05.12.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 74 / Tagesordnungspunkt 27

Thorsten FreiCDU/CSU - Bundeswehreinsatz in Afghanistan (RSM)

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Hintergrund der Regierungsbildung, vor dem Hintergrund des Endes von ISAF und des Starts von Resolute Support sowie im Rahmen der Transformationsdekade hatte ich in diesem Herbst zweimal die Gelegenheit, Afghanistan zu besuchen. Dabei habe ich unter anderem die Gelegenheit gehabt, ein Gespräch mit einer afghanischen Abgeordneten, Frau Barakzai, zu führen, die eine mutige Frau ist; sie hat zur Zeit der Taliban- Herrschaft heimlich eine Mädchenschule geführt und kämpft als Abgeordnete und Frauenrechtlerin in Afghanistan für die Rechte der Frauen und den Aufbau einer Zivilgesellschaft.

Wir haben unter anderem darüber gesprochen, wie man in der afghanischen Verfassung, in dieser sehr stark auf den Präsidenten zugeschnittenen Verfassung, mehr parlamentarische Elemente implementieren kann. Wir haben darüber gesprochen, wie sehr insbesondere die junge afghanische Bevölkerung das Wort „Demokratie“ nicht als eine hohle Phrase empfindet, sondern ganz im Gegenteil als eine Riesenchance für ihr Leben. Das hat man nicht zuletzt daran gesehen, dass über 7 Millionen Afghaninnen und Afghanen an der Präsidentschaftswahl teilgenommen haben, obwohl dies mit unmittelbaren Gefahren für Leib und Leben für sie verbunden war.

Dieses Gespräch mit Frau Barakzai – die mir auch gesagt hat, dass sie selbst dann ihre Stimme abgegeben hätte, wenn die Taliban ihr den Kopf abgeschnitten hätten – ist mir vor allen Dingen auch deshalb so in Erinnerung geblieben, weil wenig später, am 16. November, ein Anschlag auf sie verübt wurde, dem sie zwar verletzt entkommen ist, aber drei Begleiter kamen ums Leben, und 20 Passanten wurden schwer verletzt.

Diese Geschichte zeigt aus meiner Sicht exemplarisch zwei Grundwahrheiten in Afghanistan:Zum einen – darauf sind die Vorredner umfassend eingegangen – ist in den 13 Jahren des ISAF-Einsatzes unheimlich viel erreicht worden. An vielen Beispielen kann man sehen, dass die Verbesserung der Gesundheitsversorgung und das, was im Bereich der Infrastrukturentwicklung und in anderen Bereichen passiert ist, letztlich die Grundlage für eine weitere gute Entwicklung des Landes für die Zukunft bedeuten.

Zum anderen aber ist neben den nackten Zahlen, die auch eine Vervielfachung des Bruttoinlandsprodukts zeigen, deren Auswirkungen bei den Menschen unmittelbar ankommen, eine Änderung im Denken und im Bewusstsein der Menschen zu erkennen; die Tatsache, dass man förmlich spürt, dass die Menschen sich nicht einschüchtern lassen wollen, dass sie die Taliban nicht mehr wollen, dass sie die Errungenschaften der Vergangenheit nicht aufgeben wollen, sondern im Gegenteil dieses Land tatkräftig mitgestalten und mitentwickeln möchten.

Ich bin davon überzeugt, dass wir in Afghanistan tragfähige staatliche Strukturen brauchen, um die Korruption einzudämmen, damit letztlich der Staat sein Gewaltmonopol durchsetzen kann, und zwar nicht nur in Kabul, nicht nur in den Provinzhauptstädten, sondern eben auch in der Peripherie des Landes, um die Grundbedürfnisse der Menschen erfüllen zu können.

Damit kommen wir zu dem größten Defizit, das derzeit besteht, nämlich die mangelnde Sicherheit. Dieser Anschlag auf Frau Barakzai, von dem ich gesprochen habe, ist mitten in Kabul passiert, also der Hauptstadt, die wir eigentlich für sicher gehalten haben. Deshalb ist in diesem Bereich noch vieles zu tun. Wir schaffen es nur mit stärkeren staatlichen Strukturen in Afghanistan. Dazu müssen wir unseren Beitrag leisten.

Wenn man das zugrunde legt, wenn man auf stärkere staatliche Strukturen setzt, mit denen dafür gesorgt wird, die Grundbedürfnisse der Menschen zu erfüllen, dann wird das dabei helfen, dass sich die Taliban in der Bevölkerung nicht erneut verwurzeln und konsolidieren können. Das wird auch dazu führen, dass die Zivilgesellschaft gestärkt und eine wirtschaftliche Entwicklung im Land entfesselt werden kann. Vor diesem Hintergrund und angesichts dieser Zielsetzung ist das, was jetzt mit Resolute Support erreicht werden soll, folgerichtig.

Lieber Herr Ströbele, ich möchte an dieser Stelle sagen: Ich hatte nicht den Eindruck, dass dies ein Schlagabtausch mit vorgefertigten Argumenten ist. Ganz im Gegenteil: Von Ihnen habe ich kein vernünftiges Argument gehört. Ich will es anders formulieren: Sie haben zwar berechtigte Bedenken angeführt; das ist richtig. Manchem Argument, das Sie genannt haben, kann man sogar folgen und sagen: Ja, das stimmt. Damit sind Gefahren verbunden. – Aber worauf Sie mit keiner Silbe eingegangen sind, ist die Frage der Alternativen. Was haben Sie denn für Alternativen, um zu einer positiven Entwicklung dieses Landes beizutragen? Das können Sie mir gerne im Anschluss an diese Rede sagen. Ich werde Ihnen gespannt zuhören.

Es geht letztlich darum, dass wir den Übergang schaffen, und nicht darum – das hat das Beispiel Irak gezeigt –, kopflos das Land zu verlassen, es im Stich zu lassen, wie Ihr Fraktionskollege Nouripour gesagt hat, sondern zu helfen. Wir müssen das, wofür wir 2001 im Land Verantwortung übernommen haben, weiterführen und zu einem guten und verantwortungsvollen Ende bringen. Dafür übernehmen wir in der Speiche Nord Masar-i-Scharif unmittelbare Führungsverantwortung – auch das ist eine Antwort auf Ihre Frage – und statten dieses Mandat mit 850 Mann Personalobergrenze aus. Ich hoffe wirklich, dass das reicht. Ich persönlich hätte mir durchaus vorstellen können, dass wir etwas mehr Spielräume für die militärische Führung vor Ort schaffen, weil es natürlich auch darum geht, Sicherheit für unsere Soldatinnen und Soldaten zu erreichen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass dieser Einsatz noch länger dauern wird. Der zivile Einsatz wird in jedem Fall noch sehr lange dauern. Aber ich glaube, dass es völlig falsch und blauäugig wäre, heute hinsichtlich der militärischen Unterstützung von festen Abzugsterminen zu sprechen, sondern dass es letztlich so sein muss, wie es der Kollege Mißfelder gesagt hat: Wir brauchen die Präsenz so kurz wie möglich, aber eben auch so lange wie notwendig, damit wir die Erfolge der Vergangenheit tatsächlich für die Zukunft sichern können.

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung von Christian Ströbele?

Ja, bitte.

Danke, Herr Kollege Frei. – Ich hätte das auch am Ende Ihrer Rede sagen können. Aber jetzt passt es besser. Dann können Sie noch etwas dazu sagen.

Natürlich suche auch ich einen Ausweg. Aber dieser Ausweg kann nach 13 Jahren Krieg nicht mehr Krieg sein

(Beifall bei der LINKEN)

und den Krieg genauso fortzusetzen, nur mit weniger Truppen. Das muss man doch irgendwann lernen. Einen Siegfrieden gibt es dort nicht,

(Beifall bei der LINKEN)

selbst wenn Sie noch 20 Jahre Militär dorthin schicken. Es gibt eine einzige Lösung, für die ich mich seit Jahren einsetze – sie wäre real und auch chancenreich –: Man muss mit den gezielten Hinrichtungen und den Kommandounternehmen aufhören. Man muss mit denjenigen, die man bislang tötet, verhandeln. Es gibt einen Frieden nur durch Verhandlungen. Das sagen Ihnen alle Experten vor Ort. Auch mit den Taliban muss gesprochen werden.

Als ich vor zwei, drei Jahren in Afghanistan war, haben mir Leute aus dem Parlament, die von den Taliban verfolgt wurden, oder Angehörige von Gruppen, die mit den Taliban überhaupt nichts zu tun hatten, gesagt: Wir müssen gemäßigte Taliban in die Regierung aufnehmen. – Aber darüber hat man nicht verhandelt. Die Bundesregierung hat im Norden Afghanistans nach anfänglichen Verhandlungsmöglichkeiten und Verhandlungsansätzen das völlig den Amerikanern überlassen. Die wollten das nicht, und auch die Regierung Karzai hat das dann hintertrieben. Aber die einzige Chance, jemals zu einer vernünftigen, friedvollen Lösung zu kommen, sind Verhandlungen. Deshalb sollte die gesamte Politik darauf ausgerichtet sein.

(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Herr Kollege Frei. – Und wir bleiben wieder stehen, Christian Ströbele.

Herr Kollege Ströbele, ich gebe Ihnen gerne recht. Natürlich brauchen wir erstens Verhandlungen und Gespräche. Zweitens muss eine Friedensentwicklung aus dem Land heraus erfolgen. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass angesichts der unter dem Strich gelungen verlaufenen Wahlen, der Regierung der Nationalen Einheit sowie der Zusammenarbeit von Ghani und Abdullah letztlich die Chance besteht, verfeindete Stämme und Gruppierungen zusammenzubringen und damit die Grundlage für eine wirtschaftliche, rechtsstaatliche und gesellschaftliche Reformagenda zu schaffen.

Lassen Sie mich als weiteren Aspekt darauf eingehen: Sie müssen genauso zuhören wie wir Ihnen. Wir haben ab dem 1. Januar 2015 kein robustes Einsatzmandat mehr. Die Resolute Support Mission zielt vielmehr auf Unterstützung und Training ab und ist darauf ausgerichtet, die afghanischen Sicherheitskräfte zu befähigen, selbst die komplette Sicherheitsverantwortung in ihrem Land zu übernehmen. Mit der Absicherung der Wahlen haben sie bereits bewiesen, dass sie dazu in der Lage sind. In diesem Sinne handeln wir. Damit geben wir, glaube ich, eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen im Land.

Danke.

Lassen Sie mich zu einem letzten Aspekt kommen, der mir ebenfalls wichtig erscheint. Wir haben es in der Nachfolge der Konferenz von Tokio mit einem auf Gegenseitigkeit angelegten Prozess zu tun. Das heißt, es muss klare Erwartungen an die afghanische Regierung geben, klare Erwartungen im Hinblick auf bessere Regierungsführung, transparentere Kontrollmechanismen, mehr Sicherheit für Investoren und Rechtssicherheit; denn es ist nicht akzeptabel, dass 80 Prozent des afghanischen Haushalts letztlich von der internationalen Staatengemeinschaft finanziert werden. Da muss es klare Abmachungen und einen Pfad hin zu mehr afghanischer Verantwortung geben. Daran müssen wir die Regierung des Landes auch messen; denn es ist nicht akzeptabel, dass ein Land, das rohstoffreich ist und gute Voraussetzungen hat, in derartiger Abhängigkeit von der internationalen Staatengemeinschaft ist. Ich bin zuversichtlich, dass wir es dort schaffen.

Zum Schluss möchte ich gerne die Worte meiner Vorredner wiederholen und denjenigen herzlich danken, die in den vergangenen 13 Jahren in unterschiedlichen Kontingenten als Soldaten, als zivile Aufbauhelfer oder als Polizeibeamte Verantwortung vor Ort getragen haben. Wir denken im Besonderen an die 55 Gefallenen und deren Familien sowie an diejenigen, die schwer und dauerhaft gesundheitlich verletzt wurden im Dienst für ihr Land, für unser Land und für uns. Dafür sagen wir herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Frei. – Letzter Redner in dieser Debatte: Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4226894
Wahlperiode 18
Sitzung 74
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz in Afghanistan (RSM)
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta