04.12.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 73 / Tagesordnungspunkt 5

Rüdiger VeitSPD - Aufnahme von Flüchtlingen

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus dem letzten Beitrag und dem von der Kollegin Brantner ist deutlich geworden, warum wir uns heute auch mit der Situation minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge befassen.

Ich persönlich habe zuerst nicht ganz verstanden, warum Sie Ihre umfangreiche Anfrage auch zum Gegenstand der heutigen Debatte gemacht haben. Ich konzediere aber ausdrücklich, dass die von Ihnen gestellten Fragen – 239 an der Zahl, zum Teil auch noch mit Unterfragen – einen sensiblen Komplex beleuchten sollen, und bin gespannt auf die Antworten. Nach den Antworten der Bundesregierung würde ich dann gerne auch über die Konsequenzen diskutieren. Da, liebe Kollegin Lindholz, wäre ich ein kleines bisschen vorsichtiger hinsichtlich der Übernahme des Vorschlages aus Bayern, Jugendliche ohne Weiteres auch nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer zu verteilen; denn das ist unter Beachtung des Kindeswohls im Einzelnen vielleicht nicht immer machbar. Hier muss man sehr sorgfältig und vorsichtig sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Insgesamt kann ich dieser Debatte, soweit es um die Aufnahme syrischer Flüchtlinge geht, eigentlich nur bescheinigen – wenn Sie mir dieses Urteil erlauben –, dass wir uns lediglich in Nuancen unterscheiden. Ein Beispiel dafür ist die Anwendung von Artikel 17 der Dublin-III- Verordnung. Des Weiteren muss man die Überlegung, syrische Flüchtlinge an den Grenzen auch in andere EU-Staaten abzuschieben, sicherlich noch einmal genau beleuchten und gucken, ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter Berücksichtigung familiärer Gesichtspunkte im Einzelfall nicht noch wesentlich großzügiger entscheiden kann; ich würde mir das wünschen.

In der Quintessenz ist eigentlich nur ein wesentlicher Unterschied festzustellen: Sie, Frau Kollegin Warken – so richtig das war, was Sie sonst alles gesagt haben –, haben uns aufgefordert, dem Antrag der Grünen möglichst in der Breite des ganzen Hauses nicht zuzustimmen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wenn ich mir das Elend in der Region, von der wir reden, anschaue – auch und gerade das Elend von Kindern –, dann denke ich spontan – jugendliche Spontanität ist auch in meinem Lebensalter manchmal noch erlaubt –:

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Es gibt in dem Antrag der Grünen kaum einen Punkt, dem man nicht zustimmen kann.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen aber auch sagen: Wir müssen gemeinsam versuchen – mein Appell ist „Gemeinsamkeit“ –, zu einer Position zu kommen, die auch wirklich hilft.

Ich erlaube mir jetzt einmal, aus einem Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu zitieren:

In diesem Bericht geht es mit wirklich erschütternden Schilderungen darüber weiter, wie auch und gerade Kinder und Jugendliche getötet werden, verschleppt werden, missbraucht werden und gefoltert werden und verschwinden. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nichts, was uns alle kaltlassen kann. Deswegen bin ich froh und dankbar, dass die Bundeskanzlerin – das wurde schon zitiert –, der Außenminister – das wurde schon zitiert –, unser Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann – das wurde schon zitiert – und auch Sie, Herr Kauder, übereinstimmend sagen: Da muss man etwas tun.

Jetzt ist die Frage: Was? Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass es auch für Flüchtlinge aus Syrien drei verschiedene Wege gibt, nach Deutschland zu gelangen und hier Schutz zu erhalten: Erstens ist es die Flucht über das Mittelmeer oder auf anderen verschlungenen und nicht selten sehr gefährlichen Pfaden, um hier einen Asylantrag zu stellen; das macht die größte Zahl aus. Zweitens sind das die Landesprogramme: Etwa 10 000 Menschen sind im Rahmen dieser Landesprogramme zu uns gekommen. Drittens sind das die Bundesprogramme. Weil diese drei verschiedenen Pfade zu verschiedenen Zielen, zu unterschiedlichen Rechtsstatus führen, müssen wir uns einmal überlegen, was eigentlich das richtige Instrument ist. Dazu will ich ein paar Gedanken beitragen und auch schildern, wie die Lage ist.

Zunächst einmal zur Asylfrage. Wenn denn sowieso klar ist, dass diejenigen, die den Weg hierher zu uns schaffen, Flüchtlingsschutz bekommen, eine Anerkennung nach § 3 Asylverfahrensgesetz, muss man sich doch die Frage stellen: Warum erwarte ich dann, dass diese Menschen zunächst einmal ihr Leben und das ihrer Familie riskieren, indem sie unter schwierigsten Bedingungen und Umständen versuchen müssen, überhaupt erst einmal zu uns zu kommen?

Gelegentlich wird ja gesagt, das BAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das wir mit zusätzlichen Mitteln und Stellen ausgestattet haben, müsse sich darauf konzentrieren, diejenigen, die aus den drei jetzt für sicher erklärten Westbalkanstaaten kommen, möglichst wieder zurückzuführen. Denen, die dieses fordern, will ich einmal sagen, wie die Lage in der größten Stadt meines Wahlkreises aussieht, wo sich Hessens Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge befindet: Wir haben dort und zum Teil bereits vorab verteilt in Städten und Gemeinden insgesamt über 3 000 Flüchtlinge, rund 1 000 davon allein aus Syrien. Ich bin froh und dankbar – und würde das gerne hier hervorheben –, dass die Außenstelle des Bundesamtes nicht nur dort, sondern generell, bundesweit, dazu übergegangen ist, Flüchtlingsangelegenheiten von denjenigen Menschen, bei denen ziemlich klar ist, dass sie hierbleiben können, prioritär zu bearbeiten. Es macht doch keinen Sinn, den ganzen Aufwand, die ganze seelische Belastung und die ganzen Kosten aufzuwenden für Verfahren, die Monate dauern, wenn von vornherein klar ist: Sie können dableiben. Deswegen bin ich stolz darauf, dass die Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bei der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen – ich habe mir die Zahlen heute noch mal durchgeben lassen – in den letzten 14 Tagen insgesamt für 294 dieser 1 000 Flüchtlinge aus Syrien Anerkennungen ausgesprochen hat und 588 Akten angelegt worden sind.

Man geht übrigens im Rahmen der Verwaltungsvereinfachung dazu über, die entsprechenden Anhörungen auch gestützt auf Fragebögen durchzuführen, damit das alles schneller geht. Das ist begrüßenswert, und ich finde, auch da sind mehr Personal, mehr Manpower, und mehr Sachmittel richtig eingesetzt. Ich danke dem Bundesinnenminister ausdrücklich – Herr Dr. Krings, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihm das ausrichten –, dass durch Erlass des Bundesinnenministeriums vom 7. November, wenn ich richtig informiert bin, ausdrücklich klargestellt worden ist, dass Flüchtlingsangelegenheiten von Syrern vorrangig zu bearbeiten sind.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Daneben haben wir die Landesprogramme mit den bereits erwähnten Problemen bei der Verpflichtungserklärung. Da ist es in der Tat so, dass die Bundesländer unterschiedliche Maßstäbe ansetzen. Das führt zu großer Verwirrung, übrigens auch bei Betroffenen.

Schließlich haben wir das Bundesprogramm – wiederum mit anderen Rechtsfolgen –, bei dem jetzt von dem beschlossenen Kontingent von 20 000 überhaupt erst 10 000 hier sind. Aus dem Kontingent von 20 000 sind im Übrigen 16 000 entsprechende Übernahmeanordnungen oder Übernahmeerlaubnisse erteilt worden. Das heißt, wir haben da keine Eile.

(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum geht das so langsam?)

– Die Frage ist völlig berechtigt. Aber mittlerweile laufen die Verfahren. Es hat am Anfang sehr lange gedauert, bis überhaupt die Abläufe in Ordnung gekommen sind. Jetzt ist es gelegentlich so, dass die Leute technische Schwierigkeiten haben, hierherzukommen. Nur mal ein Beispiel: Wenn etwa jemand, der unmittelbar aus Syrien stammt, ein Einreisevisum für Deutschland bekommen will, dann muss er, weil er das in Syrien nicht erhalten kann, da raus. Wenn er dann die Übernahmeanordnung, die Erlaubnis, hierherzukommen, hat, muss er versuchen, in irgendein Flugzeug zu steigen und dann auch allein hierherzukommen – soweit das nicht anderweitig organisiert ist. Das alles dauert – Tom Koenigs, da bin ich mit dir völlig einer Meinung – unendlich lange. Aber jetzt haben sich die Dinge einigermaßen eingefahren, jetzt geht es auch schneller.

Es gibt übrigens auch Leute – so habe ich gehört –, die eine entsprechende Erlaubnis haben, hierher zu kommen, zum Beispiel auf Betreiben ihrer Verwandten, dann aber letztendlich gar nicht erschienen sind, weil sie sich entschieden haben, in Syrien oder in den Nachbarstaaten zu bleiben.

Kurzum: Das alles sind Hinderungsgründe, die man überwinden kann. Das Verfahren läuft bereits besser. Lassen Sie uns deswegen nicht darüber streiten, wie die Probleme gelagert sind, sondern darüber, wie man noch mehr tun kann. Ich will Ihnen offen sagen: Da am 9. Dezember die Pledging-Konferenz auf europäischer Ebene stattfindet und anschließend, am Donnerstag/Freitag nächster Woche, die Innenministerkonferenz in Köln stattfindet, habe ich die Hoffnung, dass sich da etwas bewegt. Ich will mich da auf gar keine Zahl festlegen.

Ich möchte hier aber angesichts der abgelaufenen Redezeit noch kurz einen Gedanken erwähnen. Wir sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen – das meine ich sehr ernst –, überlegen, wie wir Zureisemöglichkeiten bzw. Aufnahmemöglichkeiten vor allen Dingen für die Verletzlichsten, für die sogenannten vulnerablen Personen, schaffen können. Dabei habe ich vor allen Dingen im Blick Kinder, die zu Waisen geworden sind, die nicht im Familienverband in ihrer Heimat haben aufgenommen werden können, und auch alleinstehende Frauen mit Kindern, die sich ebenfalls in einer schwierigen und noch verzweifelteren Lage befinden als andere.

Ich wäre sehr dankbar, wenn wir gemeinsam – ich betone: gemeinsam – zu dem Ergebnis kommen könnten, dass Deutschland an dieser Stelle ein gutes Beispiel gibt, insbesondere in Anbetracht des jahreszeitlichen Zusammenhangs. Ich wäre dankbar, wenn wir die Gemeinsamkeiten, die in der heutigen Debatte zum Ausdruck gekommen sind, bewahren und nicht einfach einen Antrag ablehnen.

Ich habe noch die Hoffnung, dass wir zu einer gemeinsamen Position kommen können. Ich habe den Wunsch, dass Sie diese Hoffnung nicht zu einer leeren Illusion werden lassen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen herzlichen Dank, Rüdiger Veit. – Nächste Rednerin in der Debatte: Erika Steinbach für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4221222
Wahlperiode 18
Sitzung 73
Tagesordnungspunkt Aufnahme von Flüchtlingen
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta