04.12.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 73 / Tagesordnungspunkt 5

Martin PatzeltCDU/CSU - Aufnahme von Flüchtlingen

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Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt nach einer so langen Debatte schwer, noch einmal das zu bekräftigen, was hier schon gesagt wurde. Es bringt auch nichts, hier Zahlen zu referieren.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie können doch Ihre Minuten zurückgeben! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können doch auf Ihre Minuten verzichten!)

– Nein, ich will Ihnen trotzdem etwas mit auf den Weg geben. Warten Sie es doch bitte ab.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Na denn! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Dann ist es die falsche Entscheidung!)

– Das ist Ihre Beurteilung. Warten Sie es ab. – Frau Dr. Brantner, ich würde Ihrem Antrag so gerne zustimmen, wenn ich nicht ein großes Problem hätte: Ich bin kein Gutmensch, sondern ich bin Politiker.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Was ist das denn? – Rüdiger Veit [SPD]: Das schließt sich nicht immer aus! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir sind beides!)

Angesichts der Situation in unserem Land, die meine Kollegin, Frau Steinbach, gerade beschrieben hat, sage ich: Wir als Politiker haben auch eine große Verantwortung dafür,

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Da haben Sie eine große Verantwortung! Wir auch!)

dass es im Land nicht zu einer Polarisierung kommt, wie auf der deutschen Landkarte am Sonntagabend sehr deutlich und meiner Ansicht nach angstmachend zu sehen war. Das, was Sie gesagt haben, Frau Pau, macht auch mir Angst. Aber es sind schon lange nicht mehr allein rassistische und faschistische Kräfte, die auf die Straße gehen, sondern aus der Mitte der Bürger selbst hat sich eine Bewegung entwickelt. Ich erinnere nur daran, was in Dresden unter dem Namen „PEGIDA“ passiert ist. Dort gehen Bürger, die völlig unbescholten sind

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Der Anführer schon mal nicht!)

und nie im Verdacht standen, rassistische und faschistische Tendenzen zu vertreten, auf die Straße und sagen: So geht es nicht mehr weiter.

Ich erinnere an die Wahlerfolge der AfD. Als Politiker haben wir die Verantwortung dafür, in unserem Land den sozialen Frieden zu verwirklichen. Unsere Verantwortung besteht nicht darin, das, was wir persönlich für richtig und gut halten, den Menschen aufzudrängen.

Das, was die deutsche Regierung in den letzten Wochen getan hat, zeigt ein hohes Maß an Engagement und Verantwortlichkeit. Alle Zahlen, die genannt wurden, sind ein nachdrücklicher Beleg dafür, dass wir uns nicht ausgeruht haben, sondern dass wir, weil, wie Frau Merkel es immer ausdrückt, Politik die Kunst des Machbaren und nicht des Wünschenswerten ist, versucht haben, auf diesem Weg voranzugehen. Die gesetzlichen Änderungen sind ein guter und großer Schritt dahin.

Sie selber, Frau Brantner, und auch Staatssekretär Schröder haben festgestellt, dass es noch lange nicht so weit ist, dass wir die bestehenden Gesetze und Ausführungsbestimmungen tatsächlich ausfüllen. Ein guter Teil der Bestimmungen wird von den Kommunen und Ländern noch lange nicht mit Leben erfüllt. Wir wissen, dass es dafür unterschiedliche, insbesondere finanzielle, Gründe gibt. Die Bundesregierung hat das erkannt und will die Kommunen bei der Unterbringung der Flüchtlinge zunächst mit 500 Millionen Euro und 2016 mit weiteren 500 Millionen Euro unterstützen. Dann muss man weitersehen. Es darf nicht aus finanziellen Gründen scheitern.

Es gibt aber auch noch sehr viele andere Erschwernisse, zum Beispiel Bürokratie, mangelnde Empathie und kommunale Mitarbeiter mit einem Amtsverständnis, das sich nicht nach den Bedürfnissen der zu uns gekommenen Menschen, insbesondere der Minderjährigen, richtet, sondern das Dienst nach Vorschrift und nach den Buchstaben des Gesetzes in den Mittelpunkt rückt. Das kenne ich aus meiner kommunalen Erfahrung sehr gut. Für sie sind es nicht in erster Linie Menschen, die vor ihnen stehen, sondern Asylbewerber, denen mit Klischees und Vorurteilen begegnet wird.

Artikel 16 a des Grundgesetzes gilt ungemindert. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Mein Anliegen ist vielmehr, dass dieses Grundgesetz in den Herzen und Köpfen der Menschen in unserem Land verankert ist, dass es Mehrheiten findet und dass die Menschen sagen: Ja, es ist gut, dass wir dieses Grundgesetz haben, und wir wollen es einhalten. – Es darf nicht sein, dass sie sich aufgrund der Ängste, die sie bewegen, und des Eindrucks angesichts steigender Flüchtlingszahlen und einer medialen Diskussion darüber, dass die Regierung das Problem nicht mehr meistern kann, nicht mehr den Menschen zuwenden, sondern in politischen Gleichschritt mit anderen Kräften unserer Gesellschaft verfallen, was wir durchaus befürchten müssen. Das ist meine große Sorge.

Deswegen wiederhole ich, was ich schon im Sommer gesagt habe: Ich persönlich glaube, dass wir unbedingt einen Schulterschluss zwischen Politik und Zivilgesellschaft brauchen. In der Debatte ist deutlich gemacht worden, dass die Menschen in unserem Land vielfach – nicht nur aus den Kirchen heraus, sondern auch aus anderen Initiativen heraus – selber aktiv geworden und mit Sensibilität und dem, was sie vermögen, auf die Flüchtlinge zugegangen sind.

Deshalb ist es für uns in der Politik immer wichtig, zu unterscheiden. Wir können nicht alle Menschen aufnehmen, die eine wirtschaftliche Verbesserung ihres Lebens erwarten. Ich würde sie zwar aufnehmen, aber ich kann es nicht, und unser Land als Ganzes kann es ebenfalls nicht. Deswegen müssen wir umso mehr dafür Sorge tragen – daher kann ich Ihrem Antrag nicht zustimmen –, dass zunächst einmal die Flüchtlinge und die unbegleiteten Minderjährigen die Hilfe bekommen, die sie unbedingt brauchen.

Die jungen Menschen, die hierhergekommen sind, haben zum Teil schwere Jahre hinter sich. Frau Özoguz hat vorhin deutlich gemacht, aus welchen Gründen sie kommen. Sie hat einen Grund nicht genannt, den ich nun nachtragen möchte. Es gibt viele Minderjährige, die geflohen sind, weil sie von ihrer Familie getrennt wurden oder weil ihre Familienangehörigen tot sind. Für diese jungen Menschen haben wir eine besondere Verantwortung. Insofern sind die geltenden gesetzlichen Regelungen, soweit ich sie kenne, erst einmal gut. Gelegentlich muss eine Umverteilung vorgenommen werden, wenn die Kapazitäten vor Ort – die Jugendämter, die Beratungsstellen und die Unterbringungsmöglichkeiten – nicht mehr ausreichen, um tatsächlich zum Kindeswohl beizutragen.

Wenn die jungen Menschen hierherkommen, dann stehen sie an einer Wegkreuzung. Dann ist es sehr entscheidend, wie wir ihnen begegnen, ob wir ihnen mit Beratung, Begleitung, Ermutigung und Bildung begegnen und ihnen eine Perspektive eröffnen oder ob wir sie in einer Massenunterkunft unterbringen und ihnen damit deutlich machen, dass wir sie nur aufbewahren, und das ausgerechnet in so wichtigen Jahren ihres Lebens. Es ist dann kein Wunder, dass sie untertauchen.

Wir müssen unterstellen, dass sich diese jungen Menschen auf ihrer Flucht Kompetenzen erworben haben. Sie haben sich nicht nur durch fremde Länder – oft ausgebeutet, prostituiert sowie auf Baustellen und Plantagen schuftend – bis in das Land ihrer Sehnsucht durchgeschlagen. Sie haben während ihrer Flucht auch ein regelrechtes Überlebenstraining absolviert. Wenn sie dann hierherkommen und mit einer Situation konfrontiert sind, die so gar nicht ihrer Vorstellung vom gelobten Land entspricht, tauchen sie ab.

Die Zahlen aus Berlin und Hamburg sind alarmierend. Wir müssen regelrecht Sorge haben, dass die Polizei kapituliert. Es gibt jugendliche Banden, die sich mit Raub und Diebstahl über Wasser halten. Sie werden oft von anderen Kriminellen aufgrund ihrer Jugend und ihrer nicht vollen Strafmündigkeit ausgenutzt. Ich möchte die Aufmerksamkeit auf die von mir beschriebene Wegkreuzung lenken. Hier müssen wir als Gesellschaft reagieren. Wir müssen die Potenziale, die wir haben, ausschöpfen.

Da die Zeit knapp wird, sage ich nur noch eines – hier geht es um die Mitverantwortung der Bürgergesellschaft –: Wir können Gesetze machen und Geld geben. Ich erinnere daran, dass es sich dabei um das Geld der Steuerzahler und nicht um unser Geld handelt. Die Menschen im Land werden immer fragen: Wofür gibt die Regierung denn unser Geld eigentlich aus? – Auch hier müssen wir Mehrheiten erwerben, und zwar parteiübergreifend.

Entscheidend wird sein, ob die Flüchtlinge und insbesondere die jungen Menschen, die zu uns geflohen sind, das Maß an Verständnis, Ermutigung, Begleitung und Unterstützung erfahren, das sie brauchen. Können eigentlich der Gesetzgeber, eine Behörde oder eine Verwaltung den Menschen die Begleitung geben, die sie brauchen?

Von einem freundlichen Gesicht auf der Straße bis hin zur Aufnahme von Pflegekindern in die eigene Familie, das ist eine breite Spanne. Ich ermuntere Sie und auch mich immer wieder aufs Neue nach dem alten Lied, das wir früher als Kinder oft gesungen haben: „Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt.“ Abgewandelt bedeutet das: Ein jeder tut, was er kann, und steckt den anderen an. – Das ist die größte Glaubwürdigkeit. Ich weiß aus vielen Zuschriften, dass die Menschen im Land schauen, was wir Politiker machen, und sich fragen: Gehen Politiker eigentlich voran, wenn es um Akzeptanz geht, oder stellen Sie nur Forderungen an die Verwaltung?

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Ich erinnere Sie nur daran, dass bald Weihnachten ist. Wenn Jesus Christus damals als Asylbewerber in Ägypten keine Unterstützung gefunden hätte, dann wäre die Weltgeschichte ein bisschen anders verlaufen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4221402
Wahlperiode 18
Sitzung 73
Tagesordnungspunkt Aufnahme von Flüchtlingen
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