Gitta ConnemannCDU/CSU - Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Epl 10
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei uns geht über den Tisch, was bei den Menschen in diesem Land auf dem Teller landet. So lässt sich die Arbeit unseres Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft auf den Punkt bringen. Unsere Themen gehen wirklich jeden in diesem Land an, denn es geht um Ernährung, unser tägliches Brot.
Jeder muss essen, mindestens dreimal am Tag. Jeder kann mitreden, viele wollen es, und das ist auch gut so; denn Lebensmittel spielen eine wirklich herausragende Rolle für das, was uns am meisten bedeutet. Was ist es? Die Gesundheit, durchaus auch unser Aussehen. Oder um es ebenfalls auf Platt zu sagen: Eten un Drinken holt Liev un Seel binanner.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Aber Ernährung ist inzwischen mehr als reine Nahrungsaufnahme. Essen ermöglicht das Bekenntnis zu einem Lebensstil, übrigens auch zu einer Abgrenzung. Sind Sie Veganer, Flexitarier, Wurstesser? Sind Sie klassischer Mittagesser oder Snacker? Das Essen bestimmt das Sein.
Das Fernsehen hat diesen Trend im Übrigen erkannt und darauf reagiert. Laut einer aktuellen Studie geht es dort an 34 Stunden pro Woche um Lebensmittel, Ernährung, Kochen und Essen. Jede Zeit hat eben ihre Themen. Jetzt ist es die gesunde und sichere Ernährung.
Um diese scheint es nicht sonderlich gut bestellt zu sein. Jedenfalls kann man diesen Eindruck gewinnen, wenn man die Schlagzeilen liest. Da ist die Rede von Dioxin-Eiern, Formschinken, Neuland-Hühnern oder Fairtrade. Es entsteht der Eindruck, dass eine Mafia aus Betrügern und Panschern uns alle vergiften oder zumindest täuschen will. Das alles wird übrigens angeheizt von einer Angstindustrie, die von der Skandalisierung lebt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich betone an dieser Stelle: Es ist ein Spiel mit der Angst um höhere Quoten, höhere Spenden und manchmal auch um höhere Wählerstimmenanteile. Ich betone auch, dass die meisten NGOs außerordentlich wertvolle Arbeit leisten. Aber nicht jede ist dem Allgemeinwohl verpflichtet. Vielmehr gibt es inzwischen etliche, die ganz handfeste wirtschaftliche Interessen haben.
(Zurufe der Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Deshalb warnt zum Beispiel die Stiftung Warentest vor etlichen Tier- und Umweltschutzorganisationen – ich zitiere –: „Vorsicht angebracht“. Mit der Unsicherheit der Verbraucher wird gespielt. Dazu sage ich auch im Namen meiner Fraktion: Das ist aus unserer Sicht zynisch und verantwortungslos.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir stehen für Klarheit statt Wahrheit,
(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Klarheit und Wahrheit, nicht um ein Entweder-oder!)
für Aufklärung statt Empörung, für Fakten statt Vermutung, übrigens auch für Wissen statt Unterstellung.
Wie ist die Situation? Wir wurden noch nie so alt wie heute, blieben noch nie so lange gesund und aktiv. Vor dem Ersten Weltkrieg betrug die Lebenserwartung einer Frau noch nicht einmal 44 Jahre. Es gab keine Kühlketten. Es fehlte an Wissen über Hygiene. Es wurde gegessen, was es gab, und das war oft zu wenig, manchmal gar nichts. Heute wird eine Frau im Schnitt 81 Jahre alt. Die Lebenserwartung hat sich fast verdoppelt – dank der modernen Medizin, aber auch dank besserer Ernährung. So bestätigt uns das Bundesinstitut für Risikobewertung – ich zitiere –, dass
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ja, noch nie wurden Lebensmittel so sicher produziert wie heute. Noch nie wurde Nahrung so intensiv kontrolliert wie heute.
(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)
Noch nie war Essen so preiswert wie heute. Noch nie gab es eine so große Auswahl wie heute. Es gibt Lebensmittel im Überfluss, und zwar mit dem Vierklang gesund, sicher, bezahlbar, vielfältig. Übrigens dank Gruppierungen, die hier vorhin massiv angegriffen wurden, dank unserer Landwirte, unserer Gärtner und unserer Fischer, aber auch dank unserer Fleischer, Bäcker, Hersteller und Einzelhändler. Lieber Sven-Christian Kindler, bei allem Verständnis dafür, den Wahlkampf in den Plenarsaal zu tragen,
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin nicht im Wahlkampf! Es geht hier ums Debattieren!)
sage ich: Ich lehne als Schwester eines Landwirts, der tagtäglich das tut, was von ihm gefordert wird – er bringt sich in die Gesellschaft ein; er ist da, wenn ein Mann gebraucht wird, sei es in der Feuerwehr oder dann, wenn es darum geht, das Osterfeuer zusammenzuschieben; er erzeugt Nahrungsmittel, wie sie sein sollen –,
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht hier nicht um die einfachen Landwirte! Es geht um die Großindustrie!)
und im Namen aller Urproduzenten sowie meiner Fraktion diese Stigmatisierung ab.
(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie billig ist das denn? – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gitta, du weißt es doch besser!)
Denn es sind genau diese Produzenten, die dem Verbraucher die Wahl ermöglichen. Genau diese Freiheit will er behalten. Die Bürger wollen selbst entscheiden, wann sie was wie essen.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!)
Dies hat die Diskussion über den sogenannten Veggie Day eindrucksvoll bewiesen. Wir brauchen keine staatlichen Volkserzieher, auch keine Bevormundung durch Kaloriensteuern.
(Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer macht denn hier Wahlkampf?)
Was wir brauchen, sind Wahrheit und Klarheit, damit der Verbraucher wirklich selbst entscheiden kann. Das ist schwieriger geworden, ohne Frage; denn die Verhältnisse haben sich verändert. Hier sind viele gefordert.
Erstens, die Wirtschaft selbst. Die Globalisierung des Handels erhöht die Wahlfreiheit. Die Technologisierung der Lebensmittelproduktion bringt Fortschritt. Aber beides ist dem größten Teil der Bevölkerung fremd. Deswegen müssten sich Branchen öffnen und auch realistisch informieren. Ich sage sehr kritisch: Dem wird so manche Werbung nicht gerecht. Wir sehen Bilder von der lächelnden Bäuerin, die den Joghurt mit der Hand rührt. Mit der Realität hat das wirklich nichts zu tun, und das ist auch gut so; denn wahrscheinlich würde ein Gesundheitsamt diesen Joghurt nicht abnehmen, und das Frühstück wäre unbezahlbar. Aber die Verbraucher sind am Ende enttäuscht. Wagen Sie Transparenz!
Zweitens. Es gibt Informationen im Überfluss. Wer soll da eigentlich noch den Durchblick behalten? Hinzu kommen beschönigende Abbildungen, zum Teil auch irreführende Werbeaussagen. In der Hühnersuppe ist kein Hühnerfleisch, im Schwarzwälder Schinken kein Schwarzwälder Schwein. Deswegen ist es gut – da spreche ich Sie an, lieber Herr Minister –, dass diese Bundesregierung, dass auch Sie sich auf EU-Ebene dafür eingesetzt haben, dass es klarer wird. So ab dem 13. Dezember wird besser gekennzeichnet werden – dank dieser Bundesregierung. Die Lebensmittel-Informationsverordnung wird zu mehr Transparenz beitragen; denn damit sind Nährwertangaben zukünftig Pflicht. So kann jeder Verbraucher sehen, wie viele Kalorien das Lebensmittel hat, wie viel Fett, Kohlehydrate und Eiweiß das Lebensmittel hat – deutlich sichtbar und gut lesbar, und das übrigens alles ohne Ampel, die inzwischen auch von der Europäischen Kommission stark kritisiert wird. Wir als Fraktion haben immer vor dieser Simplifizierung gewarnt. Trauen wir dem Verbraucher doch etwas zu!
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir schützen Verbraucher, lieber Herr Minister, besser vor Täuschungen; denn ab dem 13. Dezember sind Hersteller verpflichtet, künstlichen oder minderwertigen Ersatz in Lebensmitteln, wie zum Beispiel Vanillin statt echter Vanille, anzugeben, und zwar in unmittelbarer Nähe des Produktnamens. Klebefleisch ist mit dem Hinweis „aus Fleischstücken zusammengefügt“ kenntlich zu machen. Damit dienen wir Verbrauchern, aber auch den Erzeugern und den Produzenten, die Klarheit und Wahrheit ernst nehmen.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles Placebo!)
Drittens brauchen wir Verbraucherbildung; denn wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass sich der Verbraucher verändert hat. Das klassische Mittagessen in der Familie ist inzwischen nicht mehr die Regel. Statt drei Mahlzeiten am Tag gibt es gegebenenfalls zehn Snacks. Kochkultur und Ernährungskompetenz befinden sich auf dem Rückzug. Das Basiswissen fehlt.
Wenn die Bundesratsbank besetzt wäre, würde ich jetzt an die Länder appellieren: Tun Sie den mutigen Schritt, und führen Sie endlich ein Fach „Verbraucherbildung, Kompetenz Haus- und Ernährungswirtschaft“ ein. Damit wäre allen gedient.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das tun die Länder leider nur eingeschränkt. Deshalb ist es wichtig, dass der Bund in Verbraucherbildung investiert. Lieber Herr Minister, das tun Sie. In Ihrem Haushalt sind für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Ernährung im nächsten Jahr über 103 Millionen Euro vorgesehen. Sie setzen dabei einen Schwerpunkt auf die Information von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Ich erinnere an „IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“.
Mit Projekten wie dem Ernährungsführerschein oder „KLASSE, KOCHEN“ wird Basiswissen darüber vermittelt, wo und wie Lebensmittel wirklich produziert werden. So wird das Einmaleins der Ernährung vermittelt. So können auch Lebensmittelabfälle vermieden werden; denn – darin sind wir uns einig – unser Essen ist zu gut für die Tonne.
All dies bietet unser Haushalt. Deswegen kann ich am Ende sagen: Bei uns geht über den Tisch, was bei den Deutschen auf dem Teller landet, und das ist gut so.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank, Frau Kollegin Connemann. – Es liegt noch der Wunsch nach einer Zwischenfrage vor. Wird auf die Zwischenfrage noch Wert gelegt, oder wollen Sie eine Kurzintervention machen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Rede der Kollegin Gitta Connemann zu Ende.
Ich rufe jetzt den Kollegen Willi Brase für die Sozialdemokraten auf.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4185255 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 70 |
Tagesordnungspunkt | Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Epl 10 |