Ewald SchurerSPD - Finanzhilfen zugunsten Griechenlands
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ruft in Erinnerung, was wir in den Jahren 2008, 2009 und 2010 in Bezug auf Griechenland in Europa erlebt haben. Griechenland stand Mitte 2009 und im Jahr 2010 vor einem, so kann man sagen, Staatsinsolvenzverfahren. Griechenland war nicht mehr in der Lage, sich selbst zu refinanzieren. Das war die Ausgangssituation.
Wie auch immer man die makroökonomische Situation bewerten mag: Griechenland brauchte dringend europäische Solidarität. Im Gegensatz zu dem, was die Linken hier erzählen, ist sie damals auch erbracht worden, auch von Grünen und Sozialdemokraten, sowohl in der Regierung als auch in der Opposition, weil man gesehen hat: Wir können nicht anders, als für Griechenland entsprechende Finanzkonstrukte zu schaffen. Zunächst einmal gab es, im Februar und März 2010 ausgehandelt, bilaterale Verträge zwischen verschiedenen Staaten und Griechenland, dann, unterstützt vom IWF, eine 80-Milliarden-Euro-Linie, von der 73 Milliarden Euro ausgezahlt worden sind, und später die Fazilitäten: EFSF, EFSM und ESM-Vertrag.
Man muss an dieser Stelle auch sagen, dass Griechenland ohne diese strukturellen Hilfen nicht hätte überleben können. Dann hätte man nicht mehr über die schmerzhaften – das gebe ich zu – Sozialkürzungen reden müssen. Griechenland wäre weder in der Lage gewesen, einen Cent an Rente auszuzahlen, noch sein Gesundheitssystem auch nur im Ansatz aufrechtzuerhalten. Griechenland hätte einen Kollaps aller staatlichen, öffentlichen Systeme erlebt.
Das, was wir erlebt haben – das gebe ich zu –, wurde von den Sozialdemokraten im Europaparlament und auch in unserer Bundestagsfraktion mit großer Besorgnis gesehen, weil wir der Meinung waren und auch heute noch sind – trotzdem glauben wir, wir kommen an der heutigen Lösung nicht vorbei –, dass diese Sparprogramme, diese Auflagen, diese Konditionalitäten, in so kurzer Zeit eine so große Sparleistung zu erbringen, Griechenland binnenwirtschaftlich nicht geholfen, sondern teilweise geschadet haben. Dennoch muss man ehrlich sein: Ohne Auflagen gibt es nirgends in dieser Welt Geld.
Ich darf vielleicht einmal die Historie bemühen: Nirgendwo gab es jemals in der Weltgeschichte so brutale Auflagen. Ausgenommen davon – das ist mir spontan eingefallen – sind nur die Sanktionen des Regimes der ehemaligen Sowjetunion gegen die COMECON-Staaten. Damals wurden sämtliche Formen von Ressourcenlieferungen und Hilfen so brutal sanktioniert wie niemals sonst in diesem Weltgeschehen. – Das sei noch ins linke Stammbuch geschrieben.
Ich komme auf die Situation in Griechenland zurück: Die Sozialdemokraten haben den Prozess kritisch begleitet. Wir waren ganz klar der Meinung, dass diese Programme binnenwirtschaftlich nur zum Teil helfen. Teilweise kam es dann zu den Senkungsprozessen, deren Brutalität auch von uns nicht beschönigt werden kann.
In der Conclusio, Herr Minister, werte Kolleginnen und Kollegen, sehe ich, dass wir heute das Richtige tun. Wir sind vorinformiert worden. Wir haben in den vergangenen Jahren in diesem Hohen Hause gemeinsam mit allen Fraktionen in einer großen Breite und Tiefe über das StabMechGesetz, also das Gesetz über den europäischen Stabilitätsmechanismus, und über das ESM-Finanzierungsgesetz gesprochen, und wir haben uns, wie vermutlich nur wenige Parlamente im europäischen Raum, die Mühe gemacht, die Partizipation des Parlaments in den Mittelpunkt aller europäischen Prozesse zu stellen, weil wir uns ja schließlich national und in Europa letztendlich in hohem Umfang an diesem Prozess der Schuldenbekämpfung beteiligen mussten.
Der Herr Minister und der Kollege Schneider haben es bereits angeführt – auch ich sehe es so –, dass wir die angesprochenen zwei Dinge tun müssen und auch tun werden:
Die Prolongation des bestehenden EFSF-Programms bis zum 28. Februar 2015 ist notwendig. Wir haben hierüber eine Vorinformation, auch wenn das nur Zwischendokumente sind. Diese sind im Übrigen im Parlament und bei der Regierung vorhanden. Das heißt, wir haben kein Informationsdefizit. Wir müssen aber, liebe Freundinnen und Freunde der Grünen, auf die endgültigen Dokumente zugegebenermaßen noch etwas warten; Carsten Schneider hat dies bereits beschrieben. Ich finde es haushalts- und finanztechnisch auch gut, dass wir eine vorsorgliche Finanzhilfe für Griechenland leisten. Die entsprechende Kreditlinie wird in maximal zwölf Monaten 10,9 Milliarden Euro umfassen. Das alles trägt in der fragilen Situation, in der sich Griechenland immer noch befindet, zu einer gewissen Form von Sicherheit bei.
Gestern ist in Griechenland der erste Versuch, einen Präsidenten zu wählen, gescheitert. Es gibt zwei weitere Termine: den 23. und den 29. Dezember 2014. Nur dann, wenn es an diesen Terminen nicht gelingen würde, einen Präsidenten zu wählen, würden die Träume der Linken vielleicht wahr werden. Ich glaube es aber nicht. Herr Bartsch, wenn das der Fall wäre, dann müsste ihr Kandidat schon am ersten Tag alle Versprechungen, die er jetzt macht, zurücknehmen.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Alle doch nicht! Das stimmt doch gar nicht! Einige!)
Wenn alle internationalen Verpflichtungen aufgekündigt würden, dann würde Griechenland das erleben, was 2009 schon einmal drohend im Raum stand, nämlich einen Konkurs des gesamten Landes.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Kennen Sie seine Versprechungen?)
Insofern sind die großen, wohlfeilen Versprechungen der jetzigen griechischen Opposition wirklich nur Schall und Rauch. Sie könnte ökonomisch keine ihrer Versprechungen erfüllen, wenn sie in diese Situation kommen würde, was – so ist meine große Hoffnung – nicht der Fall sein wird.
Für mich ist die letzte wichtige Aussage, dass Griechenland jetzt natürlich in die Phase des Wachstums kommen muss. Der Minister, Carsten Schneider und andere haben es schon angesprochen: Griechenland hat ein zartes Wachstum; es ist noch nicht bestätigt.
Es gab einen Traum: Im April dieses Jahres hat man eine fünfjährige Staatsanleihe für 4,75 Prozent ausbringen können, und schon hatte Griechenland gedacht, man wäre in der Lage, sich von den Märkten, den Auflagen und den Konditionalitäten zu lösen. Dieser Traum hat sich leider nicht erfüllt. Wir alle wären begeistert gewesen, wenn sich Griechenland ab dem Sommer wieder selbstständig und ohne Auflagen hätte refinanzieren können. Das hat sich – ich sage es noch einmal – leider nicht erfüllt. Deswegen ist Griechenland dringend auf eine Fortführung der Solidarität durch die Europäische Union angewiesen.
Bei aller Kritik der Grünen, die ich sehr ernst nehme: Es gibt dazu keine wirkliche Alternative.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)
Griechenland muss versuchen, diesen zarten Erholungskurs fortzusetzen hin zu wirtschaftlichem Wachstum, hin zu mehr Beschäftigung und hin wieder zu einer Krankenversicherung für alle Menschen – auch für schwangere Frauen –, die diesen Namen verdient. Diesen Weg muss Griechenland gehen.
Ohne weitere Hilfen seitens der Europäischen Union mit Zustimmung des Deutschen Bundestages wird es nicht gehen. So kurz vor Weihnachten will ich hier nichts von einer heilen Welt erzählen. Vielmehr will ich sagen, dass wir nach einer sehr schwierigen Phase der Restrukturierung, in der auch handwerkliche Fehler begangen wurden, versuchen müssen, Griechenland innerhalb der Europäischen Union wieder nach vorne zu entwickeln, und zwar ökonomisch über mehr Investitionen und durch das Widererstarken sozialer Leistungen.
Ganz herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Danke, Kollege Schurer. – Nächster Redner in der Debatte ist Manuel Sarrazin für Bündnis 90/Die Grünen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Emmanuel! Erleuchtung!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4291668 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 76 |
Tagesordnungspunkt | Finanzhilfen zugunsten Griechenlands |