18.12.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 76 / Tagesordnungspunkt 3

Gunther KrichbaumCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Rat hat eine sehr umfangreiche Tagesordnung. Es stehen Themen zur Debatte wie das Juncker-Paket, über das wir heute Morgen schon viel gehört haben, aber auch das besorgniserregende Thema Ebola, wie natürlich auch die Ukraine und möglicherweise auch am Rande – aber nicht zu unterschätzen – das Thema Griechenland.

Vor die Klammer gezogen könnte man sagen: Allen Themen ist eines gemeinsam: Wir müssen uns um mehr Stabilität bemühen. Im Falle des Juncker-Paketes geht es um Wachstum und damit um die Schaffung wirtschaftlicher Stabilität. Bei Ebola geht es um gesundheitliche, vielleicht sogar um humanitäre Stabilität. Im Fall der Ukraine geht es mindestens um geopolitische Stabilität. Im Falle von Griechenland geht es mit Sicherheit um die politische Stabilität. Dieser Eindruck entsteht zumindest angesichts der aktuellen Wahlen. Insoweit ist es kein einfacher Gipfel, der jetzt bevorsteht.

Ich möchte mich auf das Thema Ukraine konzentrieren. Wer hätte noch vor gut einem Jahr gedacht, dass das Jahr 2014 so verlaufen wird? 100 Jahre Ausbruch des Ersten Weltkrieges, 75 Jahre Ausbruch des Zweiten Weltkrieges: Das sollte im Zentrum des Gedenkens stehen, ebenso wie 25 Jahre Fall der Berliner Mauer und damit auch der Fall des Eisernen Vorhangs, gewissermaßen als ein Zeichen des vereinigten Europas, geeint in die Zukunft zu gehen.

Vor gut einem Jahr flammten die Proteste auf dem Maidan oder, wie er später genannt wurde, Euromaidan auf, und zwar nur deshalb, weil der damalige Präsident Janukowitsch sich weigerte, das sogenannte Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen. Er reiste gerade von Moskau zurück. Das Assoziierungsabkommen hat zum Inhalt, dass das Land sich den europäischen Standards wie Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie annähern kann. Genau das gefiel Russland nicht. Fortan ging es Russland, namentlich Herrn Putin, nur darum, die Ukraine zu destabilisieren, ja zu demontieren.

In diesem Jahr wurde die Krim annektiert. Es erfolgte eine subtile Invasion in den Osten der Ukraine. Seither sind über 4 500 Tote zu verzeichnen. Es ist der heftigste Krieg in Europa seit den Balkankriegen. 10 000 russische Soldaten befinden sich in der Ukraine. Es gibt 530 000 Binnenflüchtlinge: Flüchtlinge, die aus dem umkämpften Ostteil der Ukraine in andere Gebiete der Ukraine flüchten mussten.

Dies beim Namen zu nennen, sind wir alleine schon den Opfern in der Ukraine schuldig und auch ein klein wenig Andreas Schockenhoff, der sich in der Vergangenheit nie davor gescheut hat, diese Fakten beim Namen zu nennen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir erleben jeden Tag den evidenten Bruch von Völkerrecht. Wie Sie als Linksfraktion für die Rücknahme der Sanktionen gegen Russland werben können, ist mir deshalb, gelinde gesagt, schleierhaft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das zeichnet uns aus!)

Die Sanktionen zu verhängen, war richtig und wichtig. Es ist das einzige ernsthafte Druckmittel, das wir in unseren Händen halten und auch in unseren Händen halten müssen. Die Sanktionen wirken auch. Sie wirken unmittelbar, und sie wirken mittelbar. Denn der Abzug der ausländischen Direktinvestitionen hat dazu geführt, dass auch Vertrauen in Russland verloren gegangen ist. Der Rubel verfällt. Der Leitzins steht mittlerweile bei 17 Prozent. Fallende Rohölpreise tun ihr Übriges dazu.

Deswegen geht es darum, den Druck auf Russland aufrechtzuerhalten. Wir wollen die Sanktionen nicht. Aber wenn sie das einzige Mittel sind, um Russland zum Einlenken zu bewegen, dann sind sie notwendig und erforderlich, und das auch in der Zukunft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich darf an dieser Stelle auch Bundeskanzlerin Merkel herzlich danken, weil sie sich unermüdlich dafür einsetzt, dass wir im Wege eines Dialoges zu einer Lösung kommen. Mein Dank gilt auch Frank-Walter Steinmeier. Auch die Telefonkonferenz am vorgestrigen Tage mit dem französischen Präsidenten François Hollande hat gezeigt, dass wir als deutsch-französisches Tandem in Europa weiter der Motor sein müssen, auch wenn es um die Lösung von Konflikten in Europa geht.

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Dr. Diether Dehm?

Bitte sehr.

Kollege Krichbaum, es geht nicht nur um die Linke. Würden Sie mit ähnlichem Unverständnis beiseitewischen, dass auch in dem Aufruf der Zeit sehr viele Menschen, darunter zwei frühere Bundeskanzler – man hört separat auch Ähnliches von Ihrem früheren Bundeskanzler Kohl, aber zu den Unterzeichnern zählt sein Berater Teltschik –, ähnliche Positionen vertreten wie die Linke? Übrigens sprechen sich auch viele mittelständische Großunternehmer dafür aus, die Sanktionen zumindest nicht weiter zu verschärfen oder möglicherweise sogar zurückzunehmen. Ist die Forderung nach Beendigung der Sanktionen nur ein Spleen der Linken, oder könnte sie auch auf wirtschaftlicher Vernunft gegründet sein?

Meine Antwort ist völlig klar: Die Aggression und der Angriff Russlands auf die Ukraine waren nicht nur eine Aggression und ein Angriff auf ein anderes Land. Vielmehr handelt es sich auch um einen Angriff auf unsere Werte in der Europäischen Union wie Frieden, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das war nicht die Frage!)

Wir müssen Russland hier entschlossen entgegentreten; darum geht es.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie können nicht einmal die Frage beantworten! Dazu sind Sie nicht in der Lage!)

Es gibt nicht die Option einer militärischen Reaktion, wohl aber die Option einer wirtschaftlichen Reaktion. Sollen wir denn ein Jahr nach den Maidan-Demonstrationen die Menschen alleinlassen, die keinen sehnlicheren Wunsch haben als den,

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Antworten Sie einfach auf die Frage!)

die Werte, die wir seit Jahrzehnten in Europa als selbstverständlich auffassen, mit uns zu teilen? Genau deswegen gilt unsere Solidarität den Menschen in der Ukraine.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ich habe etwas anderes gefragt!)

Das Ziel bleibt. Wir müssen als Erstes eine sicherheitspolitische Stabilisierung der Ukraine herbeiführen. Deswegen ist es wichtig, die Kontaktgruppe aus Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE alsbald zu etablieren. Prozesse wie der Genfer Prozess sind hilfreich und gut – in diesem Fall unter Beteiligung der USA –, genauso wie der runde Tisch, der von Wolfgang Ischinger mit initiiert und geleitet wurde. Wir brauchen solche Formate des gegenseitigen Kontakts und des gegenseitigen Gesprächs. Beide Seiten müssen die Vereinbarung von Minsk zügig umsetzen. Das gilt nicht nur, aber ganz besonders für die russische Seite. Aber wir müssen auch die ukrainische Seite dazu bewegen, die Reformen alsbald umzusetzen. Das ist wichtig, weil wir als EU und im engen Schulterschluss mit dem IWF helfen wollen.

Die Ratifizierung des Assoziierungsabkommens in den europäischen Parlamenten schreitet voran und wird in der ersten Hälfte des neuen Jahres auch im Deutschen Bundestag ihren Abschluss finden. Das ist wichtig; denn das sind wahre Signale. Manche tun so, als wäre die Ukraine gespalten und als lebten im Ostteil der Ukraine nur diejenigen, die sich eine zügige Annäherung an Russland wünschen. Das ist und bleibt eine Mär. Die demokratischen Wahlen haben eine demokratische Legimitation für den Präsidenten und das Parlament in der Ukraine geschaffen. Alle Resultate haben gezeigt, dass die proeuropäischen Kräfte auch im Ostteil der Ukraine klar die Mehrheit bilden.

Letzte Anmerkung. Das zweite Ziel muss die wirtschaftliche Stabilisierung der Ukraine sein. Das Bruttoinlandsprodukt der Ukraine ist seit Jahresbeginn um 8 Prozent gefallen. Wenn wir eine politische Stabilisierung erreicht haben und eine wirtschaftliche Stabilisierung langfristig wollen, dann braucht auch die Ukraine eine Art Marshallplan; ohne das wird es nicht gehen. Wir werden uns in diesem Hohen Hause mit der Ukraine vermutlich wesentlich länger befassen, als wir uns das heute wünschen oder vorstellen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank, Kollege Krichbaum. – Zu einer Kurzintervention hat das Wort Marieluise Beck.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4291504
Wahlperiode 18
Sitzung 76
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Europäischen Rat
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