04.12.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 73 / Tagesordnungspunkt 4

Stefan KaufmannCDU/CSU - Forschungs- und Innovationspolitik

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Kai Gehring, nachdem von Ihnen ein grünes Zerrbild von Deutschland gezeichnet wurde, will ich zu dem zurückkommen, was uns eigentlich heute beschäftigt, nämlich die Forschungs- und Innovationspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich war vor kurzem zu Besuch in Israel, und ich war beeindruckt von der Innovationskraft und dem Gründergeist dort. Das Weizmann-Institut ist eines der innovativsten der Welt. Die Konkurrenz – das sieht man dort sehr deutlich – schläft also nicht. Aber auch wir sind im harten internationalen Wettbewerb gut aufgestellt, und mit der neuen Hightech- und Innovationsstrategie, die wir heute diskutieren, wird es noch besser, meine Damen und Herren.

Wie ist die Ausgangslage? Wir stehen bei ganz vielen Parametern hervorragend da. Viele Staaten kopieren die deutsche Hightech-Strategie, sei es Frankreich mit Unterstützung der Fraunhofer-Gesellschaft oder die USA mit ihrer gigantischen Advanced Manufacturing Strategy. Mit unserem fortgesetzten Commitment zur Forschung haben wir das 3-Prozent-Ziel der Europa-2020-Strategie bereits 2012 erreicht, lieber Kai Gehring. Zusammengenommen haben Staat, Wirtschaft und Wissenschaft in Deutschland ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung sogar auf den Rekordwert von mehr als 79 Milliarden Euro im Jahr 2012 gesteigert. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich in der Spitzengruppe.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Meine baden-württembergische Heimat nimmt übrigens innerhalb Europas mit über 5,1 Prozent FuE-Intensität den Spitzenplatz ein.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine ganz starke Landesregierung!)

Dies ist zweifellos ein Hauptgrund für unsere wirtschaftliche Stärke im Südwesten.

Auch der aktuelle Forschungs- und Innovationsbericht, über den wir heute diskutieren, bestätigt, dass der Standort Deutschland in den letzten Jahren weiter an Attraktivität gewonnen hat; die Ministerin hat es bereits erwähnt. Knapp 600 000 Menschen sind in Deutschland in Forschung und Entwicklung tätig. Allein zwischen 2005 und 2012 sind in diesem Bereich – unter anderem dank der Exzellenzinitiative – 114 000 neue Arbeitsplätze entstanden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Fünf der zehn forschungsstärksten Unternehmen Europas kommen heute aus Deutschland. Beim Export von forschungsintensiven Gütern bildet Deutschland mit einem Anteil von rund 12 Prozent am Welthandelsvolumen hinter China die Weltspitze, noch vor den USA und Japan.

Bei den transnationalen Patentanmeldungen ist Deutschland führend in Europa und liegt weltweit an dritter Stelle. Die gegenwärtig gute Stellung vor allem innerhalb Europas und der Wohlstand Deutschlands können aber angesichts des sich weiter verschärfenden globalen Wettbewerbs nur mit einer breiten Wissens- und Innovationsbasis behauptet und ausgebaut werden. Genau hier setzt die Hightech-Strategie an, und zwar mit drei Zielrichtungen:

Erstens bündeln wir zentrale Handlungsfelder zur Förderung von Forschung und Innovation innerhalb der Bundesregierung. Zweitens setzen wir Prioritäten in ausgewählten Bereichen, und drittens verfolgen wir neue Ansätze in der Querschnittsförderung von Innovationen.

Hightech ist also zukünftig eine Querschnittsaufgabe. Das entbindet uns aber nicht von der Herausforderung, klar zu sagen, wer am Ende bei der Umsetzung den Hut aufhat.

Was wollen wir konkret mit der neuen, auf der erfolgreichen Hightech-Strategie aufbauenden, ressortübergreifenden Innovationsstrategie erreichen? Wirtschaft und Wissenschaft werden mit Unterstützung der Bundesregierung in zahlreichen Projekten zusammenarbeiten, zum Beispiel zur Förderung der Elektromobilität oder der digitalen Fertigungsprozesse, Stichwort „Industrie 4.0“.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Elektromobilität fährt der Zug doch gerade ab!)

Wichtig ist in diesem Kontext, dass die Industrieunternehmen in der vorwettbewerblichen Phase enger zusammenarbeiten. Die anbrechende Konnektivität der Fertigungsbereiche durch Industrie 4.0 erfordert eine kreativeKooperation der Unternehmen innerhalb des „Industrieclusters Deutschland“. Ziel ist es, durch Hochtechnologie und innovative Geschäftsmodelle auf den etablierten Technologien aufzubauen.

Zugleich sollen in dieser Legislaturperiode neue Instrumente eingesetzt werden, um den Transfer von Ideen in Produkte weiter zu verbessern. Hierin, in der Innovationsumsetzung und im Transfer von der starken Grundlagenforschung zum marktfähigen Produkt, liegen nicht nur meines Erachtens die größten Defizite und damit auch die größten Herausforderungen für uns.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD])

Das ist im Übrigen nicht nur eine Frage der Kultur, Stichworte „Gründermentalität“, „Umgang mit Risiken“, „Verfügbarkeit von Wagniskapital“ und vieles mehr. All das konnte ich bei meinem eingangs erwähnten Besuch in Israel hautnah erleben.

Apropos Risikofinanzierung. Warum tun wir uns hier eigentlich so schwer? Geld gibt es hierzulande genug. Es muss eben nur aktiviert werden. Ja, Innovation und Technologietransfer brauchen auch die richtigen finanziellen Rahmenbedingungen. Dazu gehören zum Beispiel Anreize für den Einsatz von Wagniskapital, innovationsfördernde Regelungen beim Crowdfunding oder Verbesserungen bei der Innovationsfinanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen; Kollege Riesenhuber wird dazu noch einiges ausführen.

Die Umsetzung der neuen Hightech-Strategie soll von einem neuen Hightechforum begleitet werden, in dem zentrale Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft vertreten sind. Diesem Hightechforum kommt eine enorm wichtige Rolle zu. Es muss schlank und schlagkräftig sein, damit es effektiv zur Vernetzung aller innovatorischen Kräfte beitragen kann. Zum Erfolg wird die Strategie dann werden, wenn wir bewusst unsere Stärken stärken.

Was heißt das nun? Erstens. Wir müssen unser leistungsfähiges differenziertes Wissenschaftssystem mit starken Hochschulen angemessen ausstatten. Das sage ich vor allem auch an die Adresse der Länder. Zweitens. Wir müssen auf unserem robusten industriellen Fundament aufbauen und Cluster bilden von exportorientierten, forschungsstarken Unternehmen, Hochschuleinrichtungen und außeruniversitären Forschungsinstituten, eine klassische Win-win-win-Situation.

Im Prinzip ist es das, was die Fraunhofer-Gesellschaft mit ihren nationalen Leistungszentren vorhat: die Profil- und Exzellenzbildung an Forschungsstandorten um thematische Cluster herum und am Ende die Verbindung mehrerer Cluster zu einem leistungsfähigen, international sichtbaren Forschungsraum. Zwei Beispiele: das DRESDEN-concept zur Funktionsintegration mikro- und nanoelektronischer Systeme oder das Freiburger Cluster zum Thema Nachhaltigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die beteiligten Cluster können übrigens neue Cluster sein oder solche, die beispielsweise bereits im Rahmen des Spitzenclusterwettbewerbs der alten Hightech-Strategie entstanden sind.

Die Union steht – ich betone das gerne – weiterhin zur Spitzenforschung. Wir müssen dagegenhalten, wenn deutsche Unternehmen ihre FuE-Aktivitäten im Bereich der Spitzentechnologien immer mehr ins Ausland verlagern, wie es im EFI-Bericht nachzulesen ist. Klar ist – darüber sind wir uns im Hause einig –: Spitzenforschung braucht die besten Köpfe.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist deshalb richtig, dass die Max-Planck-Gesellschaft und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung wie auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft ihre Arbeit darauf konzentrieren, die besten Köpfe nach Deutschland zu holen oder hier zu halten. Es ist deshalb richtig, dass Exzellenz weiterhin wichtigstes Kriterium bei der Vergabe von Geldern aus deutschen oder europäischen Fördertöpfen an Forscher oder Institute ist. Es ist deshalb richtig, dass wir den außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Pakt für Forschung und Innovation jährliche Etatsteigerungen zugesagt haben und die DFG jetzt mit der erhöhten Programmpauschale unterstützen.

Ein weiteres wichtiges Feld ist die Standardisierung. Wer die Standards setzt, hat die Kontrolle. Hier muss sich die deutsche Wirtschaft international noch viel mehr einbringen als bisher. Ich befürchte, dass die Bedeutung der Standardisierung und standardessenzieller Patente dort noch nicht richtig angekommen ist. Das ist übrigens auch eine Erkenntnis aus dem EFI-Bericht, die wir ernst nehmen müssen. Gerade im Bereich der IKT hängt der Geschäftserfolg maßgeblich von Standards ab, die man selbst mitgestaltet.

Was müssen wir noch tun? Wir sollten darüber nachdenken, ob und wie wir unsere Hochschulausbildung anpassen müssen, beispielsweise bei der Einrichtung neuer Studiengänge wie Data Engineering. Da wir schon bei den Hochschulen sind – ich weiß, dass das seit Jahren wiederholt wird –: Wir müssen die MINT-Fächer noch weiter stärken; denn MINT ist die Grundlage aller Innovation. Hier bereitet mir eine Entwicklung große Sorge. Nach Ergebnissen einer Untersuchung der Vodafone- Stiftung und dem Allensbach-Institut von letzter Woche haben trotz vielerlei öffentlich geförderter Programme nur 6 Prozent der Schüler Interesse an Computerberufen. Jetzt kommt’s: Bei Schülerinnen sind es noch weniger, nämlich 0,5 Prozent. So wird die Frauenquote weder in der Wissenschaft noch in der Wirtschaft auf absehbare Zeit erfolgreich sein. Wir brauchen aber gerade Frauen in diesen zukunftsträchtigen und zukunftsfähigen Bereichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Es bleibt also einiges zu tun, und das möglichst schnell. Bauen wir auf unsere im internationalen Vergleich sehr gute Infrastruktur, auf die Rechtssicherheit in unserem Land und auf unsere sehr gut ausgebildeten jungen Leute! Gerade in der Verzahnung unserer starken dualen Berufsausbildung mit der Hochschulbildung liegt eine unserer größten Stärken für den Innovationsstandort. Es gibt daher guten Grund, wie wir es ja auch hier regelmäßig tun, die berufliche Bildung hochzuhalten und für die berufliche Bildung zu streiten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich ein Fazit ziehen und dabei abschließend noch einmal die Gesellschaft in den Blick nehmen. Innovationen gedeihen in einer Gesellschaft, die Chancen ergreift, nicht in einer Gesellschaft, die sich in Risikovermeidung ergeht. Nur eine der Zukunft zugewandte Gesellschaft bietet Raum für Innovationen, Raum, der sich durch die Dynamik der Digitalisierung in einem ungeahnten Maße erweitert. Angesichts des demografischen Wandels in diesem Land sehen wir uns da einer doppelten Herausforderung gegenüber. Unseren Wohlstand können wir jedenfalls nur mit Qualität und Hochtechnologie verteidigen. Das müssen wir jeden Tag aufs Neue auch öffentlich sagen. Ich habe es schon gesagt: Heute Morgen im Morgenmagazin war alles, was wir heute im Bundestag diskutieren, Thema – nur nicht die Hightech-Strategie. Auch das ist bezeichnend.

Den Kampf um die billigsten Produkte – den werden wir verlieren. Den Kampf um die besten Produkte – den wollen wir aber gewinnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb ist diese Hightech-Strategie so wichtig. Vor diesem Hintergrund unterstütze ich ausdrücklich die umfangreichen Aktivitäten der Bundesregierung im Rahmen der Hightech-Strategie. 11 Milliarden Euro pro Jahr, das ist ein Wort. Lassen Sie uns gemeinsam weiter hart an der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und der Zukunft unseres Landes arbeiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der Kollege Roland Claus ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4219013
Wahlperiode 18
Sitzung 73
Tagesordnungspunkt Forschungs- und Innovationspolitik
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta