04.12.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 73 / Tagesordnungspunkt 5

Erika SteinbachCDU/CSU - Aufnahme von Flüchtlingen

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte über die Flüchtlinge aus dem Irak und aus Syrien macht eines deutlich: Es gibt keinen Dissens hinsichtlich des Mitgefühls, das wir den Flüchtlingen entgegenbringen sollten. Über die Fraktionsgrenzen hinweg ist erkennbar, dass alle sehen, dass Hilfe nötig ist, und zwar vor Ort und hier im Lande. Das ist ein erfreulicher Tatbestand.

Warum ist das so? Ich glaube, es gibt eine gute Erklärung dafür, weshalb Deutschland so viele Flüchtlinge und mehr Flüchtlinge als andere in Europa aufnimmt: Es gibt Millionen Menschen in Deutschland, die dieses Schicksal am eigenen Leib erfahren haben und genau wissen, was es bedeutet, Flüchtling bzw. Vertriebener zu sein.

Ich erinnere mich noch daran, wie wir, als ich drei Jahre alt war, in Schleswig-Holstein ein Jahr in einer 4 Quadratmeter großen Kammer zu dritt in einem Bett genächtigt haben. Der Bauer sagte damals zu meiner Mutter: Ihr seid ja schlimmer als die Kakerlaken. So etwas muten wir heute keinem Flüchtling zu. Es gibt zu viele Erfahrungen, die zeigen, was das bei den Menschen hinterlässt. Kein Flüchtling in Deutschland soll so leben.

Vor diesem Hintergrund freue ich mich, dass die Bundesregierung ausreichend Mittel zur Verfügung stellt und auch immer wieder zusätzliche Mittel bereitstellt, um Hilfestellungen zu geben. Weil Deutschland ein Land ist, in dem es viel Mitgefühl für solche Schicksale gibt, ist die Anziehungskraft unseres Landes für Menschen in Not und für Menschen, die eine bessere Zukunft suchen, gewaltig. Zudem ist auch unsere Aufnahmebereitschaft gewaltig.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!)

Nach der neuesten OECD-Studie, nach dem Internationalen Migrationsausblick 2014 ist Deutschland gleich nach Amerika Ziel von Flüchtlingen und Zuwanderern. Wir rechnen allein in diesem Jahr mit 200 000 Asylbewerbern. Wir haben mehr Asylbewerber als das Zuwanderungsland Kanada oder gar Australien.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind ein bisschen näher am Konflikt dran!)

Die Grünen fordern heute aufgrund der anhaltenden islamischen Gewalt, weitere syrische und irakische Flüchtlinge aufzunehmen.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich das richtig gehört? Sie haben gesagt: „islamische Gewalt“?)

Mehrfach wurden seitens der Bundesregierung die Aufnahmekontingente erhöht. Ich erinnere mich: Vor einigen Jahren habe ich mich bei dem damaligen Innenminister Schäuble persönlich dafür eingesetzt, dass wir ein Kontingent für 10 000 irakische Flüchtlinge schaffen. Das war das erste Mal nach langer Zeit, dass das überhaupt wieder gelungen ist. Mehrfach wurden inzwischen Aufnahmekontingente erhöht.

Ich empfehle aber dringend, sich die Situation vor Ort in unseren Städten und Dörfern anzusehen, die Flüchtlinge aufzunehmen haben. Die Kollegin Lindholz hat das treffend geschildert. Wir müssen mit großer Sensibilität vorgehen und werbend mit unseren Mitbürgern sprechen. Die Kapazitäten vor Ort sind zum Teil vollständig ausgelastet oder gar überlastet. Eine Erweiterung kann man nicht von heute auf morgen erreichen. Das kann man nicht von einer Stunde auf die andere schaffen. Das ist auch nicht von einem Tag auf den anderen möglich.

Wir stellen natürlich fest – und wer davor die Augen verschließt, gießt Wasser auf die Mühlen der Rassisten; das dürfen wir nicht wollen –, dass bei unseren Bürgern dann das Verständnis aufhört, wenn abgelehnte Asylbewerber – immerhin 70 Prozent derer, die hierherkommen, erhalten kein Bleiberecht – nicht konsequent zurückgeschickt werden.

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch wenn sie schwanger und krank sind?)

Es ist im Grunde genommen ein Skandal, wenn zum Beispiel das Land Bremen nur ganze 0,7 Prozent derer, die das Land verlassen müssen, weil sie nicht politisch verfolgt sind, abschiebt. Das darf nicht sein; denn es mindert die Akzeptanz unserer Bürger für die wirklich politisch Verfolgten, die wir in unserem Land haben

(Beifall bei der CDU/CSU)

und denen wir das Gefühl geben wollen und müssen, dass wir solidarisch an ihrer Seite stehen.

Frau Kollegin Steinbach, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung von Luise Amtsberg?

Gerne.

Danke schön.

Frau Kollegin Steinbach, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben die Abschiebungsquoten angesprochen. Was sind denn die Gründe dafür, dass nicht abgeschoben wird? Darüber werden Sie sicher Erkenntnisse haben.

Unsere Erkenntnisse sind, dass ein ganz großer Teil der Menschen aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden kann, etwa wegen Schwangerschaft, Traumatisierungen, ungeklärten Status oder deswegen, weil die Entscheidung bei der Bearbeitung des Asylantrags zu restriktiv gefällt wurde und die Situation im Heimatland nicht so ist, dass man jemanden zurückschicken kann. Das sind unsere Erkenntnisse. Was sind Ihre?

Diese Fälle gibt es. Sie sind aber schon aus den 70 Prozent herausgerechnet. Diejenigen, die ein Bleiberecht erhalten, gehören zu den 30 Prozent derjenigen, die das Land nicht verlassen müssen. Mit den 70 Prozent sind diejenigen gemeint, bei denen erkennbar kein Grund vorhanden ist, hier im Lande zu bleiben. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns auf die konzentrieren, die wirklich verfolgt sind, die wirklich der Hilfe bedürfen, und nicht auf die, die aus anderen Gründen kommen. Natürlich sind das zum Teil verständliche Gründe, etwa wenn jemand sagt: Hier finde ich einen Arbeitsplatz, hier könnte ich mein Leben besser leben als woanders. – Das kann ich verstehen. Aber dafür sind unser Asylrecht und unser Bleiberecht nicht gemacht. – Danke für die Frage.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann schaffen Sie legale Wege!)

Durch die Haltung der Länder, die nicht konsequent abschieben, wird die Akzeptanz für die wirklich Verfolgten im Lande gemindert. Diese Akzeptanz – das ist ja geschildert worden – ist ja nicht so, dass wir nicht gegenhalten und nicht Verständnis für die Flüchtlinge wecken müssten.

Es wurde richtigerweise auch gesagt: Die meisten Menschen aus Krisengebieten wollen in der Nähe der Heimat bleiben. Wenn sie schon nicht in ihrer Heimat sein können, dann wollen sie wenigstens in der Nähe, in der Region bleiben, wo sie das Gefühl haben, sie können bald wieder nach Hause zurückkehren. Daher ist es richtig, dass die Bundesregierung mit humanitärer Hilfe – diese wird auch ausgebaut – vor Ort hilft. Vor diesem Hintergrund, glaube ich, tut man den Menschen etwas Gutes, wenn man ihnen die Zuversicht gibt: Ihr habt zu essen, ihr habt zu trinken, ihr habt ein Dach über dem Kopf, sodass ihr den Winter überstehen könnt. Da liegen aber die Probleme. Die größten Probleme liegen nicht bei uns im Lande. Die größten Probleme finden sich vor Ort, dort, wo die Menschen zum Teil jetzt noch unter freiem Himmel nächtigen. Wir müssen dort versuchen, zu helfen, wie auch immer wir helfen können.

Aber eines muss man auch sehen: Wenn ich mir den Globus anschaue und ich mir Deutschland anschaue, ist klar: Alleine können wir das nicht stemmen. Da ist die ganze Europäische Union gefragt, und da sind die anderen Länder der Welt genauso wie wir auch gefragt.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die nehmen alle mehr!)

Erfreulich ist für mich bei dieser Debatte, dass wir diesen Menschen Mitgefühl entgegenbringen und dass wir alle miteinander helfen wollen. Dass wir dabei unterschiedliche Gewichtungen haben, liegt in der Natur der Sache. Aber ich glaube, wir sind insgesamt auf einem guten Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Steinbach. – Letzter Redner in dieser Debatte: Martin Patzelt für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4221223
Wahlperiode 18
Sitzung 73
Tagesordnungspunkt Aufnahme von Flüchtlingen
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