Gabriele SchmidtCDU/CSU - Vereinbarte Debatte Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen
Herr Präsident! Liebes Präsidium! Liebe Gäste im Bundestag! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir begehen seit 1993 diesen Gedenk- und Aktionstag der Vereinten Nationen, um die Öffentlichkeit nicht vergessen zu lassen und um uns selbst daran zu erinnern, dass wir noch längst keine inklusive Gesellschaft sind. Wir sind aber auf dem Weg dorthin, auch wenn es noch viel zu tun gibt.
(Katrin Werner [DIE LINKE]: In Ihrer Fraktion müssten Sie mal anfangen!)
Mir gefällt die Bezeichnung „Aktionstag“ um einiges besser als die Bezeichnung „Gedenktag“; denn Gedenken allein reicht nicht aus. Taten sind es, auf die es ankommt, und dabei ist jeder Einzelne von uns gefragt. Denn Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderung, Chancengleichheit und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft stellen nach wie vor eine große Herausforderung dar.
Das Thema geht uns alle an. Eine Behinderung kann uns schließlich jeden Tag selber treffen. Die meisten Beeinträchtigungen sind, wie schon angesprochen wurde, nicht angeboren, sondern entstehen im Laufe des Lebens.
Was die Teilhabe am beruflichen Leben angeht, haben wir wohl noch einen weiten Weg vor uns. Sicherlich gibt es viele Firmen, die schon Vorbildliches tun; es sind aber noch nicht genug.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Menschen mit Behinderungen sind hochmotiviert, engagiert und loyal. Viele sind sehr gut qualifiziert. Das hat nicht nur gerade mein Kollege Uwe Schummer bestätigt, sondern auch der Präsident der Bundesagentur für Arbeit vorhin im Ausschuss. Also, liebe Arbeitgeber, schauen Sie sich doch angesichts des Fachkräftemangels einmal in dieser Richtung um!
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Mich erreichen zahlreiche Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern aus dem Wahlkreis, die das Thema Barrierefreiheit zum Gegenstand haben. Barrierefreier Zugang für Menschen mit Behinderungen zu Transportmitteln, Informationen, Diensten und Einrichtungen ist essenziell für ein selbstbestimmtes und zufriedenes Leben, und zwar für die Menschen mit Behinderungen selbst wie auch für ihre Angehörigen. Barrieren findet man überall; danach braucht man nicht lange zu suchen.
Ich war kürzlich in einer Schule für gehörlose und gehöreingeschränkte Menschen und habe dort sehr viel gelernt über die spezifischen Probleme der Schülerinnen und Schüler dort. Sie können zum Beispiel einen nächtlichen Rauchmelderalarm nicht hören. Ich war froh, ihnen melden zu können, dass jetzt optische Rauchmelder mit Lichtsignalen von den Krankenkassen bezahlt werden – ein kleiner Mosaikstein auf dem Weg zu mehr Inklusion.
Bei der Deutschen Bahn habe ich – auch auf die Anregung dieser gehörlosen Schulkinder hin – angefragt, ob man nicht den Inhalt der oft schwer hörbaren Durchsagen in Zügen und auf Bahnsteigen verstärkt auf den dort meist vorhandenen Displays anzeigen könnte. Auch dies ist ein geringer Aufwand unter Nutzung moderner Technik, der uns auf dem Weg zur Inklusion weiterbringt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir müssen aber nicht nur sichtbare Barrieren abbauen; viel wichtiger sind die Barrieren in unseren Köpfen. Denn Inklusion beginnt genau da. Aufeinander zugehen, voneinander lernen, sich gegenseitig schätzen lernen, Berührungsängste abbauen sind die Basis für das Gelingen gleichberechtigter Teilhabe.
Kinder haben keine oder fast keine Berührungsängste. Warum sollten Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen nicht zusammen spielen, malen, singen oder Fußball spielen? Das geht ganz wunderbar. Davon habe ich mich kürzlich in einem Musical überzeugen können, das von Kindern einer Grundschule, einer Jugendmusikschule und einer Förderschule der Lebenshilfe gemeinsam gestaltet wurde. Die Kinder haben nicht nur zusammen gesungen und gespielt, sondern zuvor Kostüme genäht, Requisiten gebastelt und vor allem Freundschaften geschlossen. Da saßen Kinder mit schwerster spastischer Behinderung im Rollstuhl zusammen mit Kindern ohne Behinderung rund ums Lagerfeuer. Sie haben Stockbrot gebacken, und allen war anzusehen, dass es eine sehr, sehr gelungene Veranstaltung war.
In Gesprächen mit verschiedenen Trägern, Vereinen, Behindertenwerkstätten, Schulklassen und einzelnen Personen, die ich im Wahlkreis und in Berlin geführt habe, wurden viele gravierende Probleme genannt, mit denen die Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen jeden Tag zu kämpfen haben, oft auf sich allein gestellt. Es geht schon damit los, dass sie oft den richtigen Ansprechpartner nicht finden können. Wir können nur im Dialog Probleme gemeinsam benennen und lösen. Nicht umsonst heißt der wichtigste Leitsatz der UN-Behindertenrechtskonvention: „Nicht ohne uns über uns“. Für mich ist daher eines der wichtigsten Reformvorhaben in dieser Legislaturperiode die Formulierung und Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes.
Geben Sie mir auch noch eine halbe Minute Redezeit, Herr Präsident? Es blinkt schon so auffällig.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Weil Sie so freundlich nachgefragt haben. Die anderen Rednerinnen und Redner haben sich einfach darüber hinweggesetzt. Deswegen kriegen Sie jetzt noch 30 Sekunden.
Ich bin noch nicht so ausgefuchst. Aber ich bin die letzte Rednerin in dieser Debatte, die ich in der Tat für sehr wichtig halte. Ich komme bald zum Schluss.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vielleicht kann der Präsident das Blinken schon mal abstellen! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So, die halbe Minute ist jetzt rum!)
Ich werde nichts mehr zur Finanzierung der Vorhaben sagen, zum Beispiel über die Kommunalentlastung. Ich möchte Sie einfach nur bitten: Lassen Sie uns gemeinsam die Inklusion vorantreiben und dabei stets die Menschen und ihre Bedürfnisse im Blick haben. Wir haben hohe Erwartungen bei den Betroffenen geweckt, und diese müssen wir nun erfüllen. Das Thema der heutigen Debatte lautet: „Mehr Teilhabe eröffnet neue Perspektiven“. – Ja, genau, neue Perspektiven für alle Menschen, mit oder ohne Behinderungen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4216249 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 72 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen |