen, wenn wir nah an die Einzelnen herankommen. Man muss dabei an ein gutes Profiling oder an ein Paket von maßgeschneiderten Hilfen denken. Vor allem brauchen wir eine richtige Prioritätensetzung in den Jobcentern. Dieses Thema muss wirklich mit Priorität behandelt werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Genau an diesen Punkten setzt das Konzept an, einmal über das ESF-Programm für Langzeitarbeitslose. Es geht darum, auf der einen Seite Arbeitgeber zu akquirieren und auf der anderen Seite Arbeitnehmer zu begleiten, wenn sie denn in einen Job kommen. Was wir festgestellt haben, ist, dass leider viele, die nach langer Zeit der Arbeitslosigkeit wieder in einem Job begonnen haben, abbrechen.
Ein weiterer Teil des Konzepts ist die bessere Betreuung in Aktivierungszentren; so nennen wir das. Das meine ich mit der Priorität, und zwar überall. Ich lade übrigens auch die Optionskommunen ausdrücklich ein, sich an diesem Konzept der Aktivierungszentren zu beteiligen. Das wollen wir umsetzen.
Dann haben wir auch etwas Neues vorgeschlagen, nämlich ein BMAS-Programm zur sozialen Teilhabe; denn einige dieser Langzeitarbeitslosen sind sehr weit vom ersten Arbeitsmarkt entfernt. Wir müssen auch an dieser Stelle ganz ehrlich sein. Es braucht für diese Menschen andere, niedrigschwelligere Angebote. Wir haben das Programm deswegen bewusst „soziale Teilhabe“ genannt. Es geht in diesem Zusammenhang um einen Lohnkostenzuschuss von bis zu 100 Prozent, um diesen Menschen über einige Jahre eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen.
Ich verstehe dieses Konzept auch als Einladung zum Dialog. Wir werden den Dialog mit den Verbänden, mit den Kommunen, den Städten und Gemeinden, mit den Kirchen in den nächsten Wochen vorantreiben. Es ist aber natürlich auch eine Einladung an Sie: Lassen Sie uns gemeinsam weiter nach den besten Wegen suchen!
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Thema Fachkräfte; ich habe es schon angesprochen. 37 Prozent der Unternehmen in Deutschland fürchten einen Fachkräftemangel. Derweil suchen rund 180 000 Schwerbehinderte einen Arbeitsplatz. 59 Prozent davon haben einen Hochschulabschluss oder haben einen Beruf gelernt. Sie erfüllen also sämtliche Anforderungen an die Qualifikation. Da passt etwas nicht zusammen. Umso irritierender ist, dass diejenigen Unternehmen, die tatsächlich Schwerbehinderte beschäftigen, von guten bis sehr guten Erfahrungen berichten.
Es kommt am deutschen Arbeitsmarkt offensichtlich etwas vor, was ich nicht hinnehmen möchte. Die Behinderung wird anscheinend wie unter einem Brennglas gesehen. Vieles macht einen Menschen aus, doch wir sehen vor allem den Aspekt der Behinderung – und den dann ganz riesig. Dabei geraten das Können und das Potenzial, das die Leute mitbringen, leider völlig aus dem Blick. Das kann so nicht bleiben.
Es muss angesichts der guten Zahlen, die wir haben, und der Fachkräftesituation möglich sein, echte Inklusion am Arbeitsmarkt zu schaffen. Es muss unser Ehrgeiz sein, in den nächsten Jahren hier einen qualitativen Schritt nach vorn zu machen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir werden deswegen den Nationalen Aktionsplan weiter aktualisieren – selbstverständlich mit den Menschen mit Behinderung und ihren Verbänden. Wir werden das Behindertengleichstellungsgesetz weiterentwickeln, um sprachliche Hürden oder auch Barrieren baulicher Art weiter zu reduzieren. Natürlich packen wir auch das Bundesteilhabegesetz an. Bis 2016 wird das Gesetz vorliegen; das ist meine Planung.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf den Aspekt der Selbstbestimmung aufmerksam machen. Unser ganzes Bemühen ist es, den Menschen mit Behinderungen einfach mehr selbstbestimmtes Leben in diesem Land zu garantieren und dafür die nötigen Voraussetzungen zu schaffen. Ich bin mir sicher, dass wir uns darüber einig sind, dass wir da weiter vorankommen wollen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss möchte ich den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, insbesondere unseren Berichterstattern und unserer Gesamtberichterstatterin Ekin Deligöz, ganz herzlich für die Zusammenarbeit danken. Das ist gut gelaufen; die Arbeit hat sich gelohnt. In diesem Sinne wünsche ich uns eine gute Beratung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der Kollege Markus Kurth das Wort.
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 18 |
Session | 70 |
Agenda Item | Bundesministerium für Arbeit und Soziales Epl 11 |