27.11.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 70 / Tagesordnungspunkt I.14

Mark HelfrichCDU/CSU - Bundesministerium für Arbeit und Soziales Epl 11

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor zwölf Jahren galt Deutschland als der kranke Mann Europas. Vor neun Jahren erreichte die Zahl der Arbeitslosen mit 5,2 Millionen den höchsten Stand seit 1933. Und vor fünf Jahren erlitten wir den stärksten wirtschaftlichen Einbruch der Nachkriegszeit. Heute hingegen wird Deutschland als ökonomischer Superstar Europas gefeiert. Es ist einer Studie eines Karriereportals zufolge das attraktivste nicht englischsprachige Land der Welt für ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deutschland wird mehr und mehr zu einer europäischen Traumfabrik, und das nicht ohne Grund. Wir haben eine stabile wirtschaftliche Lage mit fast 43 Millionen Erwerbstätigen und über 30 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Das ist der höchste Beschäftigungstand in der Geschichte der Bundesrepublik.

Herr Kollege Helfrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald?

Das tue ich nicht. Ich bin mir sicher: Ihre Frage wird sich im Verlauf meiner Rede erübrigen. Wenn nicht, dann können Sie immer noch eine Kurzintervention machen, lieber Kollege Birkwald.

Wunderbar. Danke.

Aktuelle Schlagzeilen wie „Der Arbeitsmarkt brummt“, „Der Beschäftigungsmotor läuft rund“, „Die Arbeitslosigkeit sinkt auf Rekordwert“ lassen sogar die Herzen der Haushälter höher schlagen; denn ein stabiler Arbeitsmarkt ist eine Grundvoraussetzung für ausgeglichene Haushalte und damit für nachhaltig gesunde Staatsfinanzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, über den wir heute beraten, hat einen Umfang von 125,5 Milliarden Euro, das sind beachtliche 42 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes. Er wird – und man kann es gar nicht häufig genug sagen – nach 45 Jahren der erste Haushalt ohne neue Schulden sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die schwarze Null ist eine historische Leistung. Die lassen wir uns nicht kaputtreden. Wir schaffen damit mittel- und langfristig neue Handlungsspielräume für uns und für zukünftige Generationen, ohne Lasten einseitig in die Zukunft zu verlagern.

Wir stehen gegenüber kommenden Generationen in der Pflicht. Ihre Chancen heute zu verfrühstücken, wäre unverantwortlich. In diesem Sinne ist die schwarze Null auch gelebte Verantwortung. Sie ist Markenzeichen der Bundesregierung unter Angela Merkel und der von ihr geführten Großen Koalition.

Unsere gute Wirtschafts- und Haushaltslage darf nicht den Blick auf die vor uns liegenden politischen Herausforderungen verstellen.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor den Zukunftsrisiken, die sich auftürmen!)

Die aktuellen Krisen innerhalb Europas und außerhalb Europas machen auch der deutschen Wirtschaft zu schaffen. Daher müssen wir darauf achten, dass wir nicht Verunsicherung schüren und Vertrauen zerstören; denn die Politik legt mit diesem Vertrauen die Grundlagen für eine florierende wirtschaftliche Entwicklung.

Vertrauen ist die wichtigste Ressource unserer Volkswirtschaft. Schon Ludwig Erhard wusste: „Die Hälfte der Wirtschaftspolitik ist Psychologie.“ Wir müssen Mittelstand und Industrie, die Herz und Rückgrat unserer Wirtschaft sind, langfristig verlässliche Rahmenbedingungen bieten. Dazu gehört eben auch, dass wir Herz und Rückgrat mit weiteren Belastungen verschonen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang zwei aktuelle Ereignisse aufgreifen. Wir haben in den letzten Wochen erlebt, wie Spartengewerkschaften Tarifkonflikte über ein erträgliches Maß hinaus zugespitzt haben. Weite Teile des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft waren von Folgen dieser Arbeitskämpfe betroffen. Millionen Bürgerinnen und Bürger waren die Leidtragenden.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist ja auch ihr gutes Recht!)

Auch dadurch geht Vertrauen in verlässliche Rahmenbedingungen verloren. Das kann nicht in unserem Sinne sein.

Klar ist und bleibt: Das Streikrecht ist unantastbar. Aber es ist kein Freibrief. Die Unternehmen müssen sich darauf verlassen können, dass Tarifverträge, die mit der Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgehandelt worden sind, auch Bestand haben und nicht von kleineren Gewerkschaften umgangen werden können. Für das von der Bundesregierung geplante Gesetz zur Tarifeinheit gibt es also sehr gute Gründe.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir leben in einer Zeit des demografischen Wandels. In unserer Gesellschaft wird die Zahl der Einwohner geringer und ihr Alter im Durchschnitt höher. Im Ergebnis steigen die Rentenbezugszeiten. Bis zum Jahr 2020 wird sich eine Fachkräftelücke von 1,3 Millionen ergeben. Berechnungen zufolge werden bis 2030 8 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Die Zahl der Arbeitskräfte wird insgesamt um ein Viertel schrumpfen. All das sind alarmierende Zahlen. Diese Entwicklung müssen wir in den Fokus rücken.

Ein wirkliches Zeichen können wir mit der Flexi- Rente setzen. Angesichts des kontinuierlichen Anstiegs der Lebenserwartung muss Schluss damit sein, dass Menschen durch Gesetz oder Tarifverträge gegen ihren Willen in den Ruhestand geschickt werden.

Wenn Menschen länger leben, verschiebt sich eben auch der Beginn des Altseins. Man ist mit 60, 63 oder 65 nicht automatisch alt. Ganz im Gegenteil: Es ist wichtig, dass wir die älteren Menschen in ihrem Tatendrang nicht stoppen. Immer mehr Deutsche wollen länger arbeiten. In kaum einem anderen Land hat die Erwerbsbeteiligung der Älteren so sehr zugenommen; das ist kürzlich auch noch einmal durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bestätigt worden.

Herr Kollege Helfrich, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald?

Wer so hartnäckig bittet – sehr gerne, Herr Birkwald.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. Es ist jetzt auch eine andere als vorhin.

(Heiterkeit – Zuruf von der CDU/CSU: Das wissen wir ja noch nicht!)

Sie haben gerade einen wichtigen Satz gesagt. Sie sagten, dass Sie dagegen seien, dass Menschen gegen ihren Willen in den Ruhestand geschickt werden. Nun haben wir das Thema Zwangsverrentung. Das heißt, Hartz-IV- Betroffene, die 63 Jahre alt sind, werden seit 2008 auch gegen ihren Willen von den Jobcentern in Rente geschickt und erhalten dann häufig sehr kleine Renten mit sehr hohen Abschlägen, sodass sie gezwungen sind, Sozialhilfe zu beantragen, weil es die Grundsicherung im Alter ja erst ab dem 65. Geburtstag gibt.

Zwangsverrentung bedeutet, dass sie nur 2 600 Euro Schonvermögen haben dürfen und gegebenenfalls auch ihre Kinder in Regress genommen werden. Ich halte die Zwangsverrentung für unwürdig. Sie gehört abgeschafft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, dass in der Arbeitsgruppe, die die Koalition derzeit zu verschiedenen Themen des Altersübergangs eingerichtet hat und in der auch dieses Thema auf der Tagesordnung steht, vonseiten der Union der Vorschlag kommen wird, dass die Zwangsverrentung in Zukunft abgeschafft werden wird? Das würde die Opposition sehr begrüßen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann natürlich nicht den Ergebnissen dieser Arbeitsgruppe vorgreifen, Kollege Birkwald. Auch Sie wissen, dass es sich grundsätzlich um zwei unterschiedliche Sachverhalte handelt, auch wenn sie begrifflich nah beieinanderliegen. Aber gerade Ihnen traue ich zu, dass Sie das sehr genau unterscheiden können. Damit würde ich meine Antwort an dieser Stelle beenden

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch keine Antwort! Sie wollen die Frage nicht beantworten! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)

und zu meinen Ausführungen zurückkehren wollen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das war genau treffend!)

Bereits heute arbeitet rund ein Viertel der Ruheständler. Mehr als zwei Drittel dieser Menschen geben dafür auch nichtökonomische Gründe an. Es geht darum, Freude an der Arbeit zu haben, die eigenen geistigen Fähigkeiten auszubauen und zu erhalten und darum, Wissen und Erfahrungen weiterzugeben. Das sind die Beweggründe, warum Menschen gern länger arbeiten.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gilt auch für Erwerbslose! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist bei Hartz-IV- Empfängern auch so!)

Fast 40 Prozent der 55- bis 70-Jährigen können sich vorstellen, nach Eintritt in den gesetzlichen Ruhestand weiter einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das ist jüngst, Anfang November, auch durch den Bundesinnenminister und das Bundesinstitut für Bevölkerungsentwicklung vorgestellt worden.

Vor diesem Hintergrund bekommt die derzeit intensiv geführte Diskussion um das Thema „weitere Rentenreform und Einstieg in die Rente ab 60“ natürlich eine ganz besondere Dynamik. Ich sage an dieser Stelle auch, dass ich das vor dem Hintergrund dessen, was ich gerade geschildert habe, nicht nachvollziehen kann. Aus meiner Sicht und aus Sicht der CDU/CSU geht diese Diskussion in die falsche Richtung.

Eine weitere vorsätzliche Verkleinerung unserer Arbeitskräftebasis kann nicht die Antwort an die Wirtschaft auf den zunehmenden Fachkräftemangel sein. Damit lässt sich kein Vertrauen in verlässliche Rahmenbedingungen schaffen.

Meine Damen und Herren, immer weniger Menschen in Deutschland sind ohne Arbeit. Die Zahl der Arbeitslosen ist mit 2,7 Millionen auf einem Rekordtief. Im Oktober waren bei der Bundesagentur für Arbeit mehr als eine halbe Million freie Arbeitsstellen gemeldet. Damit haben immer mehr Menschen realistische Chancen auf einen Arbeitsplatz.

Trotz der niedrigen Arbeitslosenzahlen bleibt die Zahl der Langzeiterwerbslosen hoch, deshalb senken wir auch nicht die Mittel für die Betreuung und Eingliederung. Vielmehr stellen wir pro Jahr zusätzlich 350 Millionen Euro zur Verfügung. Nur mal ein Vergleich, den man auf sich wirken lassen möge: Im Jahr 2006 standen für die Betreuung und Eingliederung arbeitsloser Menschen dieselben Finanzmittel zur Verfügung wie heute für rund 2,7 Millionen Arbeitslose. Ich denke, das spricht eine eindeutige Sprache.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist richtig, diese Mittel nicht zu kürzen, weil es eine besonders schwierige Aufgabe ist, die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit, um die es jetzt geht, zu senken. Es gibt aber keinen Grund, dass wir das Lied, das die Opposition bei diesem Thema immer wieder gerne anstimmt, in Moll mitsingen.

Wir stellen viel Geld für zwei neue Bundesprogramme zur Verfügung; darüber ist geredet worden. Wir werden über 1,3 Milliarden Euro aus dem Eingliederungstitel und aus dem Europäischen Sozialfonds bereitstellen. Ich gehe an dieser Stelle nicht weiter darauf ein, weil bereits alles gesagt wurde. Es geht um Langzeitarbeitslose ohne Berufsschulabschluss bzw. um Langzeitarbeitslose, die sehr arbeitsmarktfern sind und dann in eine öffentlich finanzierte Beschäftigung hineinkommen. Das ist gut, weil diese Menschen somit soziale Teilhabe im Erwerbsleben erfahren. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe funktionierender Sozialpolitik.

Das System insgesamt funktioniert; davon bin ich fest überzeugt. Um es mit den weisen Worten des Chefs der Bundesagentur für Arbeit zu sagen: Das Programm des Förderns und Forderns ist das beste, das wir je hatten. – Nichts ist so gut, dass es nicht verbessert werden kann. Deswegen legen wir mit dem Einzelplan 11 heute bzw. am morgigen Freitag die Grundlagen für richtige und solide finanzierte Maßnahmen, damit dieses Programm noch ein Stück besser werden kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns in einer nie dagewesenen widersprüchlichen Situation. In Zeiten wirtschaftlicher Stärke und eines florierenden Arbeitsmarktes stehen wir vor großen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Herausforderungen. Ich behaupte, es sind die größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte; ich habe ausgeführt, woran ich das festmache. Lassen Sie uns diese Herausforderung ohne Denkverbote angehen und gemeinsam neue Wege beschreiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Helfrich. Sie waren der letzte Redner zum Einzelplan 11.

Ich schließe damit die Aussprache.

Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 11 – Bundesministerium für Arbeit und Soziales – in der Ausschussfassung.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3305 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Ich lasse jetzt über den Einzelplan 11 in der Ausschussfassung abstimmen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 11 ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.15 auf:


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4184706
Wahlperiode 18
Sitzung 70
Tagesordnungspunkt Bundesministerium für Arbeit und Soziales Epl 11
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