Claudia Roth - Bundeswehreinsatz in Afghanistan (RSM)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, Herr Generalinspekteur, möchte ich an dieser Stelle noch einmal derjenigen gedenken, die in diesem Einsatz ums Leben gekommen sind. 55 deutsche Soldaten sind gestorben. Ich finde, dass man in einer solchen Debatte – zum Ende des ISAF-Mandats – als Parlament sagen muss, dass diese Soldaten erstens nicht umsonst gestorben sind und dass sie zweitens den Respekt von uns allen bekommen und ihre Angehörigen immer in unseren Herzen sind, wenn wir auch zukünftig über Afghanistan reden werden.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich bitte Sie, Herr Generalinspekteur, das würdevolle Andenken, das die Bundeswehr praktiziert, an die Soldatinnen und Soldaten weiterzutragen. Ich glaube schon, dass mit dem Afghanistan-Einsatz unser Land gewachsen ist und es ein Stück weit erwachsener geworden ist. In dem Sinne haben wir – das haben wir auf der Münchener Sicherheitskonferenz zum Stichwort „mehr Verantwortung und neue Verantwortung“ gehört – eigentlich schon in den vergangenen zehn Jahren ein Kapitel vorgestellt, aus dem wir Lehren gezogen haben. Wir haben aus dem Vergleich des Afghanistan-Einsatzes mit dem Irak-Einsatz der Amerikaner gelernt: Es macht Sinn, das Anschlussmandat Resolute Support zu beraten und zu beschließen. Wir wissen heute, dass es ein Fehler der westlichen Gemeinschaft war, die im Irak eingegriffen hat – Deutschland war nicht direkt beteiligt –, Hals über Kopf aus dem Land abzuziehen. Die Ergebnisse im Hinblick auf IS sehen wir heute.
Man kann heute über die Entstehungsgeschichte des Irakkrieges sicherlich unterschiedlicher Meinung sein. Das ist gar keine Frage. Aber der kopflose Abzug war ein Fehler. Diesen Fehler dürfen wir in Afghanistan nicht begehen.
(Beifall des Abg. Charles M. Huber [CDU/CSU])
Natürlich muss man auch kritisch darüber diskutieren – das haben wir auch getan; unsere Fraktion hat gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD den Fortschrittsbericht auf den Weg gebracht –, was die Lehren aus Afghanistan sind, was wir in Zukunft besser machen müssen und was wir gänzlich falsch gemacht haben. Wenn man sich anschaut, wie dieses Mandat entstanden ist, dann stellt man fest, dass es verschiedene Gründe gab, weshalb man nach Afghanistan gegangen ist. Der erste Grund war – der Minister hat es schon angesprochen –, die Fähigkeiten von Terroristen, aus dem Land als Operationsbasis zu arbeiten, einzudämmen und Afghanistan aus unserem ureigenen Sicherheitsinteresse sicherer zu machen. Das ist gelungen. Dieses Ziel haben wir erreicht. Das war aber auch der kleinste Anspruch an das Thema Afghanistan.
Der zweite Grund war sicherlich die Festnahme oder Beseitigung – wie man es auch immer definieren will – von Osama Bin Laden. An dieser Stelle kann man natürlich schon kritisch fragen: Wo ist man Osama Bin Laden letztendlich begegnet? – Nicht in Afghanistan, sondern in Pakistan. Dieses Land wird uns in der Zukunft sicherlich mehr Probleme bringen, als wir hier am heutigen Tag diskutieren können. Der eigentliche Schlüssel zur regionalen Sicherheit liegt in Pakistan. Exemplarisch kann man es damit belegen, dass sich Osama Bin Laden dort vor seiner Tötung jahrelang an einem Ort versteckt halten konnte.
Eine Sache, die ich ansprechen muss – da will ich hier wirklich niemanden kritisieren, auch keinen, der damals Verantwortung getragen hatte, insbesondere nicht die damals die Regierung tragenden Fraktionen der Grünen und der SPD –: Bei der Petersberger Konferenz in Bonn hat man sich sehr hohe Ziele gesteckt. Ich sage nicht, dass die Ziele falsch waren; denn es waren gute Ziele. Aber ich glaube, die Ziele waren – auch das gehört zu den Lehren aus dem Afghanistan-Einsatz – an der einen oder anderen Stelle zu hoch gesteckt; wir haben sie an vielen Stellen verfehlt.
Das, was Frau Buchholz hier gerade sehr plakativ und propagandistisch vorgetragen hat, ist an manchen Stellen nicht falsch. Natürlich arbeitet man dort mit Leuten zusammen, die zwar ganz anders legitimiert sind als früher die Taliban und die Warlords, deren Herkunft aber dennoch oft problematisch ist. Man kann aber nur mit denjenigen kooperieren, die es dort gibt. Damit rede ich das nicht schön. Vielmehr sage ich ganz kritisch: Natürlich wissen wir, dass sowohl die Verwandtschaft des früheren Präsidenten Karzai als auch ganz viele Minister und hohe Würdenträger dort extrem problematisch sind. Nur fehlte mir, ehrlich gesagt, bei Ihrer Präsentation, Frau Buchholz, schon die Alternative zu dem, was wir machen. Man kann natürlich hier sagen: Wir verschließen die Augen und machen in Afghanistan gar nichts mehr. – Ich glaube aber, dass die Erfolge des Einsatzes es rechtfertigen, dass wir so gehandelt haben, wie wir gehandelt haben.
Ich habe gerade zu Ihnen gesagt: 55 deutsche Soldaten sind im Einsatz gefallen. Hätte man sich zum Ziel gesetzt, die Beschlüsse von Petersberg wirklich bis zur letzten Konsequenz mit militärischer Gewalt durchzusetzen, dann wäre es nicht bei diesen 55 Toten geblieben; es wäre eine weitaus höhere Zahl. Ich glaube nicht, dass dieses Parlament dazu bereit gewesen wäre, das zu akzeptieren. Ich glaube auch nicht, dass die deutsche Gesellschaft dazu bereit gewesen wäre.
Ein weiterer Grund ist die Bekämpfung des Drogenschmuggels und des Drogenanbaus. Man hätte das zum Kern des Mandats machen können und sagen können: Wir wollen die Aufgabe in den Mittelpunkt rücken, dieses militärisch zu unterbinden. – Auch da haben wir eine Konzession gemacht; wir haben diese Aufgabe nicht in den Fokus gerückt, sondern uns auf andere Schwerpunkte konzentriert. Die Alternative wären viel mehr Tote gewesen. Auch da wären uns das Parlament und die Bevölkerung, wie ich glaube, nicht mehr gefolgt.
In der schwierigen Situation, in der man abwägen muss, mit wem man zusammenarbeiten soll, welche Ziele realistisch sind und welche man anpassen muss, haben wir den richtigen Weg gefunden. Wir haben uns mit dem Fortlauf des Mandats von der Konzeption verabschiedet, die auf dem Petersberg gefunden worden ist, und haben unter Franz Josef Jung massiv darauf hingewirkt, den Comprehensive Approach im Bündnis voranzubringen. Nächste Woche diskutieren wir, Kollege Frei, Kollege Schockenhoff, Frau Bulmahn, über das Thema zivile Krisenprävention. Ich würde sogar sagen, wir müssen die Debatte über den Comprehensive Approach und über mehr Verantwortung um das Thema „zivile Krisenprävention“ erweitern, gerade jetzt an dieser Stelle ansetzen und fragen: Was ist jetzt bei Resolute Support für uns wichtig? Was können wir im Bereich der zivilen Krisenprävention tun? Es ist hier keine philosophische Debatte, bei der es um die Frage geht: Wie lange soll so ein Einsatz dauern? Meine Antwort darauf ist ganz klar: so kurz wie möglich. Dabei muss man so verantwortungsbewusst wie möglich handeln.
Der Einsatz wird natürlich nicht ewig dauern. Deshalb ist es aller Mühen wert, unsere entwicklungspolitischen Maßnahmen so auf den Weg zu bringen und zu verstärken, dass sie nachhaltig überprüfbar und gut sind. Wir haben in dieser Woche eine sehr kritische Diskussion mit unserem Minister Gerd Müller geführt, der die Defizite ganz offen anspricht. Es gibt hier keine Schönfärberei: Wenn man im Ministerium Gespräche führt, bekommt man an allen Ecken zu hören, was in Afghanistan gut läuft, was schlecht läuft und wo wir besser werden müssen. Darüber zu diskutieren, gehört zur Entscheidung über die Fortsetzung dieser Mission dazu.
Ich sage aber auch ganz deutlich: Es geht an dieser Stelle leider nicht ohne militärische Maßnahmen. Ich würde mir wünschen, dass wir diesen Militäreinsatz hier heute beenden könnten, aber es geht leider nicht. Ich sage Ihnen gleichzeitig, dass dies eine der wichtigsten Lehren aus dem Irakkrieg ist – damit hatte ich angefangen –: Jedes kopflose Abziehen aus Militärmissionen oder jede Fehlplanung, wie in Libyen, führt dazu, dass die Situation chaotischer wird und nicht übersichtlicher.
In Afghanistan haben wir es bislang geschafft, geordnetere Verhältnisse zu schaffen. Wir haben bei weitem nicht die Ziele erreicht, die wir uns gesetzt haben; aber jetzt ist die Situation – für die Frauen, für die jungen Menschen in dem Land, beim Zugang zu medizinischer Versorgung, bei der Infrastruktur – viel besser, als sie 2001 war. Damit das so bleibt, sind diese militärischen Absicherungsmaßnahmen notwendig. Wir wollen unsere Freunde in Afghanistan unterstützen, damit sie ihre Sicherheit selber gewährleisten können. Deshalb werbe ich für diesen Einsatz.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank, Philipp Mißfelder. – Nächster Redner in der Debatte: Omid Nouripour vom Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 74 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz in Afghanistan (RSM) |