Claudia Roth - Aufnahme von Flüchtlingen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich vor etwa einem Jahr in den Bundestag gekommen bin, hat mir eine 3. Klasse aus meinem Wahlkreis einen Brief mit Wünschen und Forderungen zugeschickt, die ich hier zu erledigen habe. Ein Wunsch bezog sich darauf, dass Peer Steinbrück und Angela Merkel sich endlich vertragen sollen.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
Ich bin irgendwann dorthin gefahren und habe mit den Kindern gesprochen und gesagt, dass ich darauf relativ wenig Einfluss habe, dass ich aber das Gefühl habe, dass es zwischen Peer Steinbrück und Angela Merkel gerade relativ gut läuft.
Der erste Wunsch, den die Kinder formuliert haben, war – ich zitiere –, dass die Kinder aus Syrien zu uns dürfen, bis der Krieg aufgehört hat.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Diese Forderung war damals genauso aktuell wie heute. Der Krieg wird bleiben. Er wird nicht heute und nicht morgen zu Ende sein. Niemand weiß, wie viele Menschen noch sterben müssen. Niemand weiß, wie viele noch flüchten werden, um das eigene Leben zu retten.
Aber was können wir tun, um den Menschen in, um und aus Syrien zu helfen? Es sind vor allem zwei Punkte. Zum einen müssen wir Menschen, die aus Syrien zu uns flüchten, aufnehmen, ihnen Schutz und Sicherheit, Nahrung, Bildung und medizinische Versorgung anbieten. Wir haben bereits die Aufnahme von 20 000 Flüchtlingen zugesagt; das wurde schon mehrfach gesagt. Mehr als 60 000 haben Schutz im Rahmen deutscher Asylverfahren erhalten. 15 Bundesländer haben eigene Aufnahmeprogramme zugesagt. Das heißt, wir haben schon viel getan. Gerade das, was Länder und Kommunen in den vergangenen Wochen und Monaten geleistet haben, kann man nicht hoch genug schätzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Fest steht aber auch – hier gebe ich Ihnen recht, Frau Jelpke –, dass wir uns darauf nicht ausruhen dürfen. Deshalb bin ich Thomas Oppermann dafür dankbar, dass er sich am Wochenende dafür ausgesprochen hat, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, und betont hat, wie wichtig es vor allem für Kinder ist, dass sie schnell in die Schule gehen und eine gute Ausbildung bekommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Bei einem Krieg, der so lange dauert und so viele Menschenleben gekostet hat, reicht es nicht aus, einmal zu helfen und dann wegzuschauen. Bei einem Krieg wie dem in Syrien muss es eine konstante Unterstützung geben, für die wir uns gemeinsam starkmachen müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die SPD bekennt sich deshalb zu ihrer humanitären Verantwortung. Wir wollen und wir werden weiter helfen; denn immer dann, wenn Menschen in Not geraten sind, ist das nicht nur unsere politische, sondern vor allem auch unsere menschliche Pflicht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir wissen aber auch – diese Erkenntnis ist ebenso bitter wie wahr –, dass das, was wir angesichts einer Zahl von 2,8 Millionen Kriegsflüchtlingen, die Syrien seit Beginn des Krieges verlassen haben, tun können, niemals genug sein wird. Wir werden nicht jedem Menschen die Unterstützung zukommen lassen können, die er verdient hat. Wir werden nicht überall dort helfen können, wo Hilfe eigentlich nötig wäre. Deshalb ist die Forderung aus dem Antrag richtig: Auch andere europäische Länder müssen sich stärker zu ihrer humanitären Verantwortung bekennen. Es kann nicht sein, dass wir Tausende aufnehmen, während andere nur 200 aufnehmen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir haben uns in Europa zu gemeinsamen Werten bekannt. Werte sind aber nicht dazu da, um in den Mund genommen zu werden, weil sie sich so schön anhören; Werte sind da, um gelebt zu werden. Genau an solchen Fragen, bei denen es darum geht, dass Menschen vertrieben werden und um ihr Leben fürchten müssen, genau an solchen Fragen menschlichen Leids entscheidet sich, ob wir es mit einem Europa der Werte und der Menschlichkeit tatsächlich ernst meinen.
(Beifall bei der SPD)
Denn bei all diesen unvorstellbar großen Zahlen – die Zahl von 2,8 Millionen Flüchtlingen ist für uns alle, glaube ich, nicht wirklich vorstellbar – müssen wir uns immer wieder klarmachen: Hinter jeder Zahl verbirgt sich ein menschliches Schicksal, dessen Ausmaß an Leid und Not kaum zu erfassen ist.
Das Zweite, das wir tun müssen, ist, Solidarität mit den Aufnahmeländern in der Region zu zeigen. Denn wenn diese an Stabilität verlieren, dann werden wir über ganz andere Probleme nicht nur in der Region reden, als wir es heute tun. Der Libanon, Jordanien, die Türkei, der Irak und Ägypten gehören zu diesen Ländern; sie haben mehr als 3 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Deshalb ist es gut, dass wir Ende Oktober die Syrien-Flüchtlingskonferenz veranstaltet haben. Frank-Walter Steinmeier hat zusammen mit Entwicklungsminister Müller für die Zeit bis 2017 500 Millionen Euro zusätzlich für humanitäre Hilfe versprochen. Gestern kam die Meldung – das wurde heute auch schon gesagt –, dass weitere 40 Millionen Euro für diesen Winter zur Verfügung gestellt werden.
(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind nicht zusätzlich!)
Frank-Walter Steinmeier hat auch recht, wenn er sagt, dass wir uns eine verlorene Generation syrischer Kinder und Jugendlicher nicht leisten dürfen;
(Beifall bei der SPD)
denn dort, wo einer ganzen Generation eine Perspektive genommen wird, wird es auch nach dem Krieg nicht möglich sein, politische Stabilität zu erreichen.
Bei allem, was wir uns im Bund vornehmen, ist aber eines klar – das dürfen wir nicht vergessen; es kommt im Antrag an keiner Stelle vor –: Eine gute Flüchtlingspolitik ist nur zusammen mit den Kommunen möglich. Am Ende sind es die Kommunen, die winterfeste und menschenwürdige Unterbringungsmöglichkeiten bereitstellen müssen. Am Ende sind es die Kommunen, in denen sich entscheidet, ob Integrationsgeschichten Erfolgsgeschichten werden.
Dabei müssen wir uns eines eingestehen: Die Menschen, die aus Syrien und dem Irak zu uns kommen, werden nicht heute und nicht morgen in ihre Heimat zurückkehren können; diese Menschen werden bleiben. Die Flüchtlinge von heute sind unsere Nachbarn, Kollegen, Freunde und Mitbürger von morgen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von heute!)
– Von heute auch. – Viele Menschen werden bleiben, und es ist gut, dass sie bleiben, nicht nur, weil wir gut ausgebildete Arbeitskräfte dringend brauchen, um dem demografischen Wandel zu begegnen, sondern auch, weil wir ihnen hier etwas bieten können, was für uns so selbstverständlich ist, was aber bei den Menschen aus Syrien und dem Irak ständig bedroht war: Schutz und Sicherheit und ein funktionierender Rechtsstaat. Ich möchte, dass Flüchtlingsgeschichten Erfolgsgeschichten werden – Erfolgsgeschichten einer Integration, von der, wie ich überzeugt bin, alle profitieren werden.
Die zweite und nicht minder wichtige Bedingung für eine gute Flüchtlingspolitik ist die Akzeptanz und das Verständnis der Menschen in unserem Land. Da erlebe ich an ganz vielen Stellen eine unglaublich stark ausgeprägte Bereitschaft, zu helfen und solidarisch zu sein. Egal ob es um Spenden, um Hausaufgabenbetreuung, um Sprachunterricht oder auch einfach um Zuhören geht: Das, was viele Menschen gerade an vielen Orten in Deutschland ehrenamtlich leisten, verdient Respekt, Anerkennung und vor allem ein ganz großes Dankeschön.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kinder der 3. Klasse in meinem Wahlkreis wissen vielleicht nicht so genau, warum es diesen Krieg in Syrien eigentlich gibt und was Menschen antreibt, anderen Menschen Gewalt anzutun. Sie haben aber sehr wohl verstanden, dass wir denen, die zu uns kommen, um das eigene Leben zu retten, alle Hilfe und Unterstützung zukommen lassen sollten, die wir zu leisten imstande sind.
Deshalb dürfen wir in unserer Unterstützung nicht nachlassen – nicht weil das der Anspruch ist, den andere an uns haben, sondern weil das der Anspruch sein muss, den wir als Menschen an uns selbst haben.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen herzlichen Dank, liebe Christina Kampmann.
Als Gäste möchte ich Vertreter der Berufsfeuerwehr aus Hagen begrüßen, die auch oft Menschen in Not helfen. Herzlich willkommen hier in unserem Haus!
(Beifall)
Nächste Rednerin in der Debatte ist Dr. Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4221159 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 73 |
Tagesordnungspunkt | Aufnahme von Flüchtlingen |