Norbert Lammert - Forschungs- und Innovationspolitik
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute vor 90 Jahren gab es nicht weit von hier – 8 Kilometer Luftlinie entfernt – ein besonderes Ereignis: Damals, am 4. Dezember 1924, hat die 1. Große Deutsche Funkausstellung in Berlin ihre Pforten geöffnet, und damals hat der erste Röhrenrundfunkempfänger fasziniert. Mittlerweile ist das 90 Jahre her. In dieser Branche sind seither Tausende von Arbeitsplätzen entstanden. Noch heute ist es so, dass die funkgetragene Kommunikation große Innovationsschübe hervorbringt. Das ist ein Beispiel, wie wichtig Innovation für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist und wie wirkungsmächtig sie über viele Generationen hinweg sein kann.
Wir sind heute beim Export von forschungsintensiven Gütern nicht nur in der Weltspitze. Der Beitrag der Medium- und Hightechgüterexporte zur Handelsbilanz liegt in Deutschland bei 9,2 Prozent. Wissen Sie, wie hoch dieser Wert im EU-Durchschnitt ist? 1,3 Prozent. Das heißt, Deutschland hat an dieser Stelle eine Sonderstellung. Auch aus diesem Grund haben wir im November die höchste Beschäftigungsquote in Deutschland, die wir je hatten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Mittlerweile sind wir ein Magnet für Wissenschaftler und Forscher aus aller Welt. Wir haben die Zahl derer, die nach Deutschland kommen, seit 2006 um 60 Prozent gesteigert. Vor kurzem ist es uns gelungen, einen Professor von der Harvard-Universität nach Halle zu holen.
(Zuruf des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/ CSU])
Was ist die Ursache dafür? Jetzt denken Sie: Sie erzählt bestimmt wieder, dass es das Geld ist und die jährliche Steigerung der Mittel für diesen Bereich seit 2005, seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist. – Das stimmt. Aber das alleine reicht nicht. Entscheidend ist, wie das Geld angelegt bzw. wofür es ausgegeben wird. Es gibt zum Beispiel den Pakt für Forschung und Innovation, der den Wissenschaftsorganisationen Planungssicherheit, Verlässlichkeit, aber auch Freiheitsgrade – die haben wir insbesondere in den letzten Jahren eingeräumt – bietet. Unser Nobelpreisträger Hell sagt, dass er geblieben ist wegen der Freiheitsgrade und wegen der Möglichkeiten, die man in Deutschland hat,
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
und wegen der Hightech-Strategie. Die Hightech-Strategie ist schon etwas Besonderes. Jetzt können Sie denken: Jedes Land hat irgendeine Förderstrategie, die bei uns eben Hightech-Strategie heißt. Das ist keine einfache Förderstrategie mit einzelnen Programmpunkten und Aktionsfeldern. Das ist eine Strategie, die für die Innovationskraft in Deutschland von grundlegender Bedeutung ist, die Besonderheiten hat, die zu kopieren versucht wird und bei der andere Länder Anregungen nehmen.
Seit Anfang September haben wir die neue Hightech- Strategie. Sie werden jetzt sagen: Wenn es gut funktioniert, warum gibt es dann eine neue Hightech-Strategie, warum behalten wir nicht die, die wir 2006 zum ersten Mal aufgelegt haben? Ganz einfach, weil sich die Bedingungen ändern, weil wir im globalen Wettbewerb sind und weil es jetzt neue Herausforderungen gibt, die anders sind als die 2006.
Was ist jetzt neu? Was ist jetzt anders? Warum machen wir das so? Wir haben die Konzentration auf wenige Themenfelder – sechs an der Zahl – beibehalten. Das ist ein Grundpfeiler der Hightech-Strategie. Diese sechs Themenfelder sind für die Zukunft Deutschlands, für uns alle und für unseren Wohlstand zwingend notwendig. Sie unterscheiden sich nicht grundlegend von denen des Jahres 2006, aber es wird doch auf die Entwicklung eingegangen. Die sechs Themenbereiche sind: digitale Wirtschaft und Gesellschaft, nachhaltiges Wirtschaften und Energie, innovative Arbeitswelt, gesundes Leben, intelligente Mobilität und zivile Sicherheit.
Wir stehen aktuell vor großen Herausforderungen: Wir haben eine hohe Innovationskraft. Wir haben, Herr Riesenhuber, fast das 3-Prozent-Ziel erreicht. Aber woher kommen diese Erträge? Den Hauptteil liefern in Deutschland drei Branchen, nämlich Fahrzeugbau, Elektrotechnik und Maschinenbau. Deshalb ist es ganz wichtig, die Basis auf andere Branchen zu erweitern, sie genauso stark zu machen. Die Hightech-Strategie bietet Chancen für Wachstumsbranchen wie zum Beispiel Bioökonomie und Mikroelektronik – mit großen Anstrengungen nicht nur vonseiten der Bundesregierung, sondern auch vonseiten Sachsens und auf EU-Ebene –,
(Beifall des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU])
beinhaltet die Förderung von Schlüsseltechnologien und, und, und.
Ich will kurz anhand einzelner Punkte aufzeigen, was wir neu gemacht haben:
Erster Punkt. Im Bereich „nachhaltiges Wirtschaften und Energie“ ist ein Schwerpunkt die Energieforschung. Wir alle wissen, die Energiewende funktioniert nicht ohne entsprechende Forschungsergebnisse.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!)
Wir alle zusammen haben im letzten Frühjahr mit dem Forschungsforum Energiewende einen Dialogprozess gestartet. Wir sind jetzt so weit, dass wir Ihnen Anfang des neuen Jahres – denn es gibt eine Vielzahl von Dingen in der Forschung, die man berücksichtigen muss – die grundlegenden prioritären Aufgaben – eins, zwei, drei – präsentieren können, auf die wir in den nächsten Jahren alle Mittel konzentrieren, um dort Ergebnisse zu erzielen. Wir wollen eine Prioritätensetzung für die 180 Hochschulen, die im Bereich der Energieforschung tätig sind, ermöglichen. Wir sind jetzt so weit, dass wir die Ergebnisse Anfang des Jahres präsentieren können.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Ein zweiter Punkt. Ein erfolgreiches Format im Rahmen der Hightech-Strategie war der Spitzencluster-Wettbewerb, waren die Spitzencluster. Ein Cluster wurde gebildet, wenn klar war, dass man in einem Bereich in wenigen Jahren Weltmarktführer werden kann, gefördert mit 40 Millionen Euro vom Bund und – das ist wesentlich mehr geworden – 40 Millionen Euro von privater Seite. Die 15 Spitzencluster funktionieren exzellent. Weil unsere Chancen in Europa liegen, wollen wir diese Cluster jetzt zu Clustern in Europa werden lassen. Deswegen läuft jetzt gerade eine erste Ausschreibung. Es geht darum, wie sich diese Spitzencluster mit den zweien oder dreien in Europa vernetzen können, die in dem jeweiligen Themenfeld führend sind.
Dritter Punkt. Ich hatte es hier schon erwähnt: US- Präsident Obama hat gefragt, warum die Deutschen so gut sind, und hat umfangreiche Papiere erstellen lassen. Die Erkenntnis war: Bei der Revolution sind die Deutschen nicht so gut; sie machen nicht so viel auf der grünen Wiese, reißen nicht immer alles ein;
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der friedlichen Revolution sind wir gut!)
aber die absolute Stärke der Deutschen ist, dass sie in den Branchen, in denen sie gut sind, in der Lage sind, über Jahrzehnte hinweg immer wieder Innovationen zu schaffen und in der Weltspitze zu bleiben. Das ist die Stärke der Deutschen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Der nächste Innovationsschub, den wir jetzt in den klassischen Branchen, in denen wir gut sind, brauchen, geht von der Digitalisierung aus. In der alten Hightech-Strategie betraf die Digitalisierung in sehr starkem Maße Fragen der IKT, also der Informations- und Kommunikationstechnologien. Das reicht heute nicht mehr aus. Der digitale Wandel im Forschungs- und Entwicklungsbereich ist außerordentlich wichtig; das Thema muss breit angelegt werden. Wir haben in diesem Jahr zwei große Kompetenzzentren für Big Data eingerichtet. Wir haben das Forum Privatheit und selbstbestimmtes Leben in der Digitalen Welt mit vielen Playern aus dem privaten Bereich gestartet.
Ich sagte es schon: Es gibt richtig Geld für den Bereich Mikroelektronik. Sie ist eine Schlüsseltechnologie, und wir haben dort Chancen. Insgesamt müssen wir hin zu einem breiteren Verständnis von Forschung und Entwicklung. Es geht nicht nur um technologische Entwicklungen, um Geld für Forschung, sondern vor allen Dingen auch um Veränderungen in der Arbeitswelt. Wir haben das große Programm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ mit einem Umfang von 1 Milliarde Euro in den nächsten Jahren gestartet. Das ist keine Idee, die wir uns einfach ausgedacht oder mit einigen wenigen diskutiert haben. Es wurde eine breite Debatte mit Gewerkschaften, mit Arbeitgebern geführt; beide waren gemeinsam an einem Tisch. Was ich im Bereich der Arbeitsforschung nicht will – dafür stehe ich mit diesem Programm –, sind neue dicke Bücher; wir brauchen sie nicht. Wir haben in der Arbeitsforschung schon sehr viele Ergebnisse. Ich möchte, dass jedes Mal, wenn wir im Rahmen der Hightech-Strategie Geld für Arbeitsforschung ausgeben, ein oder mehrere Mittelständler gesucht werden, die probieren, die Ergebnisse umzusetzen und Transfer zu betreiben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Gesundheit im Lebensverlauf. Wir haben vor kurzem das 50-jährige Jubiläum des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg gefeiert und entschieden – es war nicht einfach –, viel Geld für das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen einzusammeln – Partnerstandort ist das Institut für Radioonkologie in Dresden – und seine Mittel langfristig und unbefristet aufzustocken. Damit gehören wir zu den drei Weltbesten. Die Amerikaner und die Briten versuchen, aufzuholen. Deswegen können wir Gelder nicht nur mit der Gießkanne verteilen – das machen wir sowieso nicht –, sondern müssen Spitzenförderung betreiben. Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen ist im Bereich der Gesundheitsforschung eine ganz große Chance, die wir in Deutschland haben. Ich denke, da haben wir richtig entschieden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Erhaltung der Schöpfung ist uns ein besonderes Anliegen. Nachhaltiges Wirtschaften ist eine zentrale Kompetenz, ein zentrales Interesse gerade auch unserer Partei. Hier habe ich vor wenigen Tagen gemeinsam mit Frau Hendricks die Forschungsagenda für den Bereich Green Economy vorgestellt. Diese Forschungsagenda ist mit der Wirtschaft und mit den Verbänden entwickelt worden und hat eine große Akzeptanz, weil unsere Wirtschaft pfiffig ist und weiß, dass sie in dem Bereich wettbewerbsfähig sein muss, dass dort Ökonomie und Ökologie wettbewerbsfähig verbunden werden müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD])
Um an dieser Stelle eine Zahl zu nennen: Dafür stehen 350 Millionen Euro bereit.
Wir haben Probleme und Herausforderungen. Die Stärke Deutschlands ist der Mittelstand. Wir geben dort viel Geld aus; wir fördern diesen Bereich jährlich mit 1,4 Milliarden Euro. Ein Problem ist: Die Ergebnisse zeigen, dass wir zwar viele Hidden Champions haben, aber die Innovationsausgaben im Mittelstand, bei den kleinen und mittleren Firmen, in der Summe nicht gestiegen sind, zum Teil gar gesunken sind. Deswegen ist dies ein ganz zentraler Punkt der neuen Hightech-Strategie: Was kann man machen, damit die Gelder dort effektiver genutzt werden und um anzuregen, dass in dem Bereich mehr ausgegeben und geforscht wird? Die Steigerung der Innovationsdynamik im Mittelstand ist für mich ein zentrales Anliegen. Diese braucht jedoch Unterstützung. Dies ist vielleicht nicht so populär, als wenn man sich mit dem Chef eines Großunternehmens präsentiert. Daher ist es wichtig – und das ist die Politik dieser Großen Koalition –, für Innovationen in kleinen und mittelständischen Unternehmen Sorge zu tragen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Zwei Einsprengsel dazu, wie wir das machen wollen. Ein Punkt betrifft Pilotanlagen, die bislang bei der Förderung immer herausgefallen sind. Wenn das Wirtschaftsministerium die Wirtschaft fördert, dann betrifft das an vielen Stellen nicht Pilotanlagen. Deswegen ist jetzt für uns wichtig, dass wir Pilotanlagen fördern. Damit können die zur Bank gehen und dort leichter Geld zur Finanzierung bekommen. Sunfire ist ein Beispiel für eine Pilotanlage, die wir jetzt im Rahmen der Hightech-Strategie fördern, meine Damen und Herren.
Kompetenzaufbau. Es funktioniert nur mit Fachkräften. Fachkräfte sind unsere Stärke, sie sind Träger der Innovation. Ich will jetzt gar nicht auf die einzelnen Pakte, die wir beschlossen haben – Stichworte „berufliche Bildung“, „akademische Bildung“ –, eingehen. Ich will nur sagen, dass der Bedarf an neuen Qualifikationen, den man zum Beispiel bei Industrie 4.0 sieht, ein Feld ist, auf dem wir schnell sein müssen. Wir haben im Rahmen des IT-Gipfels in der Arbeitsgruppe, die von einem Mitglied des Vorstands von SAP geleitet wurde, beschlossen, eine Initiative zur Systematisierung bestehender Angebote und zur Strukturierung neuer Qualifikationsformen für die berufliche Bildung und für die akademische Bildung zu starten. Das sind aber keine Arbeitsgruppen, in denen man nur darüber redet, sondern es geht darum, mit einem großen Unternehmen oder mit zwei, drei großen Unternehmen dies in der Praxis auszuprobieren und damit auch Anregungen zu geben und Vorbild für andere Bereiche zu sein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Ich sagte vorhin, dass wir attraktiv sind für Forscher und Wissenschaftler aus aller Welt. Das EFI-Gutachten, um das es ja heute auch geht, bestätigt, wie wichtig dies ist. Dort wird aber auch kritisch angemerkt, dass da noch viel Entwicklungspotenzial ist. Das Gutachten beruht jedoch auf alten Zahlen. Die haben die Zahlen aus Publikationen von 1996 bis 2011 genommen. Die Zahlen, die wir jetzt haben, sehen ganz anders aus. Nur ein Beispiel: Bei der Max-Planck-Gesellschaft sind rund 50 Prozent aller Doktoranden und 86 Prozent aller Postdoktoranden sowie jeder dritte Abteilungsleiter aus dem Ausland. Das heißt, wir sind an der Stelle erfolgreich, aber wir brauchen auch dort Verstetigung, Instrumente, Strategien. Ich denke, mit der Strategie zum Europäischen Forschungsraum, aber auch mit der Internationalisierungsstrategie sind wir an dieser Stelle gut aufgestellt.
Ich denke, wir haben viel erreicht. Aber wir müssen aufpassen. Einen Vorsprung kann man gerade dann, wenn es Innovationsschübe gibt – und diese gibt es überall auf der Welt –, ganz schnell verspielen. Deswegen wollen wir, dass Deutschland den ersten Platz einnimmt, was Innovation und Wettbewerbsfähigkeit sowie Weltmarktfähigkeit anbetrifft, und dass wir auch die Talente aus allen Ländern mit unserer Attraktivität anziehen. Deswegen haben wir die Hightech-Strategie zu einer umfassenden Innovationsstrategie weiterentwickelt. Die beiden dicken Dokumente, die hier heute zur Diskussion stehen, bestätigen das.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Das Wort erhält nun die Kollegin Petra Sitte für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4218879 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 73 |
Tagesordnungspunkt | Forschungs- und Innovationspolitik |