Gerda HasselfeldtCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 25 Jahre nach dem Mauerfall erleben wir nun, dass an der Spitze des Europäischen Rates ein ehemaliger polnischer Ministerpräsident steht. Ich finde, das kann uns gar nicht oft genug gesagt und bewusst gemacht werden. Wer hätte das vor 25 Jahren gedacht? Gerade an diesem Moment wird deutlich, wozu diese europäische Friedensordnung in der Lage ist, welche Kraft sie entfaltet hat und entfalten kann.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es stimmt, was einige von Ihnen gesagt haben, dass wir nach wie vor große ökonomische, aber auch politische Herausforderungen in Europa haben. Die Staatsschuldenkrise ist noch nicht voll bewältigt. Aber es stimmt auch, dass wir auf dem Weg zur Bewältigung dieser Krise Erfolge erzielt haben: Spanien, Portugal und Irland haben den Rettungsschirm verlassen. Selbst Griechenland und Zypern sind auf einem guten Weg. Meine Damen und Herren, auch das sollten wir nicht einfach zur Seite legen. Denn es ist das Ergebnis einer richtigen Politik, einer richtigen Weichenstellung in Europa insgesamt, aber auch richtiger Weichenstellungen in den Ländern. Beides gehört zusammen: die Entscheidungen auf europäischer Ebene, beispielsweise zum Europäischen Stabilitätsmechanismus, zur Bankenregulierung oder zum Fiskalpakt, genauso wie die Entscheidungen der nationalen Gremien in den Nationalstaaten, beispielsweise für Strukturreformen und solide Haushalte.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nun stehen wir vor der Herausforderung, neben der Stabilisierung der öffentlichen Haushalte, neben den notwendigen Strukturreformen auch dafür zu sorgen, dass mehr investiert wird, dass Wachstum entsteht, dass die Arbeitslosen weniger werden, dass die Jugendlichen in den Problemländern Arbeit bekommen, in den Arbeitsprozess hineinwachsen, dass die Unternehmer dort investieren können, wo es notwendig ist. Dazu brauchen wir keine schuldenfinanzierten konjunkturpolitischen Strohfeuerprogramme. Wir brauchen auch keine Programme, die über den ESM finanziert werden. Dazu ist der Europäische Stabilitätsmechanismus nicht da.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das 315-Milliarden-Euro-Programm, das jetzt vom Kommissionspräsidenten vorgelegt wurde, ist eben kein Strohfeuerprogramm, kein Konjunkturprogramm,
(Zuruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
sondern ein Investitionsprogramm, bei dem private Investitionen und privates Kapital im Mittelpunkt und im Vordergrund stehen. Das ist das Entscheidende.
Natürlich steht und fällt der Erfolg mit der Auswahl der entsprechenden Projekte.
(Lachen des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Natürlich ist das ganz wesentlich.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat die Bundesregierung ja eine Vorreiterrolle!)
– Ich sage immer: Gott sei Dank müssen wir uns nicht mit Ihnen über die Auswahl der Projekte streiten; denn dann käme nichts Gescheites heraus.
(Beifall bei der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Parlamentarismus! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich bin sehr froh – es ist völlig richtig –, dass die Auswahl der Projekte und ihre Abwicklung von den Experten der Europäischen Investitionsbank vorgenommen werden. Denn entscheidend ist, dass es Wachstumsprojekte sind, dass es Projekte sind, mit denen keine Mitnahmeeffekte verbunden sind, dass es Projekte sind, die in der Tat wirtschaftlich tragfähig sind und nicht nur Risiken mit sich bringen, dass es Projekte sind, die dort realisiert werden, wo sie tatsächlich notwendig sind; das müssen die Kriterien für die Auswahl der Projekte sein.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau! Dann stimmt Ihre Liste aber nicht! Dann holen Sie mal die Liste zurück!)
Nun wissen wir auch, dass Geld zwar ein wichtiger, aber nicht der einzige Anreiz ist. Gerade für Investitionen aus privater Hand ist es sehr entscheidend, ob die Bedingungen auch stimmen, die Investitionsbedingungen, die Rahmenbedingungen; Volker Kauder hat vorhin einige angesprochen. Ganz wesentlich ist dabei der große bürokratische Aufwand, der uns allen miteinander – nicht nur in anderen europäischen Ländern, sondern auch bei uns – gelegentlich das Leben schwerer macht, als es sein müsste. Deshalb begrüße auch ich die Vorschläge zum Abbau von Bürokratie, die der Wirtschaftsminister auf den Tisch gelegt hat. Ich appelliere aber an uns alle, ohne Scheuklappen auch einmal an das heranzugehen, was sonst noch alles abgebaut werden könnte, nämlich an das, was wir – manchmal oder sogar meistens mit gutem Willen, weil wir Deutsche alles ganz besonders akkurat machen wollen – uns zusätzlich aufbürden, vorschreiben und kontrollieren usw. Da müssen wir alle uns selbst zur Brust nehmen und sagen: Das alles müssen wir einmal überprüfen.
(Beifall bei der SPD – Bettina Hagedorn [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Dann fangt mal bei der Pkw-Maut an!)
Dies gilt auch für das, worüber wir aktuell entscheiden. Das schreiben uns investitionsbereite Unternehmer fast tagtäglich ins Stammbuch. Dazu gehört natürlich auch, dass weiterhin alle Länder ihre Hausaufgaben machen. An den notwendigen Strukturreformen und an der notwendigen Haushaltskonsolidierung darf weiterhin kein Weg vorbeiführen.
Wir in Deutschland haben eine Vorreiterrolle und auch eine Vorbildfunktion. Bei allen Gesprächen, die wir mit unseren Kollegen in Frankreich und Italien führen, müssen wir immer wieder darauf hinweisen, dass ein solider Haushalt und die notwendigen Strukturreformen die Bedingungen dafür sind, dass die Unternehmer Vertrauen in die Politik haben, und nur dann, wenn Vertrauen da ist, auch investiert wird. Das ist eine wesentliche Grundlage.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Europa ist aber nicht nur eine wirtschaftliche Kooperation, fast eine wirtschaftliche Abhängigkeit voneinander. Dieses Europa hat auch eine gemeinsame außenpolitische Stimme und eine gemeinsame außenpolitische Verantwortung; gerade durch das, was sich in der Ukraine abgespielt hat, ist das besonders deutlich geworden. Das, was wir dort beklagen müssen, bedeutet aus meiner Sicht fast eine Erschütterung unserer lange erkämpften und hart erarbeiteten Nachkriegsordnung. Diese Nachkriegsordnung hat zwei wesentliche Elemente, nämlich die territoriale Integrität der Staaten und das Selbstbestimmungsrecht der Staaten.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Diese beiden wesentlichen Elemente werden und wurden durch das Verhalten Russlands beschädigt. Jeder, der Völkerrechtsverletzungen schönredet und sie als nicht so wichtig abtut, hat aus der Geschichte offensichtlich nichts gelernt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Jetzt geht es darum, den Menschen in der Ukraine und ihrem Land politisch, wirtschaftlich und humanitär zu helfen. Es geht natürlich auch darum, den Gesprächsfaden mit Russland nicht abreißen zu lassen. Deshalb danke ich der Bundeskanzlerin, dem Außenminister und auch dem Entwicklungshilfeminister für all das, was sie für Deutschland auf diesem Weg geleistet haben, aber auch für die gemeinsame europäische Reaktion auf diese Situation; denn das war nicht selbstverständlich. Das ist nach wie vor harte Arbeit; meine hohe Anerkennung und mein großer Dank dafür.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Die Krisenherde in der Welt erschüttern uns alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, und das nicht erst seit wenigen Tagen. Der Terror des ISIS in Syrien und im Irak destabilisiert eine ganze Region. Viele Menschen flüchten vor diesem Terror, um Leib und Leben zu retten. Vor diesem Hintergrund sind wir alle miteinander gefordert, unseren Beitrag dazu zu leisten, dass möglichst viele Menschen dort bleiben können. Wir tun das durch humanitäre Hilfe, durch Hilfe im Bereich Ausrüstung und Waffen und künftig wohl auch durch Hilfe im Bereich Ausbildung. Trotzdem können nicht alle dort bleiben, viele müssen ihre Heimat verlassen.
Die Menschen aus Syrien, aus dem Irak und anderen Krisengebieten kommen nicht zu uns, weil sie gerne reisen, sondern sie kommen zu uns, um ihr Leben zu retten, um in Sicherheit leben zu können und um nicht weiter verfolgt zu werden. Das muss uns allen bewusst sein. Natürlich muss uns auch bewusst sein, dass wir uns dabei nicht überfordern dürfen.
Ich möchte auch meinerseits all jenen einen herzlichen Dank aussprechen, die sich in unseren Städten und Gemeinden als Kommunalpolitiker oder ehrenamtliche Helfer dafür einsetzen, dass diese Menschen hier gut versorgt werden, dass sie aufgenommen werden, dass sie Menschlichkeit spüren und nicht nur jetzt, vor Weihnachten, sondern auch darüber hinaus das Gefühl haben: Ja, es gibt noch so etwas wie Menschlichkeit auf der Welt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir alle müssen versuchen, das gerecht zu gestalten und natürlich auch in Europa für eine gerechte Verteilung zu sorgen. Ich teile all das, was in Bezug auf die Menschen, die auf die Straße gehen und demonstrieren, gesagt wurde. Das ist eine Aufgabe von uns allen, von jedem und jeder in diesem Parlament, aber auch von jedem und jeder in der Gesellschaft: Wir müssen aufklären, reden, diskutieren. Wir haben so ein großes Glück, in einem freien Land und einem freien Europa zu leben und unser Leben selbst gestalten zu können. Dafür sollten wir nicht nur dankbar sein, sondern wir sollten aus dieser Freiheit auch Verantwortung ableiten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Gerade jetzt, zu Beginn einer neuen Epoche in Europa, jetzt, da die neue Kommission, der Europäische Rat unter einem neuen Ratspräsidenten und das Europäische Parlament die Arbeit so richtig beginnen, wird uns deutlich: Wir haben in diesem Europa mit seinen 28 ganz unterschiedlichen Ländern schon so viel geschafft. Wenn wir unsere Herausforderungen gemeinsam annehmen und dieses Europa gemeinsam weitergestalten, dann werden wir die Probleme, die vor uns liegen, so erfolgreich lösen, wie dies in der Vergangenheit der Fall war.
Ich wünsche der Kanzlerin bei den Verhandlungen und Gesprächen weiterhin die glückliche Hand, die sie in der Vergangenheit hatte.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das Wort hat nun der Kollege Manuel Sarrazin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4291432 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 76 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |