Andrea LindholzCDU/CSU - Aufnahme von Flüchtlingen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Laut den Vereinten Nationen sind weltweit über 50 Millionen Menschen auf der Flucht. Ein Zentrum dieser Katastrophe ist Syrien. Rund 10,8 Millionen Syrer befinden sich auf der Flucht. Es gibt aktuell wenig Hoffnung, dass sich die Situation in absehbarer Zeit bessern wird. Doch auch wenn die Lage hoffnungslos erscheint: Deutschland und seine Partner dürfen diese Katastrophe nicht einfach akzeptieren. Die Bundesregierung tut das auch nicht. Im Gegenteil: Sie trägt auf vielfältige Weise zur Verbesserung der Lage bei. So hilft Deutschland den Opfern des Bürgerkrieges wie kaum ein anderes Land.
In den letzten zwei Jahren hat Deutschland rund 800 Millionen Euro für die Hilfe vor Ort bereitgestellt. Hinzu kommen rund 1,1 Milliarden Euro von der EU. Auch dazu leistet Deutschland als größter Nettozahler einen wesentlichen Beitrag. Für die nächsten drei Jahre hat die Bundesregierung weitere 500 Millionen Euro an bilateraler Hilfe zugesagt – im Rahmen einer Syrien-Konferenz, die von der Bundesregierung ausgerichtet wurde.
Seit Kriegsbeginn wurden 75 000 syrische Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen. Seit drei Jahren gilt für Syrien ein Abschiebestopp. 20 000 besonders Schutzbedürftige werden im Rahmen von drei Sonderprogrammen hierhergeholt. Und die Bundesregierung stellt drei Viertel der humanitären Aufnahmeplätze für Syrien. Gestern hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf verabschiedet, der unter anderem das Programm zur Neuansiedlung von besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen verstetigen soll. Damit wird eine dauerhafte Aufnahmemöglichkeit geschaffen. Pro Jahr gewährt Deutschland über dieses Programm in 300 Härtefällen besonderen Schutz.
Aus gutem Grund wurde die deutsche Flüchtlingspolitik vom UN-Flüchtlingskommissar Guterres und vom EU-Kommissar für Migration und Inneres, Avramopoulos, als vorbildlich für Europa gelobt.
(Beifall bei der CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Noch mehr auf die Schulter klopfen!)
Doch trotz dieses großen Engagements reicht die Hilfe insgesamt angesichts der katastrophalen Lage nicht aus. Laut den Vereinten Nationen sind die kurzfristig nötigen Hilfsmaßnahmen innerhalb Syriens und in den Anrainerstaaten nur knapp zur Hälfte finanziert. Es fehlen insgesamt rund 2,6 Milliarden Euro, um die Flüchtlingsversorgung in der Region bis Ende des Jahres sicherzustellen. Daher, meine sehr geehrten Damen und Herren, müssen wir unsere begrenzten Mittel auch effektiv einsetzen.
Es reicht nicht aus, dass wir über Sonderkontingente immer wieder Menschen zu uns holen. Mit Sonderkontingenten konzentrieren wir die Mittel auf einige Härtefälle. Mit dem Geld für die Antragsbearbeitung, den Transport, die Unterbringung und die Versorgung eines einzelnen Flüchtlings in Deutschland können vor Ort wesentlichmehr Familien unterstützt werden. Verantwortungsvolle Hilfe darf die begrenzten Mittel nicht selektiv verwenden. Es ist daher richtig, dass wir unseren Fokus auf die Hilfe vor Ort richten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD])
Angesichts der dramatischen Lage in Syrien dürfen wir auch nicht die Katastrophen in anderen Teilen der Welt vergessen: In Eritrea, Somalia, Myanmar oder Sri Lanka leiden ebenfalls unzählige Menschen unter Hunger, Not und Krieg.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollten Sie nicht überfordern! Aber Sie haben natürlich recht: Da sieht es auch schlimm aus!)
Die Bundesregierung kann diese Krisen nicht alleine lösen. Deutschland, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ist aber sehr solidarisch. Die Solidarität fängt bei der Bundesregierung an, geht über die Länder bis hin zu den Kommunen und den vielen, vielen Ehrenamtlichen, die sich um die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge kümmern. Es gibt vor Ort großartige Initiativen von Landräten und Bürgermeistern, die in ihren Gemeinden Großartiges leisten, von sich aus Flüchtlingsunterkünfte bereitstellen und für uns alle diese Verantwortung tragen. Diese Hilfsbereitschaft wächst seit Monaten. Der Deutsche Spendenrat erwartet, dass 2014 ein neues Rekordjahr beim privaten Spendenaufkommen in Deutschland wird.
Aber – auch darauf ist Frau Pau vorhin eingegangen – trotz aller Hilfsbereitschaft müssen wir auch die öffentliche Akzeptanz für unser Asylsystem erhalten. Deutschland ist zu einem Einwanderungsland geworden und auf den Ausgleich seiner schwachen Geburtenzahlen durch Migration angewiesen. Es gibt Menschen in Deutschland – das merkt man immer wieder –, die sich mit der Zuwanderung schwertun, die Ängste und Sorgen haben. Es gibt vielleicht auch den einen oder anderen Extremfall, zum Beispiel den, den Frau Pau geschildert hat. Ich kann aus meiner eigenen Kommune, in der wir vor drei Wochen im Gemeinderat beschlossen haben, auf einem Grundstück der Kirche eine Flüchtlingsunterkunft zu errichten, berichten, dass das große Ängste hervorgerufen hat, dass das mit Leserbriefen, Flugblättern und E-Mails an die Gemeinderäte einherging.
Wir müssen diese Ängste ernst nehmen. Wir müssen den Menschen erklären, warum es wichtig ist, dass wir die Menschen in unserem Land aufnehmen. Wir müssen auch erklären, welche Chancen damit verbunden sind. Und das ist nicht allein Aufgabe der Politik, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Nur so wird es uns gelingen, fremdenfeindliche Aktionen und fremdenfeindliche Gedanken aus diesem Land fernzuhalten. Das ist notwendig; denn das gefährdet den sozialen Zusammenhalt in diesem Land.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gabriele Fograscher [SPD])
Daher muss die Einwanderung nach Deutschland klaren Regelungen folgen. Asyl dient weder der Fachkräftegewinnung noch der Entwicklungshilfe. Asyl dient ausschließlich dem Schutz von verfolgten Menschen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!)
Unter den fast 11 Millionen syrischen Flüchtlingen befinden sich über 5 Millionen Kinder. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir uns bei der Flüchtlingshilfe vor Ort massiv engagieren. In Deutschland werden aktuell immer mehr unbegleitete Minderjährige in staatliche Obhut genommen. Eine aussagekräftige Statistik darüber gibt es nicht; denn bundesweit werden nur die Kinder gezählt, die einen Asylantrag gestellt haben. Und das wiederum bedeutet, dass ihr Alter und ihre Identität festgestellt werden können. Für Bayern rechnet der Landesbeauftragte in 2014 mit rund 3 000 Inobhutnahmen von Minderjährigen. Das sind sechsmal so viele Fälle wie im Vorjahr.
Das zentrale Problem ist, dass sich der Großteil der Inobhutnahmen auf bestimmte grenznahe Jugendämter konzentriert; denn nach § 87 SGB VIII ist das Jugendamt zuständig, in dessen Bereich der Minderjährige zuerst aufgefunden worden ist. Eine Verteilung, also ein Zuständigkeitswechsel, kann aktuell erst nach Abschluss des Asylverfahrens erfolgen. Das führt in der Praxis dazu, dass die Jugendämter und die Kommunen an den Hauptflüchtlingsrouten völlig überlastet sind. In Bayern gilt das für Rosenheim, München und Passau. Und die Jugendlichen können aus Platzmangel eben nicht so untergebracht werden, wie dies im Idealfall sein sollte, sondern sie müssen teilweise in Notunterkünften und Sporthallen untergebracht werden.
Allein in München werden bis Jahresende 1 500 Inobhutnahmen erwartet. Die Jugendämter vor Ort leisten Großartiges; aber sie stoßen an ihre Grenzen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, wenn wir – das ist von allen richtig angesprochen worden – eine dem Kindeswohl entsprechende Unterbringung und Versorgung vornehmen wollen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deshalb hat Bayern einen Antrag und einen Gesetzentwurf vorgelegt, über den der Bundesrat am 19. Dezember 2014 abstimmen soll. Ziel ist es, die minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge gemäß dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer gleichmäßig und gerecht aufzuteilen.
Wir brauchen mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung innerhalb Deutschlands und innerhalb Europas. Ich gebe den Kolleginnen, die vor mir gesprochen haben, recht. Es reicht nicht aus, immer nur zu sagen: Deutschland tut viel, Schweden tut viel. – Nachdem ich hier so oft Unterstützung durch Europa angemahnt habe, wünsche ich mir nun, dass es uns in den nächsten zwölf Monaten gemeinsam gelingt, mehr Druck in Europa auszuüben, damit auch die anderen Staaten ihrer Verantwortung gerecht werden; denn Europa – liebe Christina Kampmann, da hast du völlig recht – darf keine Einbahnstraße sein. Das ist eine gesamteuropäische Aufgabe. Ich hoffe, dass es uns gelingt, eine Lösung zu finden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. – Nächster Redner in der Debatte: Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 18 |
Session | 73 |
Agenda Item | Aufnahme von Flüchtlingen |