Elisabeth ScharfenbergDIE GRÜNEN - Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben für diese Debatte 38 Minuten angesetzt. Damit zeigen Sie uns überdeutlich Ihre Wertschätzung der Pflege. Agenda abarbeiten, Hauptsache, es geht schnell.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)
Wir haben in diesem Haus im November viereinhalb Stunden über assistierten Suizid gesprochen. Das war richtig, und es war wichtig. Aber wir müssen doch auch über das Leben diskutieren, gerade über das menschenwürdige Leben im hohen Alter bei Pflege- oder Hilfebedarf. Diese vorgelagerten Debatten, genau diese Themen, die den Menschen Angst machen, werden hier in aller Kürze abgehandelt.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Da versagt diese Regierung, da versagen Sie, Frau Ministerin, und da versagt auch diese Große Koalition.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Das wurde dann auch mit den Änderungsanträgen zu Ihrem Gesetzentwurf noch einmal ganz deutlich.
Frau Schwesig, liebe SPD, wie konnten Sie nur so einknicken? Sie wollten ein Gesetz für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf machen, für Menschen, die dringend darauf angewiesen sind, und dann erklärt die Vertreterin der Union gestern im Familienausschuss, es seien Verbesserungen für die Wirtschaft erreicht worden. Ich wusste gar nicht, dass wir hier ein Wirtschaftsförderungsgesetz vorgelegt bekommen.
(Widerspruch bei der CDU/CSU)
Liebe Frau Schwesig, liebe SPD, Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Sie sich hier einen schlanken Fuß machen können? Es wurde gestern im Gesundheitsausschuss bereits von der SPD gesagt, dass sich die Union für diese Verschlimmbesserung verantworten muss. Nein, es ist auch Ihre Verantwortung. Das Gesetz kommt aus einem SPD-geführten Haus, es ist Ihr Gesetz. Leider ist Ihr Rechtsanspruch, auf den Sie so stolz sind, jetzt das Papier nicht mehr wert, auf dem er gedruckt ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es gilt erst für Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 25 Mitarbeitern. Das bedeutet, für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 90 Prozent der Betriebe gilt dies nicht.
(Zuruf von der LINKEN: Genau!)
In diesen kleinen Betrieben arbeiten überwiegend Frauen; und was tun all diese Frauen, wenn sie zu diesem Personenkreis gehören, den Sie vorhin endlos aufgezählt haben?
Der Rechtsanspruch gilt auch für viele andere nicht. Er gilt nämlich für all die nicht, die sich um demenzkranke Angehörige kümmern wollen. Demenzkranke, die die sogenannte Pflegestufe 0 haben, haben nämlich keinen Rechtsanspruch. Sie tun in Ihrem Familienpflegegesetz so, als wäre das alles schon in trockenen Tüchern. Das ist es aber nicht. Wir haben dort noch immer eine Ausgrenzung. Demenzkranke werden bei der Einstufung in die Pflegeversicherung eben immer noch nicht berücksichtigt, und ohne Pflegestufe haben diese Familien auch keinen Anspruch auf Familienpflegezeit. Sie lassen damit einen ganz großen Teil von pflegenden Angehörigen einfach in der Luft hängen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Leider wurde beim Pflegestärkungsgesetz, das genau wie das Familienpflegezeitgesetz am 1. Januar 2015 in Kraft treten soll, das zentrale Vorhaben nicht umgesetzt: Es gibt keinen neuen Pflegebegriff. Das ist Pech für die Demenzkranken, und es ist Pech für die Angehörigen.
Frau Ministerin, eine gute Pflege- und Familienpolitik denkt die Dinge zusammen, statt Unterpunkte des Koalitionsvertrages einfach nur abzuhaken. In einer guten Pflege- und Familienpolitik arbeiten die Ressorts und die Koalitionspartner zusammen, statt sich auf Kosten des jeweils anderen zu profilieren. Sie sind eine Große Koalition, aber man gewinnt den Eindruck, die rechte Hand weiß nicht, was die linke tut. Sie demonstrieren das auch hier. Wie ich gesehen habe, ist das Gesundheitsministerium nicht einmal vertreten. Da passt nichts zusammen. Wir brauchen eine Pflege- und eine Familienpolitik, die die Ängste und Bedürfnisse der Menschen ernst nimmt, statt sie zusätzlich auch noch zu belasten, und genau das tun Sie.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Was ist denn Ihr Darlehen für Pflegende? Es ist eine Belastung. Es gleicht den Einkommensverlust durch Pflege nur teilweise aus und muss fristgerecht zurückgezahlt werden. Das ist eine Belastung für die Pflegenden, die gar nicht genau wissen, was die Zukunft bringen wird, wie lange sie pflegen werden und wie sich ihr gesamtes Leben überhaupt weiter gestalten wird. Nur eines wissen Sie genau: dass auch nach der Pflege das Einkommen weiterhin geringer sein wird.
Würden Sie es mit Ihrem Engagement für die Pflege, für die Pflegenden und auch für die Pflegebedürftigen ernst meinen, dann würden Sie sich wirklich Zeit für Ihre Reformen nehmen. Sie würden die Menschen wirklich in den Mittelpunkt stellen, statt blinden Aktionismus zu demonstrieren. Sie würden Ihre Reformen als Teile des großen Ganzen sehen und entsprechend aufeinander abstimmen. Dies geschieht hier leider nicht.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank. – Vielleicht noch einmal zu einem Punkt, damit keine Missverständnisse entstehen und plötzlich die Regierung glaubt, sie hätte mehr Kompetenzen, als sie hat. Die Festsetzung der Redezeiten ist allein Aufgabe des Parlamentes und erfolgt immer einvernehmlich zwischen allen Fraktionen einschließlich der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Zu Beginn eines jeden neuen Tagesordnungspunktes wird gefragt, ob jemand Einwände gegen diese einvernehmliche Festsetzung hat.
Nächste Rednerin ist jetzt die Kollegin Dr. Carola Reimann, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4222035 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 73 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf |