03.12.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 72 / Tagesordnungspunkt 1

Astrid FreudensteinCDU/CSU - Vereinbarte Debatte Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen

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Herr Präsident! Frau Bentele! Meine Damen und Herren! Heute ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung. An diesem Tag könnten wir uns darauf zurückziehen, ausschließlich über die Lage hier bei uns in Deutschland zu sprechen. Ich meine aber, es ist an diesem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung angemessen, einen Blick über die Grenzen zu werfen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

80 Prozent der Menschen mit Behinderungen weltweit leben in Entwicklungsländern. Sie erhalten dort in aller Regel keine ausreichende medizinische Grundversorgung, keine Hilfsmittel, keine Sozialleistungen. Sie werden diskriminiert, ausgegrenzt und nicht selten verfolgt. Viele Menschen mit Behinderungen auf der Welt haben kaum Möglichkeiten, überhaupt am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Dabei sind es im Übrigen vor allem Frauen und Kinder, die es besonders hart trifft.

Wenn wir es mit gleichberechtigter Teilhabe ernst meinen, dann müssen wir diese Überlegungen in unsere Außen- und Entwicklungspolitik einbeziehen. Ich bin wirklich froh, dass wir dies auch in unserem Koalitionsvertrag so vereinbart haben:

Das ist sicher der richtige Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Gleichzeitig lässt der Blick über die Grenzen auch eine gute Einordnung dessen zu, was wir hier in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten erreicht oder eben nicht erreicht haben. Seit es die Bundesrepublik gibt, gab es nie die eine Behindertenhilfe. Das System hat sich stark und oft verändert. Es bestand und besteht aus vielen unterschiedlichen Instrumenten. Dabei waren es nie Revolutionen, sondern immer Reformen, die uns den Weg bis zum heutigen Stand geebnet haben. Überholte Vorstellungen darüber, was Behinderte können oder auch nicht können, sind verschwunden. Neue Ideen, ein neues Denken haben Einzug gehalten.

Wir haben heute in unserem Land ein breit gefächertes System von Diensten, Einrichtungen und Hilfen, das Menschen mit Behinderungen Unterstützung gewährt und ihnen Teilhabe ermöglicht. Gleichzeitig – das ist gut so – diskutieren wir zurzeit sehr viel darüber, wie wir es noch besser machen können.

Welche Ideen verfolgen wir? Es geht nicht mehr in erster Linie um die Frage, wie wir Menschen mit Behinderungen ein besseres Leben bereiten können, sondern uns treibt die Idee um, wie wir Menschen mit Handicap ein möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglichen können. Hier hat die UN-Behindertenrechtskonvention mit Sicherheit sehr wertvolle Impulse gegeben.

Nun können wir Behinderung nicht quasi per Gesetz oder Verordnung auflösen. Wir sollten in unseren Diskussionen auch nicht so tun, als müssten wir nur Bordsteine absenken und alle Kinder in das gleiche Klassenzimmer setzen, und schon wäre das Problem gelöst. Das wäre sicher falsch.

Wir sollten uns auch davor hüten, die Inklusionsdebatte zum Beispiel dafür zu missbrauchen, den Leistungsgedanken in unseren Schulen auszuhebeln. Die Mutter, die ihr Kind mit Downsyndrom an das Gymnasium bringen will, tut dem Kind, so meine ich, nichts Gutes.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Unsinn! – Katrin Werner [DIE LINKE]: Das ist ja wohl von vorgestern! Lesen Sie die Konvention!)

Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die gesellschaftlichen Umstände weiterhin so gestaltet werden, dass jeder – und zwar ganz egal ob behindert oder nicht behindert – nach seinen individuellen Fähigkeiten leben, lernen und arbeiten kann.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!)

Wir müssen die Betroffenen unterstützen und stärken, damit sie gleichberechtigt teilhaben können.

Um diesen eingeschlagenen Weg in Deutschland weiterzugehen, werden wir das Bundesteilhabegesetz verabschieden. Damit sollen die guten Ansätze in unserem Land weiter intensiviert und die Menschen mit Behinderung in ihren Bedürfnissen gestärkt werden.

Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rüffer zulassen, oder möchten Sie weitersprechen?

Ich lasse die Zwischenfrage gerne zu.

Bitte schön, Frau Kollegin Rüffer.

Auch diese Gelegenheit möchte ich nicht ungenutzt verstreichen lassen. Sie haben gerade gesagt, dass die Mutter, die ein Kind mit Downsyndrom hat, ihrem Kind keinen Gefallen tut, wenn sie es auf ein Gymnasium schickt.

(Katrin Werner [DIE LINKE]: Das ist nicht wahr!)

– Genau. Das ist nicht wahr. – Meine Frage dazu: Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass es mittlerweile Menschen mit Downsyndrom gibt, die einen Hochschulabschluss erreicht haben?

Grundsätzlich verfolgen wir sicher alle das Ziel, Kinder gemeinsam zu beschulen, sofern dies irgend möglich ist. Das ist keine Frage. Ich meine aber nicht, dass es grundsätzlich das Ziel sein muss, jeden zum Abitur zu führen,

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie aber nicht gesagt! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht gar nicht ums Abitur! Es geht ums gemeinsame Lernen!)

weil daraus eine gewisse Missachtung anderer Schulabschlüsse und anderer Bildungswege folgt.

(Katrin Werner [DIE LINKE]: Fragen Sie, was Inklusion ist! Lesen Sie das einmal nach!)

Ich habe vorhin ganz bewusst die Wörter „intensivieren“ und „verstärken“ benutzt; denn ich meine, dass wir einen Paradigmenwechsel, wie ihn viele vom Bundesteilhabegesetz erwarten, schon eingeleitet haben. In jedem Unternehmen, in dem Schwerbehinderte beschäftigt sind, wird schon heute Inklusion betrieben, und zwar mit einem beeindruckenden Engagement.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich allen Arbeitgebern, allen Eltern und Geschwistern, allen Lehrern und Sozialarbeitern sowie allen Erziehern danken, die sich schon heute in großem Maße für Menschen mit Behinderungen engagieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Es gibt schon heute eine ganze Reihe von Unternehmen in unserem Land, die sich der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderungen verpflichtet haben, die das als Teil ihrer sozialen Verantwortung ansehen, die ihre Belegschaft sensibilisieren und für ein offenes Klima sorgen. Diese Unternehmen haben allerdings oft mit bürokratischen Hindernissen zu kämpfen. An dieser Stelle muss die Politik meines Erachtens eingreifen.

Wir brauchen mehr engagierte Unternehmer, die einen hochengagierten Mitarbeiter, der jedoch einen Einhandbetrieb braucht, weil er handamputiert ist, einstellen. Wir brauchen mehr Unternehmer, die einen engagierten Mitarbeiter, der aber vielleicht eine große Tastatur braucht, weil er sehbehindert ist, einstellen. Wir brauchen Unternehmer, die Arbeitsplätze schaffen, auf denen man vielleicht ein kleines bisschen langsamer sein darf.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Gabriele Schmidt, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4216198
Wahlperiode 18
Sitzung 72
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen
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