Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Thema Flüchtlingspolitik liegen ein Antrag und eine Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Meine Kollegin Ulla Jelpke wird für die Linke später näher darauf eingehen. Ich möchte mit Blick auf die aktuelle Situation hierzulande etwas grundsätzlicher werden.
Die Amadeu-Antonio-Stiftung und Pro Asyl haben dokumentiert: In den ersten drei Quartalen 2014 wurden bundesweit 29 gewalttätige Übergriffe auf Flüchtlinge, 23 Brandanschläge auf Unterkünfte, 27 Sachbeschädigungen an Unterkünften sowie 194 flüchtlingsfeindliche Kundgebungen und Demonstrationen registriert. Diese erschreckenden Zahlen dürften im vierten Quartal dieses Jahres noch anschwellen. Im statistischen Schnitt findet täglich eine fremdenfeindliche Aktion statt. Die Mobilisierung dazu wird immer unverhohlener. Wir erleben zunehmend Pogromstimmungen wie Anfang der 1990er- Jahre. Darauf müssen wir, muss die Bundespolitik endlich reagieren.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es kursieren Aufrufe gegen Asylsuchende und gegen eine vermeintliche Islamisierung Deutschlands. Es gehe um nicht weniger als die Verteidigung der Zivilisation. Die Hintermänner dieser Hetzkampagnen sind zumeist bekannte Nazis. Sie geben sich als besorgte Bürger, und sie bekommen Zulauf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, es geht wirklich um die Zivilisation, begonnen bei Artikel 1 Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, und zwar die Würde aller Menschen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist eine Selbstverständlichkeit!)
Deshalb muss auch die Würde der Menschen in Not, der Flüchtlinge, endlich einen höheren Stellenwert bekommen als bisher.
Im Land Berlin hat die Linke diese Woche Leitlinien für eine neue Flüchtlingspolitik vorgelegt; sie sind im Internet abrufbar. Ein Autor dieses Konzepts ist der langjährige Integrationsbeauftragte des Berliner Senats, GünterPiening, übrigens Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Ich würde Beifall für das gesamte Konzept und dieses Zusammenwirken vorschlagen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zwei Gedanken ziehen sich durch das Konzept: Erstens. Menschenwürdige Flüchtlingspolitik betrifft alle Ressorts und darf nicht auf die Innen- und Rechtspolitik beschränkt werden. Zweitens. Sie kann nur gelingen, wenn Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik miteinander und eng mit der Zivilgesellschaft kooperieren.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In diesem Sinne muss die Bundespolitik dringend revidiert werden.
Wir sollten aber auch vor Folgendem nicht die Augen verschließen: Es gibt an vielen Brennpunkten längst Willkommensinitiativen, die Willkommenskultur leben und organisieren, auch in meinem Wahlkreis.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: In meinem auch!)
Zugleich mehren sich aber Beispiele, die belegen, dass die Aktiven dieser Initiativen mit Gewalt und Morddrohungen von Nazis überzogen werden. Ich könnte drastische Beispiele aufzählen; ich unterlasse das aus Zeitgründen. Umso dringender ist es allerdings, dass die Polizei solche Bedrohungen endlich ernster nimmt und dass das Willkommensengagement mehr gewürdigt wird.
(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wie es auf gar keinen Fall geht, zeigt ein weiteres Berliner Beispiel. Der Senat hat Areale für Flüchtlingscontainerdörfer festgelegt, ohne vorherige Information der Bürgerinnen und Bürger, ohne Einbeziehung der Flüchtlingsinitiativen, ohne Konsultation der zuständigen Bürgermeister. Eine solche Politik ist selbstherrlich, kurzsichtig und obendrein gefährlich.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich will mit einem nicht minder unglaublichen Beispiel schließen. In Sachsen-Anhalt haben jüngst Zehn- bis Zwölfjährige eine Menschenhatz auf Romafamilien veranstaltet. Kinder noch und schon rassistisch verhetzt! Die Türkische Gemeinde in Deutschland fordert seit langem einen Rassismusgipfel. Auch der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag hat belegt: Rassismus grassiert inmitten unserer Gesellschaft. Wir sollten das endlich ernster nehmen, bevor sich Pogrome wie seinerzeit in Rostock-Lichtenhagen, Mölln oder anderswo wiederholen.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank, Kollegin Petra Pau. – Nächste Rednerin in der Debatte ist Staatsministerin Aydan Özoguz.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4221043 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 73 |
Tagesordnungspunkt | Aufnahme von Flüchtlingen |