Susanne MittagSPD - Situation von Opfern von Menschenhandel
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskriminalamt vermeldete in seinem Bundeslagebild Menschenhandel 2013 – damit wollen wir wieder zu den Fakten kommen – 603 Opfer des Menschenhandels in Deutschland. 542 davon sind Opfer des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung geworden. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Frauen. Ihr Anteil beträgt 96 Prozent. Weiter registrierte das BKA 61 Opfer des Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft. Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann sieht man, dass es sich also in erster Linie um sexuelle Ausbeutung handelt.
Insgesamt sind es 603 Menschen, die wie ein Handelsgut von Kriminellen über Staatsgrenzen hinweg verkauft und ausgenutzt werden. Diese Straftaten gehen oftmals mit Gewalttaten, Freiheitsberaubung, Schleusungs- und Fälschungsdelikten sowie anderen Delikten einher, also der gesamten Bandbreite organisierter Kriminalität. Das findet nicht in der Dritten Welt oder sonst wo statt, sondern hier in Deutschland. Das sind erschreckende Zahlen, aber sie zeigen leider nur die ermittelte Spitze des Eisbergs; denn das BKA listet nur die abgeschlossenen polizeilichen Ermittlungsvorgänge auf. Es gibt also noch jede Menge mehr. Es gibt ein riesiges Dunkelfeld.
Vor diesem Hintergrund finde ich es gut, dass wir jetzt diese Diskussion führen. Ich finde es auch gut, dass Sie – damit meine ich die Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen – hier einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Situation von Opfern des Menschenhandels in Deutschland eingebracht haben. Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Diskussion darüber, wie es sein kann, dass Hunderte Menschen wie Sklaven verkauft und ausgebeutet werden – genau das findet nämlich dabei statt –, Hunderte oftmals unerkannt, Hunderte, vor denen wir als Gesellschaft die Augen verschließen. Sie leben mitten unter uns, mit falschen Versprechungen angelockt, in teils unwürdigen Unterkünften, müssen sich prostituieren oder werden als billige Arbeitssklaven ausgebeutet, werden um ihr Einkommen betrogen. Sie fühlen sich nicht nur alleine, sie sind es auch. Sie wissen oftmals nicht einmal, in welchem Land sie leben, da sie so häufig über Landesgrenzen hinweg verkauft werden. Sie trauen sich kaum, Hilfe bei staatlichen Stellen oder sonstigen Organisationen zu suchen; denn die staatlichen Behörden in ihren Herkunftsländern sind weiß Gott oftmals keine Hilfe.
Das ist, denke ich, erschreckend und nicht länger hinnehmbar. Deswegen sind die Diskussionen, die heute und im Anschluss stattfinden, sehr gut und sehr wichtig. Wir als Große Koalition haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, den Opfern des Menschenhandels in Deutschland zu helfen. Das wollen wir jetzt tun. Die Bundesregierung hat am Mittwoch im Kabinett einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen. Dieser Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung wird uns bald hier im Bundestag beschäftigen, nicht nur heute, sondern auch im Rahmen einer größeren Diskussion. Ich gebe zu, dass wir als SPD uns für alle Opfer einen eigenständigen Aufenthaltstitel unabhängig von einer Aussage in einem Strafverfahren gewünscht hätten.
(Beifall der Abg. Dr. Lars Castellucci [SPD] und Ulla Jelpke [DIE LINKE])
Darüber müssen wir vielleicht noch ein bisschen verhandeln. Das haben wir nicht für alle, aber zumindest für minderjährige Menschenhandelsopfer erreicht; das ist doch schon mal ein Schritt in die richtige Richtung.
Gleichwohl sind in diesem Gesetzentwurf jede Menge Verbesserungen enthalten: Eine Aufenthaltserlaubnis soll nun für ein Jahr erteilt werden bzw. verlängert werden bei Strafverfahren und soll nach Abschluss des Verfahrens aus humanitären oder persönlichen Gründen für zwei Jahre erteilt werden. Das waren vorher nur sechs Monate; das ist schon mal ein Riesenunterschied. Damit geben wir den Menschen hier eine aufenthaltsrechtliche Perspektive. Nur so können wir erreichen, dass die Opfer vielleicht doch bereit sind, in einem Prozess auszusagen; das ist nicht unbedingt zwingend.
Verbessert wurde auch, dass die oben beschriebene Vorschrift zur Aufenthaltserlaubnis eine Soll- und nicht mehr eine Kannbestimmung ist; das ist ebenfalls ein riesiger Unterschied.
(Beifall bei der SPD)
Das schafft sehr wohl Klarheit und verbessert die Sicherheit der Betroffenen.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber warum „soll“ und nicht „ist zu“? Das müssen Sie mir erklären!)
– Da arbeiten wir noch dran.
(Heiterkeit)
Wir haben ja noch Zeit zum Diskutieren, da steigen wir noch ein.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bedeutet weiter Rechtsunsicherheit für die Betroffenen! – Gegenruf der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]: Ermessen!)
Jetzt kommt der Punkt für Sie: Verbessert wurde auch der Familiennachzug der Opfer, schon während des Verfahrens. Herr Beck, das ist ganz wichtig für die Diskussion mit Ihnen; das fehlt nämlich gänzlich in dem Gesetzentwurf der Grünen. Der Familiennachzug ist aber entscheidend für die Opfer von Menschenhandel. 30 Prozent der Opfer geben laut Lagebericht des BKA an, dass auf ihre Aussagebereitschaft bei Polizei oder Gericht durch die Täter oder deren Umfeld eingewirkt wurde. Das ist nicht zu unterschätzen; denn „eingewirkt“ ist ein sehr milder Ausdruck für das,
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich vorhin in meiner Rede angesprochen!)
was da abgeht: dass entweder direkt, auf die Opfer selbst, oder indirekt, auf ihre Familien, eingewirkt wurde. Ich denke, jeder kann sich gut vorstellen, dass Frauen – ich erinnere an die Zahl, die ich zu Anfang genannt habe: 96 Prozent der Opfer von Menschenhandel sind Frauen – um die Sicherheit ihres Kindes besorgt sind, wenn sie wissen, dass ihr Kind in der Reichweite der Täter ist und bleibt, und das machen die Täter den Opfern auch sehr deutlich klar. Es ist also existenziell für die Opfer von Menschenhandel, mit ihren Familien in einem sicheren Umfeld – das heißt: nicht wieder in dem Dorf oder in der Gegend, aus der sie kamen – zusammen leben zu können. Es ist auch ein Gebot der Menschlichkeit, dass wir uns hier auch darum kümmern.
(Beifall bei der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das haben wir in unserem Gesetz zur Verwirklichung des Schutzes von Ehe und Familie im Aufenthaltsrecht gefordert! Bundestagsdrucksache!)
– Schön. – Und es hilft den Ermittlungsbehörden, weil dadurch die Bereitschaft der Opfer zur Aussage gegen die Täter wahrscheinlicher wird. Mit dem Familiennachzug nimmt man den Tätern ein erhebliches Druckpotenzial, endlich.
Ich freue mich auf die anstehenden parlamentarischen Beratungen zu diesem Thema; sie sind ja heute schon ordentlich losgegangen. Ich denke, im Ziel – der Verbesserung der Situation der Opfer – sind wir uns parteiübergreifend einig. Ich bin mir sicher, dass wir hier im Parlament eine konstruktive Diskussion darüber führen werden, wie wir den Opfern von Menschenhandel insgesamt am besten helfen können.
Vielen Dank für Ihre Mitarbeit schon mal im Voraus.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Wort hat die Kollegin Christel Voßbeck-Kayser für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4227385 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 74 |
Tagesordnungspunkt | Situation von Opfern von Menschenhandel |