Johann SaathoffSPD - Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Epl 10
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Jahren haben wir in der Landwirtschaft viele Entwicklungen erlebt, die wir heute nicht länger hinnehmen wollen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um noch einmal ganz weit zurückzudenken an die McSharry-Reform von 1992. Diese Reform war wegweisend und ein tiefer Einschnitt zugleich. Aber wir haben auch nach den Reformen von Fischler und Ciolos immer noch große Probleme in der Landwirtschaftspolitik. Der Fokus in der Landwirtschaft liegt nach wie vor nur auf Produktivität. Wir kommen einfach nicht weg vom Motto „Wachsen oder Weichen“. Wir brauchen uns nur einmal die aktuelle Situation auf dem Milchmarkt anzuschauen. Es wird produziert, was das Zeug hält. Niemals zuvor waren die Überschüsse so hoch. Unser Heil suchen wir derweil auf neuen Märkten.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, so darf es nicht weitergehen. Das alles basiert auf externalisierten Kosten, genau wie bei der Atomkraft. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind enorm. Menschen arbeiten unter zum Teil äußerst fragwürdigen Bedingungen, und die Zeit der Tiere vor ihrem Tod lässt sich kaum als Leben bezeichnen. So wie wir nun endlich alle erkannt haben, dass wir aus der Atomkraft aussteigen wollen, so müssen wir auch erkennen, dass sich in unserer Agrarpolitik etwas ändern muss. Wir wollen die Politik für die ländlichen Räume nicht länger als Teil der Landwirtschaftspolitik betrachten, sondern umgekehrt die Landwirtschaftspolitik als Teil der Politik für die ländlichen Räume.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir die Landwirtschaftspolitik nur als einen Baustein der Politik für die ländlichen Räume neben anderen Bausteinen wie der Umwelt, dem Tierschutz, den Arbeitsbedingungen und der Energie betrachten, dann stellen wir fest, dass wir andere Lösungsansätze für die Landwirtschaft brauchen, Ansätze, die wir gemeinsam mit den Landwirten entwickeln wollen; denn heute wird doch mehr Geld an der Landwirtschaft als in der Landwirtschaft verdient. Viele Landwirte, die eigentlich freie Unternehmer sein wollen, befinden sich faktisch in Abhängigkeit und sind nur noch ein kleines Rädchen in einem großen System. Das kann doch keinem Landwirt gefallen. Deswegen denken wir schon jetzt an die Halbzeitbewertung der GAP. Wir sind der Meinung, dass sich Cross Compliance nicht nur auf den Acker beziehen darf und dass es öffentliches Geld nur für öffentliche Leistungen geben darf.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
In unserer Politik für die ländlichen Räume unternehmen wir mit dem Haushalt 2015 – nach der Eiweißpflanzenstrategie in diesem Jahr – mit dem Bundesprogramm für die ländliche Entwicklung einen weiteren Schritt. Unser nächster Schritt ist bereits in Vorbereitung: die Grundgesetzänderung zur Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Außerdem wollen wir innerhalb der Bundesregierung eine zentrale Stelle schaffen, die die Politik für die ländlichen Räume koordiniert; denn die Zuständigkeiten liegen in mehreren Ministerien – leider.
Ich möchte uns allen an einem Beispiel die Situation der ländlichen Räume aus dem praktischen Leben heraus beschreiben: In meiner ostfriesischen Heimat gab es bis vor zwei Jahren noch einen Einzelhändler, der seinen Betrieb in der dritten Generation führte. Als er den Laden schloss, weil er sich nicht mehr rechnete, gab er uns mit auf den Weg, dass die Eltern junger Menschen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz zukünftig nicht mehr bei ihm zu klingeln brauchten. Sie müssten nun die Klingel von Ebay oder Amazon suchen; denn er hatte einen Großteil seines Umsatzes an das Internet verloren. Wir wollen die ländlichen Räume schnellstmöglich an das schnelle Internet anschließen, um Unternehmen gleiche Arbeitsbedingungen und den Menschen gleiche Lebensbedingungen zu bieten.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist das Geld für den Breitbandausbau im Haushalt?)
Aber das Internet bedeutet nicht nur Segen. Das Kaufverhalten hat sich durch das Internet enorm verändert, und wir alle kennen die leerstehenden Ladenlokale im ländlichen Raum. Auch in Städten gibt es ein „Wachsen oder Weichen“ als Folge der immer gleich aussehenden und immer größer werdenden Einkaufszentren und Ketten, die um sich greifen.
Damit wir solche Auswirkungen angemessen in unseren Überlegungen berücksichtigen, ist es wichtig, dass wir eine zentrale Stelle einrichten, die die ländlichen Räume im Blick hat. Dadurch können wir zuständigkeitsübergreifend durch geeignete Maßnahmen an der Reattraktivierung der ländlichen Räume arbeiten. Wir brauchen die Geschäfte, wir brauchen ein Bewusstsein der Menschen dafür, dass diese Geschäfte wichtig für sie sind, und wir brauchen die Wertschöpfung vor Ort, damit das Geld nicht durch das Internet in die weite Welt verschwindet.
Noch schlimmer ist es allerdings, wenn die Menschen verschwinden. Mobilität und die Kosten der Mobilität sind schon jetzt für die Menschen von entscheidender Bedeutung. Die Menschen ziehen der Arbeit hinterher. Ein junger Mensch auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz wird vermutlich Ostfriesland verlassen müssen, was die Problemlage der ländlichen Räume noch weiter verstärkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kind mutt Naam hebben, so sagt man in Ostfriesland.
(Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU])
Ich will damit sagen, dass wir der Bedeutung der Politik für die ländlichen Räume in Zukunft dadurch Ausdruck verleihen sollten, dass das BMEL auch die ländlichen Räume in seinen Namen aufnimmt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vielen Dank, Herr Kollege Saathoff. – Wie heißt das? Sagen Sie es bitte noch einmal.
(Johann Saathoff [SPD]: Kind mutt Naam hebben! – Rainer Spiering [SPD]: Das Kind muss einen Namen haben!)
– Gut, wieder was gelernt.
Nächster Redner in der Debatte: Friedrich Ostendorff für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4185178 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 70 |
Tagesordnungspunkt | Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Epl 10 |