04.12.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 73 / Tagesordnungspunkt 13

Rüdiger VeitSPD - Rechtsstellung asylsuchender Ausländer

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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will jetzt, Frau Lindholz, nicht vom Bleiberecht reden. Nur so viel sei gesagt: Ich bin froh – das ist für mich das entscheidende Wort in dieser Legislaturperiode –, dass an einer Stelle, was die Lebensunterhaltsicherung angeht, aus einem „und“ wieder ein „oder“ geworden ist, so wie wir es auch vereinbart haben. Darüber werden wir noch einmal reden, wenn das Gesetz dann letztlich hier zur Beratung vorliegen wird.

Ein Hinweis vielleicht noch aus der Praxis – ich habe ja einmal auf der anderen Seite, sozusagen in der Exekutive, sitzen dürfen –: Die Frage, welche Abschiebungen all derjenigen letztendlich vollzogen werden, die hätten vollzogen werden können, ist eine Frage, die uns nicht erst im Jahr 2014 begegnet, sondern die ist, soweit ich den Sachverhalt überblicke, mindestens so alt wie das Gesetz, weil die verschiedensten Hinderungsgründe – manchmal sind es auch Mitmenschlichkeit, Mitleid, und manchmal ist es auch bürgerschaftliches Engagement – dazu führen, dass viele Abschiebungen nicht vollzogen werden.

Aber jetzt zu diesen Gesetzen. Wir haben als Sozialdemokraten – ich gebe übrigens unumwunden zu, dass das nicht immer ganz so einfach war, und manchmal hat es auch eine Weile gedauert – im Ergebnis dann doch unstreitig in unseren Reihen gesagt: Die Residenzpflicht in der uns bekannten Form muss weg, und das Sachleistungsprinzip und der Zwang zur Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften müssen es auch. Wir haben das im Beschluss des Parteivorstandes vom Montag letzter Woche noch einmal bekräftigt. Ich bin froh, dass das hier und heute, wenn allerdings vielleicht auch nicht so stark beachtet, wie man es diesem Thema eigentlich hätte zubilligen wollen, von uns auch vollzogen wird.

Ich bin froh darüber, liebe Ulla Jelpke, dass es gelungen ist, im Bundesrat, aus Anlass einer allerdings schwierigen, von mir auch nicht befürworteten Gesetzgebung, zu einer solchen Vereinbarung zu kommen, wie sie der Ministerpräsident von Baden-Württemberg schlussendlich erzielt hat. Denn uns war es in den Koalitionsverhandlungen trotz intensiven Bemühens eben nicht ganz gelungen, bei der Residenzpflicht noch weiter zu kommen und das Sachleistungsprinzip anzufassen. Insofern haben wir uns da nach dem Motto „getrennt marschieren, vereint schlagen“ ein bisschen auf der gleichen Linie bewegt wie der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Den Grünen sei zum Trost gesagt: Nach meinem Dafürhalten ist das, was er an dieser Stelle im Sinne der Flüchtlinge herausgehandelt hat, eine beachtliche Leistung, und ich glaube, jenseits der Schmerzgrenze auf der anderen Seite, bei der Union, ist auch wirklich nicht mehr zu erreichen gewesen.

Nun kommen wir zu den einzelnen Maßnahmen. Wegfall des Vorrangprinzips ist bereits in der Beschäftigungsverordnung vor etwa 14 Tagen, wenn ich mich richtig erinnere, umgesetzt worden. Wegfall der Residenzpflicht, jedenfalls nach drei Monaten, und des Sachleistungsprinzips machen wir heute. Das ist deswegen ganz bedeutsam für die betroffenen Menschen, weil ich nicht selten den Eindruck hatte, dass viele durch die problematischen Unterbringungsbedingungen und durch den Sachleistungsbezug genauso wie durch die Beschränkungen, die ihnen die Residenzpflicht auferlegt hat, in einer Weise – Sie entschuldigen bitte die Wortwahl – nicht nur gegängelt, sondern vielleicht auch schikaniert worden sind, wie das unserem Menschenbild und unserer Position von menschenwürdiger Flüchtlingspolitik jedenfalls nicht immer entsprochen hat. Dass das jetzt wegkommt, ist gut. Darüber freue ich mich. Darüber sollten wir uns vielleicht auch alle freuen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dann zu dem, was die einzelnen Regelungen angeht: Ich persönlich – das sage ich jetzt an die Adresse von Ulla Jelpke – bin durchaus der Auffassung, dass eine Zeit „bis zu“ drei Monaten in Erstaufnahmeeinrichtungen und die Versorgung mit Sachleistungen dort auch unter humanen Gesichtspunkten der vielleicht bessere Weg ist, als die betroffenen Flüchtlinge, die vielleicht aus einem völlig anderen Kulturkreis kommen und sich bei uns überhaupt nicht allein orientieren könnten, so ohne Weiteres in die Fläche eines großen Landes zu schicken, wo sie keinerlei Kontakt haben, keinerlei Unterweisung, keinerlei Anleitung, wie man sich hier bei uns zurechtfinden kann. Ich persönlich jedenfalls halte diese Zeit für vernünftig, für richtig, auch und gerade im Interesse der Flüchtlinge, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn jetzt kritisiert wird, wir hätten an einer Stelle da noch einmal eine Verschärfung angebracht, will ich zum allgemeinen Trost auch Folgendes sagen dürfen: In dem Bundesratsbeschluss – das kann man nicht sagen –, in der Vereinbarung steht, dass derjenige sozusagen wieder in die Residenzpflicht zurückfällt, von dem bekannt geworden sei, er habe etwas mit Betäubungsmitteln zu tun gehabt. Das ist ja nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine noch schwächere Kategorisierung als etwa ein Anfangsverdacht, der zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens führt. Von daher gesehen war die Formulierung im ursprünglichen Gesetzentwurf mit dem „hinreichenden Tatverdacht“, der nach der Definition der Strafprozessordnung voraussetzt, mit mindestens 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit ist nach Anklageerhebung eine Verurteilung zu erwarten, sozusagen fast das andere Extrem. Wir haben nun einen Mittelweg gefunden, von dem ich glaube, dass er im Ergebnis ganz vernünftig ist.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: „Auf Verdacht“! Unglaublich!)

Nicht einfach nur einmal so, irgendetwas Vages, vom Hörensagen her oder wie auch immer – sondern wir setzen schon ein bisschen mehr voraus. Das halte ich im Ergebnis für richtig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU])

Ich will noch ein Wort des Trostes an die vielleicht immer noch verzweifelten Anhänger der Residenzpflicht und des Sachleistungsprinzips richten. Ich erinnere mich an ein Parlamentsseminar mit Mitarbeitern von Ausländerbehörden aus der ganzen Bundesrepublik. Diese haben uns gesagt – übrigens zu meiner Überraschung, das hatte niemand bestellt –: Wenn wir als Gesetzgeber in Berlin etwas Vernünftiges tun wollten, dann sollten wir doch bitte die Residenzpflicht abschaffen, die mache ihnen nämlich nur Arbeit und bringe weder für sie noch für die Sache noch für die Flüchtlinge irgendeinen vernünftigen Vorteil. Ich bin froh, dass das heute passiert. Wir sollten uns von Praktikern aus allen Teilen unseres Staates leiten lassen und festhalten: Jetzt haben wir umgesetzt, was die in der Praxis schon immer als unnötig und lästig empfunden haben.

Was das Sachleistungsprinzip angeht: In der Gesetzesbegründung heißt es jetzt, für die Kommunen entstehe kein höherer Aufwand, weil die Kosten nicht höher werden. Ich will Ihnen von einer persönlichen Erfahrung berichten, die jetzt schon 28 Jahre zurückliegt; ich hoffe, ich muss davon hier zum letzten Mal berichten, weil es dann nicht mehr relevant sein wird. Als ich damals die letzte große Erstaufnahme-Gemeinschaftsunterkunft bei uns im Landkreis zugunsten von wohnähnlicher Unterbringung bzw. Unterbringung in Wohnungen zugemacht habe, haben wir als Landkreis gespart. Als das Land Hessen seine Kostenerstattung auf Pauschalen umstellte, hatten wir in unserer Kreiskasse – ich weiß das noch ganz genau – über 900 000 D-Mark. Aber wir hatten natürlich nicht lange etwas davon. Wir sollten nämlich nichts verdienen; das hat der damalige Ministerpräsident Eichel auch erkannt.

Lassen Sie mich zum guten Schluss auf die kommunalen Finanzen zu sprechen kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind heute in der, wie ich finde, glücklichen Lage, dass die Flüchtlinge, die bei uns Schutz suchen, in der Bevölkerung auf große Akzeptanz stoßen. Vor 22 Jahren, Anfang der 90er-Jahre, war das eher umgekehrt. Damals aber hatten wir vonseiten des Staates – und das war nicht nur in Hessen so – wenigstens das Geld, um diese Aufgabe vor Ort vernünftig regeln zu können. Ich halte es für außerordentlich problematisch – deswegen haben wir jetzt mit der Bereitstellung von zusätzlich 500 Millionen Euro die ersten richtigen Schritte getan –

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

– jawohl –, wenn heute Städte, Gemeinden und Landkreise auf den Kosten für die Unterbringung und für die Versorgung von Flüchtlingen sitzen bleiben.

(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: In Bayern nicht!)

Das darf nicht sein. Daran sollten wir arbeiten, und zwar auf allen staatlichen Ebenen zugunsten der kommunalen Seite. Es wäre schön, wenn wir so in der Frage einer vernünftigen und akzeptablen Flüchtlingspolitik ein weiteres Stück vorankommen würden.

Ihnen vielen Dank für die Geduld und der Frau Präsidentin auch.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin Luise Amtsberg das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4222914
Wahlperiode 18
Sitzung 73
Tagesordnungspunkt Rechtsstellung asylsuchender Ausländer
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