Kai GehringDIE GRÜNEN - Forschungs- und Innovationspolitik
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute über die dritte Hightech-Strategie der Bundesregierung, die Sie mit dem Signalwort „neu“ versehen haben. Weil das Prädikat „neu“ anscheinend noch nicht ausreicht, wird der Titel Ihrer Vorlage auch noch mit dem Anspruch „Innovationen für Deutschland“ versehen. Nun ist es nicht Aufgabe der Opposition, Ihnen ehrgeizige Ziele auszureden. Wir werden vielmehr kritisch prüfen, ob die wohlklingenden Worte mit sinnvollen Instrumenten unterlegt werden oder verbale Superlative einfach nur von inhaltlichen Defiziten ablenken sollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die neue Hightech-Strategie hätte nach einem Jahr Regierungszeit und neun Jahren CDU-Forschungsministerinnen als Chance zu einem echten Neustart genutzt werden können. Die Koalition hätte die Möglichkeiten für einen Aufbruch zu einer nachhaltigkeitsorientierten Innovationspolitik aus einem Guss gehabt. Sie könnten sich auch ehrlich machen, dass Sie weiter vordringlich auf wachstums- und auf industriegetriebene Felder setzen. Weil Sie all das aber unterlassen, springen Sie zu kurz.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wirklich neu wäre etwas anderes gewesen: ein klarer Fokus auf ökologische Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Aufbruch, der sich in der Umsetzung dann auch durchgängig wiederfinden müsste. Ihrer Hightech-Strategie fehlt aber eine klare Stärken-Schwächen-Analyse, ihr fehlt eine Entrümpelung, und ihr fehlt eine konsistente Ausrichtung auf Nachhaltigkeitsaspekte. Doch dazu fehlen Ihnen die Kraft und der Mut. Das finden wir unzureichend.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Heraus gekommen ist ein Programm mit uneindeutigen und auch widersprüchlichen Zielen. Die sogenannten prioritären Zukunftsaufgaben, die Sie sich als Regierungforschungspolitisch vornehmen, sind so weit gefasst, dass hierunter alles fällt, was Sie eh immer schon gemacht haben. Statt Klima/Energie heißt es jetzt „Nachhaltiges Wirtschaften und Energie“, statt Gesundheit/Ernährung heißt es jetzt „Gesundes Leben“, statt Mobilität „Intelligente Mobilität“, statt Sicherheit „Zivile Sicherheit“, und statt Kommunikation heißt es jetzt „Digitale Wirtschaft und Gesellschaft“.
(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kreativ!)
Neu ist das alles nun wirklich nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Viel wichtiger wäre die klare Auskunft darüber gewesen, wo genau Ihre Prioritäten bei den jeweiligen Rahmen- und Forschungsförderprogrammen denn nun liegen. Das, liebe Frau Wanka, sollten Sie hier nicht verschweigen. Sonst bleibt Ihre Hightech-Strategie ein diffuses Sammelsurium.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Richtig ist, dass es auch einzelne neue Aspekte gibt.
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Es gibt die neue Zukunftsaufgabe namens innovative Arbeitswelt und eine Stärkung der Dienstleistungsforschung. Das finden wir gut.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es gab den Agenda-Prozess „Green Economy“, den wir begrüßen und den wir kaum hätten besser machen können.
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Es gibt die Initiative FONA und die „Nationale Plattform Zukunftsstadt“.
Das alles reicht aber nicht aus, um eine Strategie neu und nachhaltig zu nennen. Sie tun so, als gebe es plötzlich auf breiter Front eine Interdisziplinarität der Ansätze. Wenn alte Programme überwiegen, besteht das Risiko, dass neue Impulse wegen Beharrungskräften des Alten ins Leere laufen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])
Wie stark diese alten Beharrungskräfte sein können, zeigt die Behandlung der neuen Energien. Das EFI-Gutachten verkennt völlig die positive Dynamik sowie die ökologische und ökonomische Relevanz der erneuerbaren Energien. Diese waren Jobmotor, Modernisierungsfaktor und Innovationstreiber in Deutschland, bis sie durch eine planlose, von alten Interessen dominierte Politik gedrosselt wurden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wirtschaftsminister Gabriel stellt sich schützend vor fossile Dinosaurier, vor die ältesten Kohlekraftwerke dieser Republik. Aus Ihrem Forschungsetat, liebe Frau Wanka, werden atomare Altlasten finanziert. Allein bis 2017 fließen knapp 1 Milliarde Euro in den Rückbau kerntechnischer Anlagen. Beides ist Antiinnovationspolitik.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Beides ist staubgraue und riskante statt grüne und kreative Ökonomie. Damit muss Schluss sein, steuern Sie endlich um!
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wollt ihr keinen Rückbau?)
Ein Misserfolg zeichnet sich auch beim Zukunftsmarkt Elektromobilität ab. Hier zeigt sich exemplarisch: Leitentscheidungen werden schlichtweg nicht getroffen und Innovationsprozesse verlangsamt. Ein neuer Gründergeist wird so nicht entfacht. Das schadet unserem Industrie- und Innovationsstandort Deutschland. So drohen Sie, Chancen zu verspielen. Wir brauchen mehr Elektromobilität. Alles andere ist fatal für das Klima.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Leider ist keine Besserung in Sicht. Über neue ressortübergreifende Abstimmungsformate zur besseren Steuerung schweigt sich diese Hightech-Strategie aus. Wenn Ihr Selbstlob stimmt und alles so viel anders und so viel besser im Vergleich zu früher wäre, dann hätten Sie ja einen Großteil Ihrer Fördertöpfe auch umkrempeln müssen.
Ich sage Ihnen: Ihr auf Technik verengtes Innovationsverständnis hat ausgedient. Ihr altes ressourcenintensives und energieverschwendendes Wachstumsmodell hat erst recht ausgedient. Hören Sie auf die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ der vergangenen Wahlperiode! Wir haben nur einen Planeten und keinen Ersatz hierfür.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen eine bessere Förderung von Forschung und Entwicklung und eine Modernisierung des Wissenschaftssystems, um deren Expertise und Potenziale für die sozialökonomische Erneuerung unseres Landes auszuschöpfen.
In Ihrer Hightech-Strategie steht Nachhaltigkeit jedoch unverbunden neben einer Reihe anderer Ziele. Allen voran stehen Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum, Wachstum, Wachstum. Hier überwiegt die reine Wertschöpfungsorientierung. Das ist überholt. Bisherige Förderschwerpunkte bekommen von Ihnen einfach nur andere Namensschilder umgehängt: „green, smart, sustainable“. Der Inhalt bleibt jedoch überwiegend gleich. Gutes Wording und Framing reichen aber nicht. Echte Zukunftsorientierung geht anders.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – René Röspel [SPD]: Wir sind wenigstens eine Partei, die nach einem Inhalt benannt ist und nicht nach einer Farbe! – Heiterkeit bei der SPD)
Wir wollen dagegen, dass wegweisende Ansätze wie das Rahmenprogramm „Forschung für nachhaltige Entwicklungen“ und die Forschungsagenda „Green Economy“ strukturbildend für die gesamte Hightech-Strategiewirken, damit nicht nur die Verpackung grün aufgehübscht ist. Wir wollen auch, dass einzelne Programme nicht nur nebeneinander herlaufen, sondern dass es zu einem echten Transfer und zur Interdisziplinarität zwischen Technik- und Sozialwissenschaften kommt.
Leider gibt es in der Hightech-Strategie bisher kein Indikatorensystem für mehr Nachhaltigkeit. Damit könnten wir die Prinzipien der Nachhaltigkeit für forschungspolitische Lösungen der großen ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen nutzen, zum Beispiel bei der Mobilität, beim Klimaschutz, bei der Energieversorgung, bei der Ernährung, bei der digitalen Revolution bis hin zur Industrie 4.0.
Davon abgeleitet müsste eine Forschungs- und Innovationsstrategie entwickelt werden, die im Kern danach fragt: Was leisten und was verkraften ökologische, ökonomische und soziale Systeme? Für diese Fragen müsste sich die Koalition mit ihren Forschungsförderprogrammen endlich stärker öffnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ein weiteres Problem Ihrer Hightech-Strategie ist die mangelnde Budgettransparenz und damit auch die politische Steuerbarkeit. Jetzt erklären Sie mir doch einmal den Unterschied zwischen den beiden Schwerpunkten „Cybersicherheit“ einerseits und „IT-Sicherheit“ andererseits.
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Offensichtlich ist der Unterschied nur der, dass unterschiedliche Häuser Ihrer Bundesregierung dafür zuständig sind. Ihre Strategie referiert oft nur die Interessen mehrerer Ministerien und schafft neue Redundanzen. Wir fordern einen integrierten Ansatz. Eine Bundesregierung muss vernetzt denken und auch vernetzt handeln können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Unsere politische Aufgabe ist nicht Feinsteuerung, sondern die Gewährleistung von Pluralität und Forschungsfreiheit in gesellschaftlicher Verantwortung. Das heißt, es geht bei Forschung auch um größtmögliche Transparenz und um Technikfolgenabschätzung. Es geht darum, Chancen und Risiken gegeneinander abzuwägen. Eine fundamentale Voraussetzung dafür ist es, für eine kluge Wissenschaftsarchitektur und eine auskömmliche Grundfinanzierung der Hochschulen als Herzstück des Wissenschaftssystems zu sorgen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen geben wir 1,17 Milliarden Euro an die Länder und übernehmen die BAföG-Kosten!)
Gut ist, dass Sie ein Paket der Wissenschaftspakte auf den Weg gebracht haben. Aber das reicht nicht.
(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Was machen denn Ihre Länder? Herr Gehring, was machen die Grünen in den Ländern?)
Wir erwarten, dass Sie die neue Verfassungsrealität ab dem 1. Januar 2015 mit Leben erfüllen, mit der dauerhafte institutionelle Kooperationsmöglichkeiten in der Wissenschaft ermöglicht werden. Das gilt es – bitte schön – dann auch zu nutzen. Im Bundeshaushalt 2015 fehlt davon jede Spur. Da muss mehr kommen.
(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Was machen die Grünen in den Ländern?)
Wer eine Tür öffnet, der muss auch hindurchgehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – René Röspel [SPD]: Das ist ein falscher Ansatz!)
– Wir wollten das Kooperationsverbot für Bildung und Wissenschaft abschaffen. Ihr geht halbherzig vor. Die Kooperation im Bereich der Wissenschaft ist jetzt möglich. Also, los geht’s.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt viel zu tun, etwa den Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs. All das gilt es auf den Weg zu bringen, sonst bleibt diese Verfassungsänderung folgenlos. Es bringt doch nichts, wenn sie nur auf dem Papier steht, auch wenn es die Verfassung ist.
Forschung ist für unsere wissensbasierte Ökonomie zentrale Zukunftsvorsorge. Mit nur 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung werden wir als Wissensnation im internationalen Innovationswettbewerb zurückfallen. Wir fordern Sie daher seit Jahren auf, sich endlich auf das 3,5-Prozent-Ziel für Forschungsinvestitionen zu konzentrieren, um den großen Herausforderungen gerecht zu werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Sie aber Zukunftsinfrastrukturen und -investitionen vernachlässigen, weil Sie im Haushalt des Ministeriums für Bildung und Forschung den Mangel der globalen Minderausgabe verwalten, dann wird sich das bitter rächen.
Unser Wissenschafts- und Innovationssystem braucht mehr Verlässlichkeit, das gilt besonders für die Beschäftigten im Wissenschaftsbetrieb. Es ist großartig, dass wir inzwischen, gerade auch im Wissenschaftssystem, das Einwanderungsland schlechthin sind und weltweit auf Platz drei stehen. Aber es geht eben auch um die prekären Beschäftigungsverhältnisse an unseren Hochschulen. Das muss besser werden, vom wissenschaftlichen Nachwuchs bis zur Tenure-Track-Professur.
Notwendig sind bessere Arbeitsbedingungen, mehr Vielfalt, mehr Weltoffenheit, Geschlechtergerechtigkeit und Familienfreundlichkeit. Wir haben dazu längst Initiativen vorgelegt. Von Ihnen kommen bisher nur warme Worte. Legen Sie dem Parlament endlich etwas vor, um Wissenschaft als Beruf attraktiver zu machen. Wir wollen faire Karrieren statt prekäre Befristungen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Forschung geht im Übrigen nicht ohne Bürgerschaft. Für echte Bürgerpartizipation im Forschungsprozess haben Sie aber kein stimmiges und verbindliches Konzept. Welche Reichweite und welche Beteiligungsformate wollen Sie eigentlich? Was geschieht mit den Ergebnissen? Wer stellt die entscheidenden Forschungsfragen? Welche Rückwirkungen haben Sie auf die Weiterentwicklung der Hightech-Strategie? Auch hierzu ist im Haushalt 2015 nichts abzulesen. Wir brauchen deutlich mehr Citizen Science und weniger Überschriften.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Seit neun Jahren wird das Forschungsressort von der Union verantwortet. Seitdem vernachlässigen Sie kleine und mittlere Unternehmen, die oft wichtige Quellen und Treiber für Innovationen sind. Im Rahmen von Förderprogrammen werden ein paar Schräubchen gedreht. Was den KMU aber fehlt, ist eine steuerliche Forschungsförderung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir wollen Entwicklungsvorhaben von KMU durch eine 15-prozentige Steuergutschrift auf Sach- und Personalkosten unterstützen. Greifen Sie diesen Vorschlag endlich auf. Er ist definitiv zielgerichteter als die skurrilen Patentboxen, über die Herr Schäuble sinniert.
Herr Gehring, achten Sie auf Ihre Redezeit?
Ich komme zum Schluss.
Wie schön.
Die Forschungs-, Wissenschafts- und Innovationspolitik muss sich viel stärker zum Anliegen der gesamten Bundesregierung entwickeln. Sie hat mehr Tatkraft verdient, um die großen Herausforderungen vom demografischen Wandel bis zur Digitalisierung zu schultern. Dafür, liebe Koalition, braucht es mehr Substanz und mehr Mittel statt wohlklingender Worte.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Stefan Kaufmann ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4218994 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 73 |
Tagesordnungspunkt | Forschungs- und Innovationspolitik |