Franziska BrantnerDIE GRÜNEN - Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Epl 17
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Uns liegt der Entwurf eines Haushalts vor, bei dem wir uns fragen müssen: Welchen Fußabdruck hinterlassen Sie, wenn es um Bildungsgerechtigkeit geht, wenn es um eine Stärkung der Alleinerziehenden geht, wenn es um die Bekämpfung von Kinderarmut geht? Ziehen wir einmal ein Resümee aus den Ankündigungen und dem, was erreicht wurde.
Wir wissen alle, dass es für Bildungsgerechtigkeit zentral ist, dass die Qualität in der Kindertagesbetreuung bundesweit gleichermaßen steigt. Sie bauen hier auf ein solides schwarz-gelbes Erbe auf: 5,4 Milliarden Euro wurden unter Schwarz-Gelb in den Ausbau investiert. Doch jetzt, wo es an das Eingemachte geht, nämlich um die Frage: „Wie entlasten wir die Erzieherinnen und Erzieher, die so gute Arbeit leisten?“, da geht Ihnen die Luft aus. Nach großen Ankündigungen vonseiten der Ministerin sind von dem Milliardenmärchen noch 550 Millionen Euro für drei Jahre übrig geblieben, und das erst ab 2016. Für 2015 ist kein zusätzliches Geld vorgesehen. Die Bertelsmann-Stiftung hat berechnet, dass Bund, Länder und Kommunen zusammen jährlich eigentlich 5 Milliarden Euro zusätzlich investieren müssten, um eine angemessene Zahl von Erzieherinnen und Erziehern für unsere Kitas zu ermöglichen. Was bieten Sie den Ländern und Kommunen an? Eine Arbeitsgruppe.
(Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Und 1 Milliarde jährlich!)
In der letzten Woche sagte Frau Schwesig: 1,5 Milliarden Euro mehr sollen aus dem von Herrn Schäuble angekündigten 10-Milliarden-Euro-Paket in den Ausbau der Hortbetreuung an den Schulen fließen. Wir drücken Ihnen wirklich die Daumen und hoffen, dass wir nicht ein Déjà-vu wie bei den Geldern zur Erhöhung der Kitaqualität erleben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Sollen wir die Lehrergehälter auch noch übernehmen?)
Das Betreuungsgeld dagegen schluckt weiterhin 900 Millionen Euro im Haushalt, die woanders gut aufgehoben wären.
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist gut investiertes Geld, Frau Brantner!)
Zum Glück ist der Ansatz etwas gekürzt worden, da die Eltern diese Leistung nicht so annehmen, wie Sie es erwartet haben.
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: 70 Prozent in Bayern!)
Das spricht eigentlich für sich und macht deutlich, dass die Wahlfreiheit an dieser Stelle dazu führt, dass die Eltern das Betreuungsgeld nicht wählen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Doch! In Bayern zu 70 Prozent!)
Zu denken gibt uns auch, was heute in der Süddeutschen Zeitung über Bayern zu lesen ist, Herr Lehrieder: 52 Prozent der bayerischen Kleinkinder gehen in eine Krippe; für 73 Prozent zahlt der Freistaat zugleich noch Betreuungsgeld.
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist Wahlfreiheit, Frau Kollegin! Auch wenn es schwerfällt!)
Ich weiß natürlich, dass in Bayern einer immer mehr ins Gewicht fällt, sodass aus 100 Prozent in Bayern 125 Prozent werden. Aber es ist schon seltsam, dass Sie in Bayern auf mehr als 100 Prozent Kinder kommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ich rechne Ihnen das gerne vor!)
In Bayern erhält jeder zum Ende des Elterngeldbezugs automatisch einen Antrag für das Betreuungsgeld zugeschickt. Bei der Meldung zum Anspruchsende, wenn das Kind in eine Kita geht, wird anscheinend nicht mehr ganz so genau hingeschaut. Anders kann man sich den Unterschied nicht erklären.
Frau Kollegin Brantner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lehrieder? – Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Kollegin, Sie haben gerade ausgeführt, dass Bayern 125 Prozent der Kinder fördert. Das würden wir gerne tun; aber das ist in Bayern gar nicht nötig. Stimmen Sie mir zu, dass nach diesem Rechenmodell, wenn 50 Prozent der Kinder eine Kita besuchen und für 70 Prozent der verbleibenden 50 Prozent Betreuungsgeld gezahlt wird, insgesamt etwa 70 bis 80 Prozent eine Förderung erhalten? Die 70 Prozent beziehen sich nämlich auf die verbleibenden 50 Prozent, nur um die mathematischen Grundrechenarten für Sie etwas aufzufrischen, Frau Kollegin. Stimmen Sie mir zu, dass das einen Prozentsatz ergibt, der unter 100 Prozent liegen dürfte?
Es wäre schön, wenn es so wäre, Herr Lehrieder. Dann würden wir alle uns wahrscheinlich nicht wundern, und dann würde auch keine Zeitung darüber berichten. Es ist aber anders, nämlich dass 52 Prozent insgesamt in die Kita gehen und für 73 Prozent der Kinder insgesamt Betreuungsgeld gezahlt wird. Das ergibt 125 Prozent.
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wir werden da noch ein Privatissimum machen müssen, Frau Kollegin!)
– Das können wir gerne noch einmal besprechen. Aber den Zahlen zufolge scheint es dort Überschneidungen zu geben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich bin froh – Frau Schwesig, Sie haben es gerade erwähnt –, dass es möglich war, dass ein Teil der freigewordenen Mittel jetzt in Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus und Modellprojekte gegen islamische Radikalisierung fließt. Wir Grünen als Bundestagsfraktion haben schon seit Jahren gefordert, dass die Mittel dafür erhöht werden. Schade ist aber, dass 90 Millionen Euro aus diesem Einzelplan in Schäubles Schatzkästchen geflossen sind und deshalb nicht für diese Inhalte zur Verfügung stehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Zu einem Thema in diesem Haushalt gibt es noch nicht einmal konkrete Ankündigungen. Das ist die beschämende Kinderarmut in unserem Land. Die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zeigen: Kinderarmut nimmt wieder zu. Während die Zahl von 2007 bis 2012 gesunken ist, ist sie seit 2012 wieder gestiegen. Insgesamt beziehen heute 15,7 Prozent der unter 15-Jährigen Hartz-IV-Leistungen. Das betrifft 1,64 Millionen Jungen und Mädchen, und das in einem so reichen Land wie Deutschland.
Auch deswegen wird es Zeit, endlich Konsequenzen aus der Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen zu ziehen. Sie sind eine große Große Koalition. Nehmen Sie doch diese Herausforderung an und gehen Sie die tiefgreifenden Reformen an, die man mit einer knappen Mehrheit vielleicht nicht hinbekommt! Nutzen Sie diese Chance! Die Erkenntnisse sind doch bekannt. Wir haben kein Erkenntnisproblem. Das Problem ist, dass es jetzt von Ihnen abhängt, endlich für Gerechtigkeit zu sorgen. Unser Ziel muss es doch sein, dass Kinder gefördert werden und nicht der Trauschein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Doch was machen Sie? Sie verstecken Reförmchen in großen Steuergesetzen, statt das Thema Kinderarmut zur Diskussion zu bringen. In Ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union finden sich dafür gute Ansätze, wenn man zum Beispiel den Entlastungsbeitrag für Alleinerziehende erhöhen würde. Das ist aber leider Fehlanzeige. Was Sie in dem Gesetzentwurf regeln, ist die Freistellung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Kinder haben oder Angehörige pflegen, für die Notfallbetreuung, die zumindest mit bis zu 600 Euro gefördert wird. Das begrüßen wir. Wir glauben aber, dass auch das nur die Hälfte des Weges ist, weil Selbstständige davon nicht profitieren. Notwendig ist eine Regelung sowohl für Geringverdienende als auch für Selbstständige. Deswegen wollen wir, dass auch in Zukunft die Betreuungskosten wieder als Werbungskosten geltend gemacht werden können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir reden viel über Zeit für Familien und Stress der Eltern. Deswegen begrüßen wir, dass es mit dem Elterngeld Plus eine neue Regelung gibt. Wir müssen aber überprüfen, inwieweit diese Regelung auch Alleinerziehenden helfen wird. Allein und mit Kind wird es schwierig sein, den engen Korridor von 25 bis 30 Wochenstunden Arbeitszeit zu erreichen, um zusätzliche vier Monate Elterngeld zu erhalten. Es kann nicht sein, dass gerade jenen, den Alleinerziehenden, diese vier Monate fehlen, und jene, die eh zu zweit sind, sie zusätzlich bekommen. Ich glaube, wir müssen wirklich genau schauen, wie sich das Gesetz auswirkt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Kein Geld für die Qualität in der Kindertagesbetreuung, die Beibehaltung des Betreuungsgeldes, eine Leerstelle bei der steigenden Kinderarmut, verpasste Chancen, um Alleinerziehende zu stärken, kleine Schritte beim Elterngeld Plus und kleine Einsichten beim Thema Rechtsextremismus und Islamismus – unser Resümee ist: Dieser Haushaltsentwurf ist vor allem eines: eine rote Null.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Herr Kollege Alois Rainer, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Da musst du einiges klarstellen, glaube ich!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4184780 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 70 |
Tagesordnungspunkt | Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Epl 17 |